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Brief von Charlotte von Ahlefeld an Helmina von Chézy

Schleswig, 25. Oktober 1819
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 1 Ahlefeld Charlotte von, Bl. 5-6 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Charlotte von Ahlefeld
Empfänger/-in
Helmina von Chézy
Datierung
25. Oktober 1819
Absendeort
Schleswig
Empfangsort
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 130 mm; Höhe: 210 mm
Foliierung
Foliierung in Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Renata Dampc-Jarosz; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

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[Karl August Varnhagen]Charlotte von Ahlefeld
an Fr. von Chézy.
Schleswig den 25sten Oct. 19.
Fast sind Monate vergangen, meine Theure Helmi-
na, seit ich das freundliche Dresden verließ, um
nach einem kurzen, aber unvergeßlichen Aufent-
halt in Weimar wieder nach dem rauhen Nor-
den heim zu fahren, und erst jetzt, nach so man-
chem innigen Gespräch in Gedanken, nach so
manchem herzlichen Besuch im Geiste, ergreife
ich die Feder, mich selbst über mein Zögern
wundernd, Ihnen das treue Andenken
auszusprechen, das ich Ihnen im Herzen
bewahre. Wie das gekommen ist? – ich weiß
es nicht, daß ich Ihrer gedachte, recht oft und
recht liebevoll, bezeugen Ihnen die obigen
Zeilen, und daß ich mich schon manchmahl
nach Ihnen sehnte, füge ich als einen Zoll,
den ich der Wahrheit schuldig bin, hinzu.
Aber ich war so entzweit mit dem Dinten-
faße, daß bloß die nicht in meinem Karak-
ter wohl aber in meinen Verhältnißen
liegende Geldgier es über mich vermochte
meiner kränkelnden Erna
nun den lezten
Gnadenstoß zu versezzen, der sie been-
det. Hammerich war hier und hat sie in
Empfang genommen, und in wenig Monaten
wird sie sich gedruckt Ihrer freundlichen
Protection empfelen. Hammerich ist sehr
mit ihr zufrieden, wäre er nur das gan-

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ze Publicum. Wie gern hätt ich Ihrer Feile das
Ganze noch unter worfen – aber leider, statt
weniger Strassen, statt den dunklen Allen, die
Kühlung hauchend zu Ihrer Wohnung führten, trennen
uns jetzt Steppen und Haiden, Ströme und Wälder.
Was Ihre Hand gestrichen hat, hab ich dankbar
hinweg gelassen – möchten nur im lezten Bogen
nicht ähnliche Auswüchse blinder Übereilung ent-
halten seyn. Eilig mußte ich das ganze beenden
– der Himmel gebe, daß es eine leidliche
Aufnahme finde.
Unsere Fanny traf ich leider, sehr verändert
an. Mager, mit der leuchtenden Röthe der Schwind-
sucht auf den eingefallenen Wangen, mit dem
so eignen Schimmer der Verzehrung im tieflie
genden Auge, doch ihr Geist hell und stark,
ihre Stimmung mild und liebevoll. Ich brachte
mit ihr so viele Stunden zu, als mein kur-
zer Aufenthalt in Hamburg nur gestattete.
Wehmuth im Herzen bei ihrem sichtlichen Ver-
gehen, das wohl mit eine Folge drükkender
Sorgen seyn mag, verließ ich sie, aber auch
ihr habe ich noch nicht geschrieben, ob sie mich gleich
dazu aufforderte. Indeß soll die nächste
Post, die Ihnen dies Blatt bringt, auch ihr
den treuen Gruß inniger Anhänglichkeit bringen.
Von meinem hiesigen Leben läßt sich wenig
sagen. Es ist eigentlich nun ein stilles auf mich
selbst Beschränktseyn. Nur sehr wenige Men

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schen hier sagen mir zu – die übrigen mißfal-
len mir, und mit verschloßenem Herzen und Lippen,
geh ich unter ihnen einher. Doch man macht sei-
ne Verhältnisse nicht selbst – eine höhere, oft
eiserne Hand formt sie nach einem Plane
der uns oft wiedersteht, wie die Pille, selbst
wenn sie vergoldet ist. Ich möchte aber
nicht dafür schwören, daß ich mich noch ein-
mahl im Leben zu der Energie ermanne,
mir einen andern Wohnort zu wählen.
Ohnstreitig würde es dann Dresden seyn,
für das ich recht eine zärtliche Vorliebe habe.
Weimar ist mir jedoch dies mahl auch recht lieb
gewesen.
Ich nahm meinen Weg von dort aus über den
Harz. Ich weiß nicht, ob Sie die Riesenmassen
seine Gebirgsketten kennen. Zwischen Wald
bewachsenen Felsen, neben glühender Mei-
lern und berußten Kohlebrennern vorbei
führte mich die einsame faßt halsbrechende
Strasse, gleichsam durch einen der Jahreszeit
vorgeeilten Winter, denn ein Schleier von
Reif lag auf den Fluren, und allenthalben
empfingen mich geheizte Zimmer. Und als ich wie-
der hinaus gelangte ins Freiere, und die mil-
de Septembersonne, nicht mehr von den hohen
Bergen abgehalten, in voller Kraft wieder
scheinen und wärmen konnte, da war es mir
wie oft im Leben, wenn ich eine rauhe

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Strekke zurück gelegt hatte, ich freute mich, daß sie
über wunden war, und doch ist mir die Rück-
erinnerung lieb.
Strafen Sie mich nun nicht für diesen inhalts-
leeren Brief durch Schweigen, sondern schreiben
Sie mir recht viel von sich und denen, die
Sie umgeben. Sehen Sie die Gensiken oft?
Was machen ihre interessanten Knaben? wie
geht es Tiek
und Malsburg? – Als ich
in Weimar war, sah ich die Werthern nicht
da sie in dunkler Nacht umgeworfen, schon
beschädigt worden, und dadurch nicht im Stande
war, während meines Aufenthaltes hinzukom-
men. Wie befindet sich Baron Bielefeld? Hat
er mich nicht unter die Ephemeren gezählt, die
nur einen Tag in dem Gedächtnis der Men-
schen leben, so bitte ich Sie, ihm meinen
freundlichen Gruß zu bringen.
Und nun für heute genug. Meine
Feder eilt, als könne sie jetzt durch Schnel-
ligkeit mein langes Zaudern wieder gut
machen. Schreiben Sie mir bald, aber
vergessen sie auf der Addresse ja die: ge-
bohrene Seebach
nicht, denn der Ahlefelds
giebt es wie Sand am Meer, und ungern
möcht ich, das mir bestimmten Briefe in fremde
Hände fielen. Mit treuer Herzlichkeit sagt Ihnen
jetzt ein flüchtiges aber liebevolles Lebewohl Ihre C.A