Brief von Helmina von Chézy an Karl August Varnhagen von Ense
Genf, 20. November 1855
Seite „306r“
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[Karl August Varnhagen]
Hochverehrter, unaussprechlich theurer Freund!
Helmina von Chézy
Genf, den 30. November 1855.
Diesen Sommer hatte ich einen leichten Schlaganfall zu be-
stehn, der durch eine Erkältung verursacht wurde. Auch
Bertha wurde schwer und bedenklich krank. Es hat mich
in ein ziemliches Erstaunen versetzt, daß ich nicht ge-
storben bin; es scheint sich sogar mit mir beßern zu wollen
Der Schlaganfall traf die Zunge, man sollte meinen, bei Frauen
hätte das nicht viel zu sagen; es hat aber große Hemmung
verursacht. Meine strenge Gewissenhaftigkeit bei meinem
Werke, war eine zweite gewaltige Ursach der Hemmung
stehn, der durch eine Erkältung verursacht wurde. Auch
Bertha wurde schwer und bedenklich krank. Es hat mich
in ein ziemliches Erstaunen versetzt, daß ich nicht ge-
storben bin; es scheint sich sogar mit mir beßern zu wollen
Der Schlaganfall traf die Zunge, man sollte meinen, bei Frauen
hätte das nicht viel zu sagen; es hat aber große Hemmung
verursacht. Meine strenge Gewissenhaftigkeit bei meinem
Werke, war eine zweite gewaltige Ursach der Hemmung
Jede einzelne Stelle ist öfters durchgearbeitet worden.
Es ist mir ein wahrer Trost, daß Sie Sand’s Werke
so hoch halten, so werden Sie auch gegen Meins gerecht
sein. – Schonen Sie nur die Feder nicht, mit der Sie auszu-
streichen haben,
das Andenken der Meinigen kompromittiren könnte.
Es ist mir ein wahrer Trost, daß Sie Sand’s Werke
so hoch halten, so werden Sie auch gegen Meins gerecht
sein. – Schonen Sie nur die Feder nicht, mit der Sie auszu-
streichen haben,
und laßen Sie nichts stehn, was mich, oder
das Andenken der Meinigen kompromittiren könnte.
Ganz unerwähnt konnte ich nicht meinen ältesten Sohn
lassen, aber ich bin wie eine gute Mutter mit ihm
umgegangen, – und ich hoffe zu Gott; wir finden uns
lassen, aber ich bin wie eine gute Mutter mit ihm
umgegangen, – und ich hoffe zu Gott; wir finden uns
Seite „306v“
Jenseits wieder, wiewohl er unter die Schwarzen
gegangen ist. Gott hat nicht blos ein Vaterherz
Gott ist das Mutterherz im großen All!
gegangen ist. Gott hat nicht blos ein Vaterherz
Gott ist das Mutterherz im großen All!
Ich würde Ihnen längst geschrieben haben, wenn ich
nicht gehofft hätte schnell fertig zu werden, und wenn
nicht die vielerlei Friedensnachrichten mir die Hoffnung
eingeflößt hätten; der Horizont würde sich aufklären
Ich hoffe dies noch Heute, aber Gewißheit abwarten,
will ich nicht.
Leben Sie wohl geliebtester Freund! Möge der Früh-nicht gehofft hätte schnell fertig zu werden, und wenn
nicht die vielerlei Friedensnachrichten mir die Hoffnung
eingeflößt hätten; der Horizont würde sich aufklären
Ich hoffe dies noch Heute, aber Gewißheit abwarten,
will ich nicht.
ling Ihnen Kräfte neuen schönen Schaffens und er-
quickter Weltanschauung bringen. Werden Sie nicht nach
Nizza gehen? Tieck konnte es nicht. Er würde wieder
grade geworden sein! Er hat mir das einmal weit-
läuftig erklärt. Die Gründe die er mir angab, wird
Ihnen Ihr ärztliches Wissen sagen. Auch ich kann nur in
Nizza genesen, aber mir fehlten die goldenen Schwingen
Jetzt kann ich nicht einmal die Füße zu ein paar Schritten
regen, so widerwärtig mir der Gedanke an Italien
ist. Auf Wiederfinden also, denn wir finden uns
wieder! Von ganzer Seele die Ihrige. Helmina v. Chézÿ.
Seite „307r“
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[Karl August Varnhagen]Bertha Borngräber
im Buche antreffen theils ortographische, so wie auch
hinsichts der Eintheilung, und Zeichen. Meine Schule
war zu dürftig, mein Lehrer war ein sehr alter Mann
früher Kleidermacher. – Sodann berichtete mich auch die
Kousine bisweilen unbedacht, wo sie nachher selbst ge-
stand, daß es nicht recht geeignet zum Druck geschrieben
wäre. Doch ich vertraue Ihrer Nachsicht und Huld
Hochverehrtester Gönner!
Meine Kousine ist jetzt sehr Geistesschwach, manch-
mal Geistesabwesend, und ich danke Gott, daß das
Buch so weit gediehen ist, denn nun wäre es unmöglich
Mein Opfer ist groß was ich hier bringe. Hier heißt
es darben, und kämpfen, diese schwere Krankheit, sodann
die Heftigkeit in jeder Beziehung, – Ach! wo wären
Worte Alles zu bezeichnen. „Es schlummerte in mir
ein Fünkchen Dichtergluth, ich habe in meiner Heimath
mal Geistesabwesend, und ich danke Gott, daß das
Buch so weit gediehen ist, denn nun wäre es unmöglich
Mein Opfer ist groß was ich hier bringe. Hier heißt
es darben, und kämpfen, diese schwere Krankheit, sodann
die Heftigkeit in jeder Beziehung, – Ach! wo wären
Worte Alles zu bezeichnen. „Es schlummerte in mir
ein Fünkchen Dichtergluth, ich habe in meiner Heimath
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manches Lied im Kreise meiner Lieben, und werthen Freun-
de gesungen, und glaubte hier den Geist mehr anfeuern
zu können, – Leider sind die Schwingen hier so gelähmt
worden, daß sie sich gar nicht lüften können.
de gesungen, und glaubte hier den Geist mehr anfeuern
zu können, – Leider sind die Schwingen hier so gelähmt
worden, daß sie sich gar nicht lüften können.
Sollten Sie Verehrtester Herr Geheimrath noch
besondere Autographen wünschen, dürften Sie dieselben
freundlichst mir namhaft machen, ich werde nun etwas freier
athmen, da das Buch fort ist, und eher einen Augenblick
Zeit zum Suchen haben, und die noch vorhandenen Briefe
sortiren.
besondere Autographen wünschen, dürften Sie dieselben
freundlichst mir namhaft machen, ich werde nun etwas freier
athmen, da das Buch fort ist, und eher einen Augenblick
Zeit zum Suchen haben, und die noch vorhandenen Briefe
sortiren.
Verzeihen Sie daher der Sclavin, und nehmen Sie
die freundlichsten Empfehlungen von
Ihrer
Genf den 20ten November
1855.
die freundlichsten Empfehlungen von
Ihrer
Genf den 20ten November
1855.
dankbaren
Bertha Borngraeber.
Beiliegendes Blatt ist der Schluß
des Buches.
Bertha Borngraeber.
Beiliegendes Blatt ist der Schluß
des Buches.