DE | EN

Brief von Helmina von Chézy an Karl August Varnhagen von Ense

München, 9. Januar 1841
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 47 Chézy Helmina von, Bl. 264-265 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Helmina von Chézy
Empfänger/-in
Karl August Varnhagen von Ense
Datierung
9. Januar 1841
Absendeort
München
Empfangsort
Berlin
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 135 mm; Höhe: 215 mm
Foliierung
Foliierung in Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Jadwiga Kita-Huber; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „264r“

264

[Karl August Varnhagen]
Helmina von Chézy.
München, den 9. Januar 1841
(zur Post d. 28. Januar)
Mit dem innigsten Dankgefühl für die Wahrheit, u den Antheil,
die ihren werthen Brief an Freund Hitzig so einleuchtend u so über-
zeugend machen, durchlese ich ihn wiederholt, u kann mich nicht enthalten
Ihnen gleich darauf zu schreiben. Was Sie, Verehrter, von Chézy sagen,
hat mir die Seele wolthuend durchglüht, u Sie haben Recht, seinem Fleiß
u seiner Sorgsamkeit, wie seinem Scharfsinn, die gründlichsten Leistungen
zuzutrauen
 – wo ich noch hinzusetzen muß, daß aus seinen Notaten her-
vorgeht, daß er diese hochwichtigen Arbeiten alle druckfertig hatte.
Da Sie an H. geschrieben, daß Niemand anrathen wird, eine im Elsaß deponierte Kiste
mit Handschriften unbesehen anzukaufen, so muß ich bemerken, daß ich, wenigstens
in der Reinschrift
meiner a. u. Immediat Vorstellung mich deutl. ausgesprochen,
daß ich das nicht verlange. Ich habe mich auf vorzunehmende Untersuchung be-
rufen – Diese kann auf das bloße Inhalt Verzeichniß nicht vorgenommen
worden seÿn
, u konnte nicht vorgenommen werden; meine Vorstellung enthielt
zwar die Bitte des Ankaufs, jedoch nur Bedingungsweise, im Fall der Werth
für Wissenschaftl. Nutzen bei der Untersuchung anerkannt würde; u sie war
eine bloße Anfrage ob unser herrlicher König, in diesem Fall überhaupt
dazu geneigt wäre
, einen solchen Ankauf zu machen?
Poley u Munk, zwei anerkannte tüchtige Gelehrte, davon Munk jetzt im
Auftrag des franz. Ministeriums in Aegÿpten ist, haben eigenständige
Verzeichnisse abgefaßt, welche 1833 zu Guizot kamen, von Poley
habe ich
Abschriften von seiner Hand, die von Munk habe ich mir selbst abgeschrieben,
sie ist so gründlich u geistreich, daß sie jeder, auch in der Abschrift für Original
oder vielmehr für ächt anerkennen muß. Ich werde beides hier abschriftlich

Seite „264v“

anbiegen, ich ersehe aus Ihrem Brief daß Sie mit dem großen Alex. v. Humboldt
u mit einem der liebevollsten Schüler meines sel. Gatten gesprochen haben,
mit Franz Bopp, der auch mir stets wolwollend u herzlich zugethan
war, innigsten Dank dafür! Ich hatte zuvor am 14 Sept. 1838 an Bopp
in dieser Angelegenheit geschrieben, u keine Antwort erhalten – doch ich
kann Ihm nur das freundschaftlichste Gefühl für Chézy’s Andenken, Ihm
nur den regsten Eifer für die Wissenschaft zutrauen, u wenn ich die
besagte Kiste hinzaubern könnte, so würde sein Entzücken über das
darin enthaltene Vermächtnis an die Welt ihn zum glühendsten
Eifer für dessen Beförderung hinreißen. Daß ich, u Chézy’s ver-
waiste Söhne,
die er so herzlich liebte, in der entsetzlichsten, traurigsten
Bedrängnis verkümmern, dürfte eine Anregung mehr für diesen Eifer seÿn,
und noch würde er bedenken, daß mich der Kummer drückt, ein so schätzbares,
heiliges Depot seit 8 Jahren zu besitzen, u dafür vor Gott, vor
meinem Gewissen, u vor der Welt verantwortlich zu seÿn, dies Depot
aber eine Fundgrube für wissenschaftliche Bestrebungen ist, die nicht verschüttet
werden darf, sondern gemuthet werden muß, u durch Bopp eine Beförderung
erhalten kann, die den Ruhm des großen Ministers auf seinen glän-
zendsten Schüler, dessen seltner Ruhm aber wieder auf die Gruft
des liebevollsten u sorglichsten Meisters, den es jemahls gab,
hinstralt, dann muß ja der Drang auf das Mächtigste erwachen,
zu einem Werk des Segens, das vor Gott u Menschen schön ist, die
Hand zu bieten! Indem ich dies alles schreibe, fällt mir ein, ich

Seite „265r“

265

sollte dasselbe an Bopp schreiben, aber ich bin zu matt, u bitte dringend ihm den
Brief zu zeigen.
Es war in Beziehung auf das Stück v. Calderon
daß ich Ihnen, mein Verehrter! schrieb,

mir erst wenn Sie meine Adresse haben würden, Ihre Meinung darüber mittheilen
zu wollen, ich dachte nicht dann, daß mich, wohin ich auch gehe, ein Brief
unter Umschlag an Rahels liebevolle Verehrerin, die edle Luise v. Heer-Hohenzollern
stets erreichen wird. Am Meisten lag mir daran, anzudeuten, daß ich keinen
unbescheidenen Wunsch nach schleunigem Durchlesen des Theaterstücks hege.
Da wir eben bei der Unbescheidenheit sind, so giebt es wol keine, die verzeihlicher
wäre, als der Wunsch gelesen zu seÿn. Haben Sie in Mundts Freihafen,
III u IV. Stück u im Morgenbl. meine Erinnerungen
gelesen? Der
liebe Name würde Ihnen daraus zuklingen, wie ein Nachtigallenton,
denn ich glaube nicht daß Rahel tiefer empfunden werden kann, als
von mir; je mehr ich sie lese, je klarer wird es mir daß auch kein
Wort aus den Briefen wegzubleiben hatte, u daß dieser vollständige Ab-
druck ihres Selbsts eine Ueberzeugung hervorbringen muß, die heilsam wirkt,
die arme Weibheit ist gar ein elend Ding, ein paar Engel ausgenommen,
die hie u da uns vom Himmel gegönnt sind. Ich könnte ein Buch drüber
schreiben, u das geschieht auch so wie mir’s leidlich geht, jetzt muß ich
in Rauch, Kälte, Entlegenheit, u allem, was Armuth Bitteres in Gift’gen
Nadelstichen mit sich führt, mir die Zeit zum Schreiben abringen, wie
der Tartarknabe seine Speise vom Baum herunter schießt. Das thut weh mit

Seite „265v“

bald 59 Jahren, bei unermüdlich angestrengtem Fleiß, treuer Häuslichkeit, u
redlich erworbner Berühmtheit – Still, sonst kommen die Thränen – 
Mein (ehmals) kleiner Schachkämpe, Max, jetzt in Augsburg, fleißig
u wolgelitten, spricht oft von Ihnen, ich werde ihn mit der Nachricht
Ihres gütigen Antheils erfreuen. Er war 3 Jahre in täglicher Todes-
gefahr
, in einem der allerbedenklichsten Gesundheitszustände, ihm stand
nichts bevor als ärtztlich gewaltsame Hülfe u selbst diese nur
als Vorläufer eines schmerzlichen Todes. Diesen Sommer empfahl
ihm der ausgezeichnete Stadtphysikus Dr. Kopp die Wasserkur – 
Sechs Wochen reichten hin, das Uebel von Grund aus zu heben,
er ist seit Anfang August hergestellt, u erblüht seitdem in
üppiger Kraft, Schönheit u Geistesthätigkeit. Ein Volksbuch
für die Wasserkur, wie ich eins denke, ist noch nicht da, u spottwolfeil
müßte es verkauft werden, ja, ausgetheilt, daß es überall hinkäme
die Sache ist zu wichtig, zumahl für das sittl. Gedeihen der Jugend, eine,
so wie jetzt durch frühe Wirrungen ruinierte Jugend mit zum Gräuel
u Entsetzen umherwandelnden Leichen, gab es nie. – A. Schoppe, auch
eine große Freundin des Wasser Trinkens u Flußbadens schreibt mir von der
theuern Rosa Maria Nachlaß, hieher geht alles den Schneckengang, ich
muß aber das Buch auftreiben. Bringen Sie unserm unschätzbaren
Hitzig den Ausdruck meines segnenden Andenkens – ach, Er leidet!! Er soll
leben u rüstig seÿn, mit ihm fällt eine Welt geistiger Wirkung
zusammen.
Empfangen Sie, Verehrter, gütig u wolwollend den Ausdruck
einer Gesinnung, die Sie fühlen u verstehn.
Helmina v Chezÿ
München, 9t Januar 1841.