Brief von Fanny Tarnow an Helmina von Chézy
o. O., 1. September 1819
Seite „42r“
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[Karl August Varnhagen]Fanny Tarnow an
Fr. v. Chézy.
Fr. v. Chézy.
den 1ten September 19.
Liebe, theure Helmine, wie hat mich Ihr Brief
wieder gerührt u mir das Herz mit Liebe
u Dank erfüllt! Man kann nicht herziger
seÿn als Sie. – Aber, Liebe, diesen Winter
muß ich hier bleiben – die Gesundheit meiner
Seele u meines Körpers fordert das. Stille,
Einsamkeit u Beschränkung auf den Umgang
mit einigen wenigen mir befreundete Men-
schen, sind Bedingnisse meines Wohlseÿns.
Ein zerstreutes, bunt geselliges Leben schreckt
mich u dem würde ich in Dresden nicht aus-
weichen können, wenn ich jetzt hin käme. Im
Frühling zertheilt sich der große Zirkel in
kleinere, u erwähle ich mir Dresden bei
genauerer Bekanntschaft mit seinen Lokalitä-
ten zum bleibenden Wohnort, so hat dann
gegen künftigen Winter mein Leben schon
eine feste Gestaltung gewonnen. Aber
mit den ersten Frühlingstagen bin ich bei
Ihnen. Ich gehe im März nach Berlin u von
dort geleitet mich dann Hitzig zu Ihnen.
Auch muß ich noch diesen Winter ganz unge-
stört sehr fleißig arbeiten, da ich mich vom
Zufall nie abhängig machen kann u darf.
Lassen Sie es mich Ihnen noch einmal wie-
derholen, Liebe: es ist u kann nicht mein
Plan u meine Absicht seÿn ein sogenanntes
Erziehungs-Institut anzulegen, allein
mich u dem würde ich in Dresden nicht aus-
weichen können, wenn ich jetzt hin käme. Im
Frühling zertheilt sich der große Zirkel in
kleinere, u erwähle ich mir Dresden bei
genauerer Bekanntschaft mit seinen Lokalitä-
ten zum bleibenden Wohnort, so hat dann
gegen künftigen Winter mein Leben schon
eine feste Gestaltung gewonnen. Aber
mit den ersten Frühlingstagen bin ich bei
Ihnen. Ich gehe im März nach Berlin u von
dort geleitet mich dann Hitzig zu Ihnen.
Auch muß ich noch diesen Winter ganz unge-
stört sehr fleißig arbeiten, da ich mich vom
Zufall nie abhängig machen kann u darf.
Lassen Sie es mich Ihnen noch einmal wie-
derholen, Liebe: es ist u kann nicht mein
Plan u meine Absicht seÿn ein sogenanntes
Erziehungs-Institut anzulegen, allein
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ich würde es der Vorsehung danken, wenn
sie mir zu meiner Pflegetochter Betty noch
ein oder zwei Kinder zuführte, bei denen
ich Mutterstelle vertreten könnte. – Suchen
mag ich nicht darnach – bin ich tauglich
dazu, so wird Gott sie mir zuführen
oder mir sonst einen Wirkungskreis für
das bereiten, was meine Verhältnisse nicht
bei mir in Anspruch nehmen – aber, liebste
Helmine, ich bin wahrlich willenlos u nur
bereit ganz so zu folgen, wie die Vorsehung
mich führen wird. –
sie mir zu meiner Pflegetochter Betty noch
ein oder zwei Kinder zuführte, bei denen
ich Mutterstelle vertreten könnte. – Suchen
mag ich nicht darnach – bin ich tauglich
dazu, so wird Gott sie mir zuführen
oder mir sonst einen Wirkungskreis für
das bereiten, was meine Verhältnisse nicht
bei mir in Anspruch nehmen – aber, liebste
Helmine, ich bin wahrlich willenlos u nur
bereit ganz so zu folgen, wie die Vorsehung
mich führen wird. –
Ich lege diesen Brief meiner Antwort an
Graf Kalkreuth ein. Wissen Sie die Ver-
anlassung zu seinem Briefe an mich u können
Sie mir etwas Näheres darüber sagen? –
Ihr Vater ist bei mir gewesen, Liebe.
Er scheint durchaus keine Neigung zu haben
auf die Aenderung seiner Lage, die Sie
ihm vorgeschlagen haben, einzugehen u
hat mich gebeten Ihnen das zu schreiben, weil
er selbst nicht in der Stimmung seÿ es thun
zu können. Ich kann seine Verhältnisse nicht
ergründen, liebste Helmine, er scheint sie
ins Dunkle halten zu wollen u daher
kenne ich auch nicht die Veranlassung seines
Trübsinnes – allein soviel ist gewiß, daß
Graf Kalkreuth ein. Wissen Sie die Ver-
anlassung zu seinem Briefe an mich u können
Sie mir etwas Näheres darüber sagen? –
Ihr Vater ist bei mir gewesen, Liebe.
Er scheint durchaus keine Neigung zu haben
auf die Aenderung seiner Lage, die Sie
ihm vorgeschlagen haben, einzugehen u
hat mich gebeten Ihnen das zu schreiben, weil
er selbst nicht in der Stimmung seÿ es thun
zu können. Ich kann seine Verhältnisse nicht
ergründen, liebste Helmine, er scheint sie
ins Dunkle halten zu wollen u daher
kenne ich auch nicht die Veranlassung seines
Trübsinnes – allein soviel ist gewiß, daß
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Ich habe ihm gesagt daß er mich ganz als seine die
Stellvertreterin seiner Tochter ansehen
solle, wenn es irgend darauf ankomme,
ihm seine Lage zu erleichtern u das, Theure,
ist bei mir keine Phrase – Seÿn Sie also
ueber seine Lage beruhigt; sie ist nicht so
uebel wie Sie Sich vielleicht denken. – Das
Honorar für Ihre Erzählung
werde ich ihm
vorschießen, wenn es sich mit der Auszahlung
verzögern sollte u ueberhaupt hoffe ich,
daß er, wäre oder käme er in Verlegenheit,
sich an mich wenden würde, da er mir heilig
hat versprechen müssen es thun zu
wollen. – Ihre Erzählung
ist sehr schön –
ich habe sie bei Lotzens mir rechter Lust
u Freude daran, vorgelesen. Ein
Exemplar der Originalien
erhalten
Sie künftig durch Hilscher. – Dieser
hat noch nichts von sich hören lassen –
hat er auch ueberhaupt meine Erzählung
bekommen? – Schreiben Sie mir doch
Wörtchen darüber. –
Von ganzem Herzen in Liebe u Treue
Ihre
Fannÿ.
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An
Frau Helmine von Chezÿ.
d.E.