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Helmina von Chézy

Die literarische Genealogie Helmina von Chézys reicht weit ins 18. Jahrhundert zurück: Als Enkelin von Anna Louisa Karsch, der „Karschin“, ist ihr ein Leben im Schreiben, ein Dasein unter den Auspizien literarisierter diskursiver Kommunikation, von früh anvertraut. Auch ihre Mutter Caroline Louise von Klencke geb. Karsch war Schriftstellerin, der Vater Friedrich Carl von Klencke Offizier. Eine frühe Ehe mit dem Freiherren Karl Gustav von Hastfer scheitert, woraufhin sie sich nach Paris begibt, einer Einladung der Schriftstellerin, vormaligen Prinzenerzieherin und Erfinderin der ‚tableaux vivants‘ Félicité de Genlis folgend.

In Paris beginnt ihre publizistische und schriftstellerische Karriere auf spektakuläre Art und Weise. Durch Félicité de Genlis bekommt sie Zutritt zu den wichtigsten Pariser Salons und literarisch-theatralischen Kreisen sowie zu dem politischen Kreis um Napoleon Bonaparte, woraufhin eine Reihe an Veröffentlichungen entsteht: Mitteilungen, Berichte und Übersetzungen (u.a. für die Zeitschrift „Europa“ im Auftrag des damals in Paris lebenden Friedrich Schlegel). Überdies übernimmt sie die Redaktion des von Johann Friedrich Cotta in Paris etablierten Auslands-Journals „Französische Miscellen“, in dem sie unter eigenem Namen als Helmina von Hastfer über bedeutende Ereignisse wie Kunstausstellungen, Sehenswürdigkeiten, Theater und Mode, Bildungs- und Wohltätigkeitsinitiativen berichtet. Da sie wegen ihrer kritischen Haltung die Position der Redaktorin verliert, publiziert sie ihre bislang unveröffentlichten Pariser Beiträge 1805 und 1806 in Weimar in Form eines zweibändigen Werks „Leben und Kunst in Paris seit Napoleon dem Ersten“.

Über Friedrich Schlegel lernt sie den Orientalisten Antoine-Léonard de Chézy (1773–1832) kennen, den sie 1806 heiratet. Die beiden Söhne Wilhelm Theodor und Maximilian (Max) gehen mit Helmina von Chézy nach deren Trennung von Chézy nach Deutschland zurück. Die Kontakte in die sich formierende ‚Hauptstadt des 19. Jahrhunderts‘ (Walter Benjamin) wird sie durch fortgesetzte Korrespondenzen mit Félicité de Genlis, Julie Récamier sowie mit der von der jüngeren Generation in Deutschland bewunderten George Sand, die mehr und mehr auch für eine selbstbewusstere Positionierung von Autorinnen im literarischen Feld zur Bezugsfigur wird, aufrechterhalten. Wichtige Lebensstationen Helmina von Chézys in Deutschland und Österreich nach 1810 sind Heidelberg, Dresden, Wien, Baden-Baden und München. Überall ergeben sich schon nach kurzer Zeit Beziehungen zu den ortsansässigen und den zugereisten Künstler*innen, Wissenschaftler*innen und Intellektuellen sowie Schriftstellerinnen wie Caroline de la Motte Fouqué, Elise von Hohenhausen, Amalie von Imhoff, Caroline Pichler, Amalia Schoppe, Amalie Struve, Emma von Suckow, Fanny Tarnow u.a.m. Auch die während ihres bewegten Lebens zwischen Befreiungskriegen, Restaurationszeit und Revolutionsauswirkungen entstehenden Publikationen ihrer eigenen Werke sind einbezogen in ein Netzwerk freundschaftlicher Korrespondenzen und Publikationspolitiken, zugleich aber auch kontrapunktiert von Existenzsorgen und familiären Ungewissheiten. Im Laufe mehrerer Jahrzehnte engagiert sich Chézy für soziale und politische Gerechtigkeit sowie Frauenemanzipation, indem sie literarische und insbesondere publizistische Texte über kulturell aktive Frauen verfasst, die als programmatische Schriften, erweiterte Nekrologe, Rezensionen oder Erinnerungen erscheinen; einige dieser Texte blieben unveröffentlicht oder als Entwürfe im Nachlass. Durch ihre Kontakte und Netzwerke hilft Helmina von Chézy Frauen auch praktisch bei der Kontaktaufnahme zu Schriftstellern und Verlegern sowie bei der Unterbringung von Manuskripten in Zeitschriften und Taschenbüchern, auch gründet sie selbst Frauenvereine und -zeitschriften (z.B. „Iduna“).

In der späteren Wahrnehmung wurde das – oft einseitig-parteiische – Bild von Helmina von Chézys Beteiligung am kulturellen Leben ihrer Zeit vor allem geprägt durch ihre Begegnung mit den zu Leitfiguren erklärten männlichen Zeitgenossen wie Jean Paul, den sie verehrte, oder Carl Maria von Weber, für den sie das Textbuch für die Oper „Euryanthe“ schrieb. Die Sammlung Varnhagen bringt ein anderes Szenario zur Erscheinung: Man begegnet Helmina von Chézy hier als Netzwerkerin, die sich nicht nur künstlerisch, sondern auch sozialpolitisch und (frauen)emanzipatorisch hervortut, hartnäckig sowohl ihre eigenen Interessen wie diejenigen ihrer Korrespondentinnen und Korrespondenten verfolgt.

Jadwiga Kita-Huber

Literatur

Helmina von Chézy:
Unvergessenes. Denkwürdigkeiten aus dem Leben von Helmine von Chézy. Von ihr selbst erzählt. 2 Theile.
Leipzig: F. A. Brockhaus 1858.

Irina Hundt:
„‚Wäre ich besonnen, wäre ich nicht Helmina.’ Helmina von Chézy (1783–1856) – Porträt einer Dichterin und Publizistin“. In: Forum Vormärz Forschung, Autorinnen des Vormärz. Hrsg. von Helga Brandes und Detlev Kopp. Bielefeld 1997, S. 43–79.

Jadwiga Kita-Huber:
„Der Briefwechsel Helmina von Chézys. Erschließung und (Teil)edition“. In: Bestände der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin in der Jagiellonen-Bibliothek. Forschungsstand und -perspektiven. Hrsg. von Monika Jaglarz und Katarzyna Jaśtal.
Berlin u. a. 2018, S. 263–278.