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Brief von Fanny Tarnow an Helmina von Chézy

[Hamburg], [nach dem 18. Januar und vor dem 1. Februar] 1820
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 241 Tarnow Fanny, Bl. 56-58 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Fanny Tarnow
Empfänger/-in
Helmina von Chézy
Datierung
zwischen dem 18. und 31. Januar 1820
Absendeort
Hamburg
Empfangsort
Dresden
Umfang
6 Blätter
Abmessungen
Breite: 130 mm; Höhe: 210 mm
Foliierung
Foliierung in Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription und Annotation durch Renata Dampc-Jarosz; Auszeichnung nach TEI P5 durch Betty Brux-Pinkwart; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „56r“

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[Karl August Varnhagen]Fanny Tarnow
an Fr. von Chézy.

Willkommen, meine theure Helmine, willkommen
in dem neuen Jahre,
von dem ich hoffe, daß es uns manche
schöne, vereint verlebte Stunde schenken wird.
Ich war
am Sylvesterabend ganz einsam, denn in der großen Gesellschaft
in der ich ihn zubringen sollte mochte ich nicht seÿn, u konnte
nun so recht im Stillen mit Dank u Rührung von dem entflie-
henden Jahre Abschied nehmen. Am Neujahrstag selbst war
in mir u außer mir alles festlich heiter u wie ein
[×××]gruß erblühete in mir die Ahnung, es bedeute
mir ein schmerzensfreies, ein heitres Jahr. Ich dachte
so viel an Sie u empfand eine recht lebendige Sehnsucht
Ihnen zu schreiben, allein am 2ten Januar erhielt ich
den Besuch einer theuren Freundin,
die 16 Tage bei
mir blieb, in deren Verlauf an keine einsame
Stunde zu denken war. Nun kam Ihr Brief mit einer
Abschrift der Weihnachtsblumen
für Malsburg – ich empfand
mit Ihnen – ich ahnete wie manche trübe Stunde in jenen
5 Wochen, von denen Sie mir schreiben, durch Ihr Leben
gezogen war.
Allein wie grausam ist es, daß Sie mir
von einem 8 Seiten langen Brief schreiben, den ich
aber erst mit der Fortsetzung des Lit. Merkur's
haben
soll! wer weiß, wann die kommt, da Hr. Hilscher keine
Neigung zu haben scheint, von meinem Daseÿn ferner
Notiz nehmen zu wollen. Auf jeden Fall, liebste Hel-
mine, behaupte ich mein Eigenthumsrecht an diesem Brief;
vielleicht theilen Sie meinen Widerwillen alt gewordene
Briefe noch abzusenden – allein ueber diesen Brief
haben Sie kein Recht mehr u ich leges es Ihnen ans
Herz dafür zu sorgen, daß ich ihn je eher, je lieber
erhalte. Können Sie Hilscher bewegen mir die
Fortsetzung des Merkurs zu senden u zugleich
die Kleinigkeit für meine Erzählung
zu berichtigen
so wäre mir das gerade jetzt sehr willkommen.

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Ihr Brief liegt vor mir u soll meiner Beantwor-
tung zum Faden dienen.
Es freut mich meinen Bourbon
in Ihren Händen zu wissen,
Liebe Helmine, Sie sind so nachsichtig, so gut gegen
meine Schreibereien, wie es das wahre Talent immer
gegen das schwächere ist. Glauben Sie nur nicht, daß
ich diesen Standpunkt zur Festsetzung unsrer beiderseitigen
litterarischen Wirksamkeit, je aus den Augen ver-
liere; meine innerste, lebendigste Ueberzeugung
hält ihn mir unverrückt vor's Auge u es macht mich
froh, daß es so ist: ich sehe lieber hinauf als hinunter.
Mein Bourbon hat einzelne nicht ganz mißlungene
Stellen u wenn ich, frei von Nahrungssorgen, noch
einige Monate seiner Feile u Ausarbeitung hätte
widmen können, so wäre er wohl Ihrer Nachsicht et-
was würdiger geworden. Schreiben Sie mir nun
recht offen Ihr u Ihrer Freunde, denen Sie ihn vorge-
lesen haben, Urtheil ueber ihn. Es ist mir nicht um
Lob, sondern um Belehrung zu thun. Ach, liebste Hel-
mine, wüßten Sie, wie unzufrieden ich mit allem
bin, was ich schreibe! – ich könnte mehr leisten, dürfte
ich mich einmal wieder, wie bei einigen meiner früheren
Werke, ungestört von außen, in die Tiefe meiner
eignen Empfindungen, meiner Erfahrungen versenken –
aber ich muß leben u der Nothwendigkeit gehorchen die
mir das zu dürfen versagt. –
Es liegt mir alles daran für Bourbon bald einen Ver-
leger zu erhalten. Der elende Gebauer hat mich
auf eine wirklich ehrlose Weise um eine Summe
betrogen u geprellt, die ich sehr entbehre. Ich habe Geld
genug ausstehen, aber wann werde ich dies erhalten u
ich brauche zu Ostern Geld, um meine Miethe u meine
Reise bezahlen zu können. Erhalte ich noch bis
dahin einen Verleger der sich dazu versteht mir
bei Ablieferung des Mkspts 25 Louisd'or zu
zahlen, so bin ich aller meiner Sorgen los.

Seite „57r“

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Ist in Dresden kein Buchhändler, der dazu Lust hat? – oder
vielleicht Brockhaus? – ich verstehe mich auf nichts weni-
ger als mir einen Verleger zu suchen – [×××]
können Sie, liebste Helmine, mir diese Sorge vom
Herzen wälzen, so werde ich es Ihnen innig Dank wissen.
Schreiben Sie mir doch ein Wörtchen darüber u ob
Sie schon einen Versuch gemacht haben.
Was Sie mir von dem jungen Curländer u von Ihrer Sorge
um ihn schreiben, hat mich sehr interressirt. Gewiß, liebste
Helmine, es ist mehr werth ein wundes Herz u Gewissen
zu erquicken, zu trösten u zu heilen, als dem Mangel
äußrer Lebensbedürfnisse abzuhelfen – mich dünkt, wir
Frauen haben von Gott selbst den Beruf erhalten,
in diesem geistigen Sinn barmherzige Schwestern
zu seÿn. Kein Mann versteht den Unglückl. wie
wir ihn verstehen. –
Wenn ich daran denke, daß ich diesen Sommer mit Ihnen in
Schandau leben, Herz u Seele an den Genuß von Freund-
schaft u Natur erquicken soll, so treten mir die
Thränen ins Auge u diese Hofnung erscheint mir
viel zu schön für mein kleines Leben u für mein
bisheriges Schicksal. In den letzten Tagen des Aprils,
oder in den ersten des Maÿs denke ich bei Ihnen
zu seÿn, gleichviel ob ich Sie dann noch in Dresden
treffe, oder in Schandau aufsuchen muß. Paßt es
zu Ihren Planen, meine Helmine, so verspare ich
mir dann bis zum Herbst die Einrichtung einer
eignen Wohnung; Sie miethen für mich in Schandau
in dem von Ihnen bewohnten Hause ein Zimmerchen –
Könnte ich noch eine kleine Kammer zur Aufbewahrung
meiner Sachen dabei haben, so wäre mir dies lieb –
allein ich kann mich auch für den Sommer, mit einem
Zimmer behelfen. Bücher, Leinzeug, Wäsche, sende
ich von hier in einem großen Coffre zu Wasser
nach Dresden u bringe selbst nur das mit, was
ich für den Sommer an Kleidung u Wäsche gebrauche.
Schreiben Sie mir, liebste Helmine, ob Sie schon

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ein Quartier in Schandau gemiethet haben, ob sich in
demselben Hause oder in dem nächsten für mich ein
Zimmer finden lassen wird u was wir Miethe
zahlen müssen. Ich gebe hier monatlich beinah dritte-
halb Louisd'or Miethe – 100 rth schwer Geld
jährlich, für unmöblirte Zimmer – theurer ist
es, nachdem was ich höre, gewiß in Schandau
u Dresden nicht. Mit dem Tisch wird sich ja
auch alles einrichten lassen – Ein Mädchen bringe
ich nicht mit u denke mir erst im Herbst eins
in Dresden zu miethen. Bettÿ lasse ich bei ihrem
Vater
in Berlin, wenigstens für die ersten
Monate. Wenn Sie wüßten, meine Helmine, wie ich
alle Ihre Güte u Liebe für mich empfinde, wie mich
das Wissen darum beglückt, Sie würden Sich
ueberzeugen, daß mein Herz Ihner Liebe werth
ist. Eine innre Stimme sagt mir, daß ich in Ihrer
Nähe u in der Wunderluft jener Gebirge u Thäler
wieder gesunden werde u wahrlich es ist jetzt
nur physische Kraft die mir fehlt – mein Herz
ist sehr friedlich, mein Sinn heiter – ich fühle daß mein
Daseÿn ein im Kernim Kern gesundes Daseÿn ist u danke
Gott innig dafür. –
Wissen Sie, warum ich des Freiherrn Malsburg so selten
in meinen Briefen erwähnt habe? aus Blödigkeit –
la-
chen Sie nicht, aber ich habe gegen geistreiche Männer
die ich mir ueberlegen glaube, eine Art von Respect
der mich gegen sie blöde macht, ob mir dies gleich im Leben
vielleicht nicht so anzumerken ist, weil mir dann die
Form der Höflichkeitsverhältnisse zu Statten kommt
jene Ungleichheit auszugleichen. Auch ist es sonderbar,
ich kann mir den seelenvollen Dichter, den so zart dar-
stellenden Uebersetzer des Calderonn, nicht anders
als scharf witzig im Umgang denken – wie kommt

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[Karl August Varnhagen]z. Jan. 1820.
das? – aber dieser Instinct die Persönlichkeit von
mir ungesehener, mir interressanter Menschen
zu errathen, hat sich mir oft bewährt. – Schreiben
Sie mir doch ob ich Recht habe u nehmen Sie Sich ja
in Acht ihm meine Ahnung zu verrathen. Grüßen Sie
ihn aber von mir achtungsvoll u sagen Sie ihm, daß
ich mir die Freude seine persönliche Bekanntschaft
zu machen, wahrlich nicht gering im Anschlag
bringe, wenn ich an Dresden denke. –
Seit 14 Tagen ist meine Bettÿ zum Besuch nach Lübeck
verreiset u ich ganz allein. Meine mehrsten Abende
bringe ich im Theater zu, da unsre Bühne zu den
besten Deutschlands gehört u man ihren mehrsten
Mitgliedern den Namen Künstler in der ehrendsten
Bedeutung des Wortes nicht versagen kann. Wir
sehen dabei alle Woche wenigstens Eine neue
Oper oder Ein neues Stück. Die Albaneserin
ist
bei Seite gelegt, weil das Publikum kalt
blieb, ob gleich die Darstellung sich bis zur Vor-
trefflichkeit erhob – nun hat die Schoppe darüber
im Gesellschafter
Correspondenz-Nachrichten
eingesandt, die unseren Kritiker, Zimmermann
zur Wuth gereizt haben – er hat in den
Originalien
furchtbar gegen sie u gegen
den Correspondenten der Abendzeitung

Doctor Trummer – losgedonnert. Die Schoppe
wird hier allgemein mit der verächtlichsten Gering-
schätzung angesehen u kein honnetter Mensch geht
mit ihr um
– allein der Correspondent der Abendzeitung
ist auch etwas beissiger Natur u so wird wohl
ein Federkrieg dadurch veranlaßt werden. –
Haben Sie in den Originalien Zimmermanns Kritik
der Albaneserin
gelesen? – Müllner schreibt
darüber an die Redaction dieser Zeitschrift:

Diese Recension raube ihm das Eigenthumsrecht

Seite „58v“

an diese Dichtung, denn seit er sie gelesen,
habe er sich ueberzeugt, daß er, Müllner nämlich,
die Albaneserin
nur geträumt, Zimmermann
dagegen sie allein wahrhaft empfunden u dar-
gestellt habe –
Ein neues Trauerspiel „Ezzelino“
, vom dänischen
Professor Kruse, macht Glück auf unsrer
Bühne. Als Kunstwerk ist es nicht bedeutend,
aber es hat ein sehr reges dramatisches Leben,
das dem großen Haufen gefällt.
Gott gebe, meine Helmine, daß dieser Brief
Sie recht heiter, wohl u zufrieden antreffe.
Lassen Sie mich bald von Ihnen hören u gedenken
Sie meiner mit Liebe, wie ich Ihrer mit
den Segenswünschen der Treue u der zärt-
lichsten Freundschaft.
Ihre
Fannÿ.