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Brief von Amalie von Helvig an Bettine von Arnim

Berlin, 7.–13. Mai 1819
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 84 Helvig Amalie von, Bl. 6-7 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Amalie von Helvig
Empfänger/-in
Bettina von Arnim
Datierung
7.–13. Mai 1819
Absendeort
Berlin
Empfangsort
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 200 mm; Höhe: 245 mm
Foliierung
Foliierung in Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Agnieszka Sowa; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „6r“

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[Karl August Varnhagen]Amalie von Helvig.
geb. von Imhoff
Berlin den 7ten May 1819.
Ich brauche Ihnen nicht zu sagen daß mir Ihr Brief
viel Freude gemacht hat, beste Bettine!
Sie wissen zu gut wie lebhaft und treu mein Antheil ist um zu zweifeln daß
ich der ersten Nachricht von Ihnen mit Ungeduld entgegen sah –. Nun hat mir
Ihr genialische Schreiben eben nicht alles gesagt was ich zu wissen wünschte, allein
auch wieder vielmehr von andrer Seite. Jetzt da ich darauf antworten mögte
komme ich mir so philisterhaft vor als hätte ich selbst eine zweÿ Ell lange
Pfeife im Munde – es fallen mir nichts als gewöhnliche Worte ein und
so kommt mir’s vor, als gäbe ich Ihnen schlecht gesalznes Hundbrot fürn
Nürnberger Pfefferkuchen. Doch glaube auch ich daß Sie nichts von der
Art von mir erwarten und lieber hören wie es den Zurückgebliebenen

geht und wie diese Ihrer gedenken. Da kann ich dann gleich getrost damit
den Anfang machen Sie der lebhaften Erinnerung u Zuneigung aller deren zu
versichern von welchen Sie dieses wünschen mögen –. Der erste Sonnabend
nach Ihrer Abreise kam mir so abgeschmakt und leer vor, daß ich gar nicht
wusste wie wir drüber hinaus kommen würden. Immer glaubte ich die Thür
des Mittelzimmers gehn zu hören und Sie zwischen den grünen Thür Rahmungen
anmuthig schalkhaf uns behorchend zu erbliken – Nun tritt niemand
den bekannten Schleichweg heran und alles geht in der Ordnung vor sich.
Kleins geistvolle Studien in radirten Blättern
hatte ich von Frauenholz erhalten
und diese knüpften den Faden des Gesprächs zusammen der sich in meinem kleinen
Kreise bald schlang u löste. Die ganze Zeit Ihrer Abwesenheit war mir fast
ganz einsam vergangen, denn ich hatte so viele Briefe zu beantworten, Geschichten
zu beendigen, welche ich sowohl auf das Ende meines Mahlens außer dem Hause
als auch auf eine Zeit überhaupt verschoben hatte, wo die Gegenwart u der
Antheil an den mich umgebenden Verhältnissen etwas zurükträte. Fast alle
meine Schuldigkeiten sind nun Gottlob abgethan – ich habe seitdem schon wieder
ein paar Morgen an der Staffeleÿ zugebracht, meinen Christus Kopf nach Carracci
recht waker (ich darf das sagen!) lasirt und gerundet u werde nun die Skizze
nach Raphael, (die heil Familie mit den Engeln im Hintergrunde
) vollenden.
So webt sich mir das Leben aus mancherlei Beschäftigungen zu einem ziemlich
ebnen, nicht unharmonischen Farbenteppich der in Ermanglung hoher Lichter
doch Gottlob vors erste der finstersten Schatten entbehrt –. Arbeiten hindert
mich am Denken, Handeln am Träumen; indem ich vieles für andre zu thun habe
wünschte ich weniger für mich und das alles ist nothwendig u wohlthätig
für unser einem das sich gar zu leicht in die Labyrinthe des Inneren verliert.

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Ihre Schwester hatte ich gleich am Freÿtage
v besucht – sie fuhr des andern Tags Savigni in
Pichelsberg
zu begegnen wo auch Hugo’s
sich einfanden – so sah ich sie an jenem Son-
nabend
nicht – Am leztverflossnen erfreute ich die Gesellschaft mit einigen
Stellen Ihres Briefes,
da ich Gen: Gneisenau wie auch Klausewitzes die ganze Woche
durch nicht gesehen hatte –. Ich will die Worte nicht wiederholen die Sie nur ärgern
und Sie nur versichern daß man außer den Eigenschaften die Sie nicht haben wollen
noch etwas in Ihnen erkennt das man von Herzen liebt. Es war schon 1/2 10 Uhr
als auf einmal jemand eintrat den ich nicht ohne lebhafte Überraschung, aber
doch sogleich für den Bildhauer Tiek erkannte, den ich vor 15 Jahren zum letzten
mal in Weimar sah – er kam dorther, hatte beÿ Goethe seine Zeit zugebracht
u berichtete daß dieser gar lieb, heiter u milde seÿ – zufällig erfuhr Tiek
daß ich sonnabends zu finden seÿ u kam noch so spät – es machte mir viel
Freude da ich ihn oft in Weimar damals gesehn –. Er ist betrübt daß ich ent-
weder so weit wohne oder auch weder Rauch noch Schinkel ein Herz zu mir
haben, da ich doch beÿde herzlich lieb habe und wohl sagen darf daß es nicht meine
Schuld ist wenn ihnen beÿ mir viel von Kunst gesprochen wird, da ich dies Bedürf-
niß des Künstlers kenne gerade im geselligen Kreis einmal von Gedanken u
Vorstellungen auszuruhn die andre Menschenkinder in müssigen Stunden
ergötzen aber gerade jenen in Stunden erschöpfender Arbeit oft sehr
drükend und in ganz andrer, ernster Gestalt zu schaffen machen. Das dümmste
oder wohl besser gesagt, loseste, heiterste Gespräch ist dem abgespannten
Denken gerade dann nothwendig und allein Erholung wenn andre vor-
nehme Menschen leider ihre Kenntnisse u ihren Geschmak vor ihn auszukra-
men pflegen – Hierin habe ich mich nie selbst versündigt u vielleicht
manchmal zu wenig mit geehrten Künstlern und Dichtern über ihre Werke u
von meiner Bewunderung nur in dem Gefühl der Pietät gesprochen:
diese armen Männer doch einmal ausruhn zu lassen von ihrer Größe.
Wir liesen uns von Tiek Carara beschreiben wo er so lange gehauset hat –
weiter ward auch nichts von Kunst verhandelt.
Daß ich bei Graf Rechberg ein Conzert erlebt habe wo eine baÿrische artige
junge Sängerin sich hören lies u auch Volkslieder zur Guitarre accompagnirte
und ihr Bruder 6–7 Jahre alt das Violoncell sehr gut u besonders mit
kindischer Anmuth spielte darf doch auch nicht vergeßen werden. Desgleichen
ein kleiner Thee beÿ Gen: Knesebeck, wo nur General Müffling, der
weimarische Charge d’affaires, u ein paar Damen
waren. Knesebeck las
ein sehr einfaches, würdig u sehr gut geschriebnes Gedicht
vor das er beÿ der
Nachricht von Kotzebues Mord an demselben Abend niedergeschrieben. Es
hätte gleich erscheinen sollen, denn erst jetzt fängt man an sich zu besinnen

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daß ein Meuchelmord keine Heldenthat ist. Auch in der hiesigen Kunstwelt
habe ich mich etwas umgesehn u Kohlrausch
Sammlung unter andern besucht,
die nicht sehr groß aber so wohl geordnet u mit so glücklicher Auswahl
gemacht ist daß sie einen sehr reinen Genuß gewährt u mit eigner
Bestimmtheit des Karakters ein in sich gerundetes Bild in der Seele zurük-
läßt. Er hat durch einen günstigen Zufall auch Zeichnungen u Gemählde
von neuern Künstlern, originelle rasche Produkte frisch sich regender
Geister, die dann doch beweisen daß wir in diesen letzten 50 Jahren
ein gutes Stük in der Kunstansicht fortgeschritten sind. Weniger hat
mich Rühls Sammlung
angesprochen der lauter Originale, einige höchst merk-
würdige Stüke sogar, aber kaum ein paar besitzt die ich mir anzueignen
wünschen könnte – die übrigen mögte ich sogar nicht geschenkt haben
wenn ich nicht die Erlaubniß hätte sie sogleich zu Geld zu machen.
Hierin bleibt mir die Boissereische Sammlung
doch ewig einzig daß sie auser
ihres Großen Reichthums an Vortrefflichem auch nicht ein einziges Stük ent-
hält daß man nicht mit Freude und Andacht in seiner nächsten Nähe
immer sehen mögte – Dieses Glük u diesen Sinn macht ihnen so leicht
keiner nach –. So sah ich letzthin auch Solly's Sammlung, auf die ich wie
Kinder auf den heil. Krist gespannt worden und wünschte daß ich die Meinung
so vieler theilen könnte die sich dran entzüken. Sie werden ja auch einmal
in diese heilgen Hallen eingelassen werden. Ich sehe schon Ihr Gesichtgen
ganz verdrießlich über die Zeilen hin suchen wo sie nur Kunstgespräch
aber nicht was Sie wollen gefunden haben – Geduld! Das beste spare
ich immer auf zulezt. Sie sollen also wissen liebe Bettine daß ich lezten
Dienstag mit Ihrer Schwester, Schwager, Fr. von Bardeleben, Klausewitzen u Maj:
Eichler u Helvig versteht sich in Stralau
Mittag beÿ Gneisenau gegessen
habe – Es war ein hübscher Tag, obschon der Wind anfangs die Farth fast
unangenehm machte – Der Pavillon am Wasser nahm uns alle gastlich
auf, man aß, trank, sprach und vertrug sich recht gut – der Kirchhof
und der schöne Schiklerische Garten am andern Ende des Orts wurde nachtisch
besucht – die Blüthenpracht neben einer hohen ganz gleichen Lindenallee schau-
te wie freundlich verheisende Jugend zwischen Männer Rathe durch. Eben
schritt Gneisenau munter zwischen uns daher als (auf der Straße) ein Mann
mit ernster Verbeugung und diesen Worten mit seltsam trister Steife ihn antrat:
„Ewr Excellenz, vergessen Sie doch Schlesien u das schöne Erdmannsdorff nicht!“ –
Wer von uns ein böses Gewissen gehabt hätte, würde sich über diese
verheerende Geisterstimme entsetzt haben, allein wir gingen alle auf rechtem

Seite „7v“

Wege und besahn' uns nur mit recht verschiedenem Gefühle den wunderlichen Kauz
mit dem der freundliche Feldherr nun länger sprach u der nun Goldberg, die
Gegend von Erdmannsdorff wohl mit Recht schöner finden mochte als das dürre
Stralau. Wie oft habe ich in wahrhaft uneigennütziger Freundschaft doch dasselbe
still für den verehrten Freund gewünscht! – Wie oft für seine Gesundheit,
seine Kinder, dem allgemeinen Ansehn das er gewünscht diese stille würdige Zurükge-
zogenheit als das passende Ziel seines edlen Lebens geachtet, bis neure Gefahren
ihn für das Vaterland in gesparter Thatenkraft aufrufen! –

den 13ten May
Beste! ich muß in diesem Augenblick schließen und kann Ihnen nur sagen
daß ich von Freitag an wo ich mit Ihrer Schwester beÿ Klausewitz
den Abend zubrachte in einer verdrieslichen Blindheit 4 Tage
zubrachte, u mit der Furcht es noch länger so aushalten zu
müssen. Ein schlechter, aber nein, kein schlechter Roman weil
er nicht unnatürlich war, von Caroline Pichler hatte mir so
viel Thränen gekostet u ich hatte an den 4 Bänden
in wenigen
Stunden so gewaltig gelesen daß die Rose mein Auge angriff.
Seit zweÿ Tagen bin ich wieder sehend aber auch schon in
größter Hast an meinem Palma Vecchio
beschäftigt den
Maler Raabe so klug war in Dresden zu copiren u den ich
nun nach seiner Miniature zur Vollendung meines
Bildes benutzen muß u zwar in wenigen Tagen da er ab-
reiste – Goethe d. jüngere ist hier mit seiner Frau, ich
esse morgen mit ihnen beÿ Brühls
u werde Ihnen bald
davon erzählen was ich weis. Ich will lieber enden
als Sie länger auf dieses Blatt warten lassen.
Küssen Sie mir die Kinder
, grüßen den Mann
von mir u Helvig der Ihrer sehr freundlich gedenkt
u behalten im freundlichen Andenken

Den Donnerstag beÿm Postschluß.
Ihre
Amalie vImhoff.