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Brief von Helmina von Chézy an Karl August Varnhagen von Ense

Genf, 11. März 1855
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 47 Chézy Helmina von, Bl. 296-297 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Helmina von Chézy
Empfänger/-in
Karl August Varnhagen von Ense
Datierung
11. März 1855
Absendeort
Genf
Empfangsort
Berlin
Umfang
4 Blätter
Abmessungen
Breite: 215 mm; Höhe: 270 mm
Foliierung
Foliierung in Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Jadwiga Kita-Huber; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „296r“

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[Karl August Varnhagen]
Helmina von Chézy.
Genf, den 11. März 1855.
Innigst verehrter Freund!

Sie haben mich durch den neuen Beweis Ihrer Fürsorge für mich wohlthu-
end überrascht. So schnell und die vortrefflichen Veränderungen.
Tags darauf
schon kam die zweite Überraschung, – die mich namenlos erschüttern sollte. Des
Kaisers Tod.
Ich lege Ihnen mein Lied bei zu beliebiger Anwendung, oder
auch zu keiner. Einstweilen habe ich es der Königin
geschickt, mit einigen
wehmuthsvollen Zeilen, und mit an Ihren Geheimen Kabinetssekretäir
von Lahse
eingelegt. Daß Kugler
Geheimrath sei, wußte ich nicht. Meine
Beziehung zu ihm besteht darinn, daß Ihn mir Hitzig nach dem Tode meines
Gatten schickte, um mir Hülfe anzubieten, falls ich welche nöthig hätte, dies
hat mich sehr gerührt, allein ich war nicht in München. Von Hedwig v. Olfers
höre ich nichts. Danke Ihnen sehr für die Nachricht von Ihr. Maltiz nennt
sie Königin der Nachtigallen, wie der Wohllaut unsichtbar! Hedwig
ist mit Louisen Hensel sehr befreundet. Sie wußten, welchen Einfluß
Klemenz Brentano auf das Geschick dieses liebenswürdigen?? Geschöpfes hat-
te, kennen vielleicht auch das Distichon aus Fr. Schlegels Saturnalien
, wel-
ches anfängt: „Winkel und Klinkel und du mein angebrennter Brenntano“
 – Brenntano kam oft zu Agnes
einer natürlichen Tochter des großen Pappenheim
in München. Der Tochter des Klarinettisten Bärmann. General Pappenheim ließ
dies Kind und ihre Schwester, die sich Emma v. Niendorf schreibt, legitimiren, und
schenkte Jeder einen Landsitz. Er hatte ihre Mutter heirathen wollen, allein er ent-
deckte ihr Verhältniß mit Bärmann. Emma v. Niendorf ist nicht wie Er.
Horn, die Tarnow nennt, eine nothwendige Schriftstellerin! Sie läßt sich
dennoch angenehm lesen, vielleicht kenne ich ihre bessern Sachen nicht. Denn
ich durch die vielen Betrübnisse seit mehreren Jahren, aus allen littera-

Seite „296v“

literarschen Beziehungen heraus, habe nichts von der Anthologie
aus Rahels Briefen
, noch von ihren Denkwürdigkeiten
theurer
Freund erfahren. Meines Maxes Tod, die Verheirathung mein-
es Sohnes Wilhelm, dem ich 1847 ganz entsagt habe, – 
und die Revolution, dies sind die Begebenheiten, die mich
auf lange Zeit meiner Spannkraft beraubt haben. Ich danke
Ihnen, daß Sie meine Schrift im Freihafen Piloten wiederge-
lesen haben.
Wer weiß ob Ihnen die Denkwürdigkeiten
so
gut gefallen werden. Mein herziger Max lebte noch, als
ich sie schrieb. Der edle Herausgeber
hat nicht musterhaft
an mir gehandelt, – genug davon. Zum Glück habe ich
meine Originalschrift noch. Ich bin von Agnes abgekommen
ich wollte hinzusetzen, daß ich vermuthe, daß Clemenz Bren-
tanos
Einfluß auf Sie ihr Leben zerstört habe. Sie war ein
herrliches Geschöpf, zu gut für diese Erde, sie komponierte, und sang.
Eins meiner Lieder, ich erinnere mich nicht Welches, hat sie sehr schön
in Musik gesetzt. Die Stelle, wo Chamisso von mir spricht heißt
wortlich: „Sie ist Liederreich, keine Dichterinn“ wenn sie in Cha-
missos Briefe stand, so wäre der Lesewelt kein großer Eintrag
geschehn, wenn Hitzig sie ausgelassen hätte, ich glaube, er konnte es
den Leuten nicht verzeihen, die nicht starben, weil er so gern nekro-
logisch schrieb, dagegen hab ich den Seinigen nicht gemacht.
Richard
Spazier
, der Eine meiner Freundin nicht auf meinen Antrieb aus der
Patsche gezogen hat, um ihn von Paris abzueisen, kann ich es schwer
verzeihen, daß er meine mühsame und lange Arbeit über Rahel, in
der Revüe du Nord
verhunzt und abgekürzt hat.

Seite „297r“

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Thiek hätte wol Etwas für seine unglückliche?? Mutter thun können, er
hat sich in Dresden garnicht um sie gekümmert, auch um Richard nicht[.]
Das war schlecht. Die selige Ernst
hat mir über das Verhältniß Thieks zu
Spazier Auskunft gegeben. Thieks Briefwechsel
wird schwerlich eine
Bedeutung haben, wie man sie in jetziger Zeit verlangt. – Sein
Name hat auch den alten Zauber verloren. In seinen Briefen war
er sehr umsichtig. Hohe Preise für diese Art Werke, hat es in Deutschland
nie gegeben. In Frankreich bekam Frau v Genlis für ihre Memoi-
ren
, welche Sie so treffend bezeichnen 80 tausend Franken Honorar
George Sand hat 100,000 Fr; und ich weiß nicht, wieviel noch da-
zu bekommen. Ich hoffe auf kein großes Honorar in Deutschland, be-
sonders in jetzigen Zeiten; – ich habe dies Werk noch Niemand ange-
boten, und dennoch ist mein Leben, sowol von Innen, als von Außen
so reich, daß ich glauben darf, dies Werk wird ein Bleibendes sein
und ich hoffe auf den Einfluß des Frühlings, um es gut durchzuführen.
Meine Muhme Bertha, eine Nichte der Karschin, ist die zweckmäßig-
ste Hilfe, die ich hätte finden können, sie schreibt selbst schön, dichtet lieblich
und macht mich jedesmal aufmerksam, wenn mein zermarterter Kopf mich
hie und da wiederholen läßt, u s.w.
Erst Vorgestern, verehrtester Freund! habe ich einige Kraft gefunden
einen Theil meiner Papiere durchzusehn, zwei von den drei Banditen
die mich so beraubt haben, haben schrecklich in meinen Papieren gehaust
ich muß die Durchsuchung fortsetzen, ich habe schon Einiges gefunden, was
Ihnen wahrscheinlich willkommen ist, hoffe auch George Sand wohlver-
wahrt zu treffen. Wenn Sie irgend Zeit und Laune haben, mir zu
antworten, ob Sie nicht auch etwas der sogenannten goldenen Zeit
seit 1760, auch etwas früher, zu erhalten wünschen. Kälte und Mat-
tigkeit haben mich vom Suchen abgehalten, weil ich höchst empfindlich
an fliegender Gicht leide.
Anliegendes Gedicht an die Kaiserin
, habe ich unsern Maltitz zur
Besorgung an dieselbe gesendet. – Ach! Unsre Waldo. Sie hatten
Recht! – Wodurch hat denn nur Ihre jüngere Tochter
sie betrübt? – 

Seite „297v“

Leben Sie wohl! Verzeihen Sie der armen Kranken, daß mein
Brief so dumm ist. Genießen Sie schön, den schönen Frühling, den wir
entgegen sehn. Sobald ich Autographen mitschicken kann schreibe ich wieder
dankbar und liebevoll
die Ihrige
Genf den 11ten März
1855
.
Helmina v Chézÿ.
Des

Hoch und Wohlgebornen Herrn
Herrn Geheimrath Varnhagen
v Ense.
Ritter hoher Orden.
Berlin.

Seite „298r“

298

Seite „298v“

[Karl August Varnhagen]z. 11. März 1855.

Da! Die von der höchsten Ferne
Einer Welt herabgeblickt!
Und die Lilienhelle Stirn,
Mehr durch süße Huld geschmückt,
Als durch die umstrahlte Krone; – 
Inbegriff der höchsten Macht!
Düftestromend Reis vom Throne,
Der ob Deutschlands Ruhe wacht!

Seite „299r“

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Weißt Du dich dem Liede neigen

Daß zu Dir sich liebend schwingt?
Und das Leid nicht kann verschweigen,
das der Sängrinn Brust durchdringt?
Du! Dem Leid nun hingegeben,
die den Tod mit Sehnen ruft!
Nur Dein Herz, Dein Glück, dein Leben,
Liegt erstarrt in schwarzer Gruft!

Doch! Den Dir der Tod entrissen
Lebt! umschwebt Dich, ewig Dein!
Durch des Grabes Finsternißen,
Singreich dringt der Tag hinein.
Liebe, Treue, Seegen sprießen,
Noch auf Deinen Pfaden reich.
Und der Freude Thränen fließen,
Noch auf Wangen schmerzensbleich!

Seite „299v“

Frieden wird dein Leben krönen,
Frieden! der Dein Herz beglückt.
Und das Haupt von edlen Söhnen
Herrlicher als Lorbeer schmückt!
Dein Gebet wird ihn erringen,
Frisch Voran an Vaters Hand!
All Dein Thun krönt süß gelingen
Weil Dich Gott getreu erfand.

Genf 1855
Helmina v Chézÿ.