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Berlin

St. Petersburgh. A Journal of Travels to and from that Capital; Through Flanders, the Rhenish Provinces, Prussia, Russia, Poland, Silesia, Saxony, the Federated States of Germany, and France. By A. B. Granville, M. D. In Two Volumes. Vol. I. Second Edition. London: Henry Colburn 1829, S. 263.

Die vormalige preußische Hauptstadt ist in mehrfacher Hinsicht von besonderer Bedeutung für das Leben und Schreiben der acht Autorinnen des Projektes und vieler ihrer Korrespondentinnen und Korrespondenten, vor allem aber – und das ist vielleicht der wichtigste Aspekt – für die Entstehung der Sammlung Varnhagen, in der die vielfältigen und geografisch weitreichenden Korrespondenzbeziehungen dieser Individuen erhalten und in einen archivarischen Zusammenhang gebracht wurden.

Als Karl Augst Varnhagen von Ense um 1830 in Berlin damit beginnt, erinnerungswürdige Schriftstücke zu sammeln – zunächst vor allem solche seiner damals noch lebenden Frau Rahel – liegt es gerade 50 Jahre zurück, dass König Friedrich II. von Preußen in seiner bei Decker in Berlin erschienenen Schrift „De la litterature allemande“ die Unzulänglichkeit und Rückständigkeit der deutschen Literatur – insbesondere gegenüber der französischen – statuiert hatte. Die kulturelle und namentlich literarische Dynamik, die sich in Berlin und andernorts zu dieser Zeit längst zu entfalten beginnt, war dem Monarchen bekanntlich nahezu vollständig entgangen. Varnhagens Sammlungsidee entfaltet sich indes im vollen Bewusstsein der literarischen, musikalischen, künstlerischen und wissenschaftlichen Blüte, die seit dem Ausgang des 18. Jahrhunderts aus einer Verbindung von klassizistisch-idealistischen, romantischen und frührealistischen Strömungen in Berlin hervorgeht. Die gelebte und geduldete Widersprüchlichkeit dieser Positionen ist denn auch eine besondere Qualität nicht nur des gesellschaftlichen Lebens im Berlin dieser Zeit, sondern auch der Dokumente in der Sammlung Varnhagen, den Sammlungsausschnitt der im Projekt behandelten Dokumente. Die Mehrzahl der edierten Autorinnen hat selbst in Berlin oder seiner Umgebung zumindest zeitweise gewohnt – mit festen oder wechselnden Adressen in der Residenzstadt, die um 1820 die Schwelle zur 200.000-Einwohner-Metropole überschreitet: Amalie von Helvig führt zeitweise einen der bekannten Berliner Salons, Caroline de la Motte Fouqué wechselt ihren Aufenthaltsort häufig zwischen Nennhausen und Berlin; Helmina von Chézy und Karoline Woltmann sind gebürtige Berlinerinnen, doch führt beider Lebensweg über andere europäische Zentralstädte wie Paris, Wien und Prag, wobei ihre Biographien gleichwohl in vielerlei Hinsicht von der preußischen Politik abhängig bleiben. Auch haben zahlreiche Verleger der Bücher, die in den Briefen erwähnt werden, ihr Verlagshaus in Berlin. Karl August von Varnhagen wusste wohl, dass seine Sammlung auch eine Art Summe dieser besonderen Konstellation sein würde. Wenn er schreibt, dass die Gegenwart sich dadurch auszeichne, dass sie „die Eigenthümlichkeiten jedes Orts und jeder Landschaft“ sammelnd zu bewahren suche, dann gilt diese Einschätzung zweifellos in besonderem Maße auch für die preußische Hauptstadt.

Jörg Paulus
St. Petersburgh. A Journal of Travels to and from that Capital; Through Flanders, the Rhenish Provinces, Prussia, Russia, Poland, Silesia, Saxony, the Federated States of Germany, and France. By A. B. Granville, M. D. In Two Volumes. Vol. I. Second Edition. London: Henry Colburn 1829, S. 263.

Literatur

Karl August Varnhagen von Ense:
Tagebücher. Bd. 3.
Leipzig: Brockhaus 1862.

Cord-Friedrich Berghahn und Conrad Wiedemann:
Berlin um 1800. Deutsche Großstadtkultur in der klassischen Epoche.
Hannover 2019.