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Brief von Helmina von Chézy an Karl August Varnhagen von Ense

Genf, 17. Februar 1855
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 47 Chézy Helmina von, Bl. 294-295 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Helmina von Chézy
Empfänger/-in
Karl August Varnhagen von Ense
Datierung
17. Februar 1855
Absendeort
Genf
Empfangsort
Berlin
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 210 mm; Höhe: 265 mm
Foliierung
Foliierung in Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Jadwiga Kita-Huber; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „294r“

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[Karl August Varnhagen]
Helmina von Chézy.
Genf, den 17. Februar 1855.
Theurester Freund!

Ich muß Ihnen schreiben, wie mir einst Jean Paul schrieb „Ich habe
große Sünden an Ihren Tugenden begangen, und Ihr Schreibtisch muß mein
Beichtstuhl werden.
Schon seit langer Zeit lebe ich im Bette, denn Arbei-
ten ist Leben, und wir sind fleißig, Bertha und ich. Nun aber hat der
Winter nach Friedrich Schlegels Ausdruck, eine Menge kleiner
Winterchens nachgebracht. Ich glaube, Genf kann es so ziemlich mit
Sÿbirien aufnehmen. – Meine Gicht hindert mich in das kalte Zimmer
zu gehen, denn es ist unheizbar. Ich stehe beschämt vor Ihnen! An dem
Arnimschen Manuskript
habe ich nichts wieder herstellen können, und
noch keine Autographen suchen können, und ich wüßte sie so gern in Ihren
Händen, doch hoffe ich, ich werde glänzend wieder gut machen, so wie eini-
ge laue Tage wieder kommen. Wir haben seit einigen Wochen feiern

müßen, weil ich sehr ermattet war. Statt Memoiren zu schreiben
haben wir welche gelesen. Von George Sand kenne ich nun 3 Bü-
cher, und von den Schriften der Ida Hahn-Hahn habe ich das Versäum-
te nachgeholt. Eine sehr liebenswürdige Dame, die Hofdame der
Großfürstin Constantin, schickt mir Bücher aus ihrer Bibliothek.
Ihre Anthologien sind ziemlich reich, mit Liedern von mir ver-
sehen, das freut mich. Meine Muhme hat sich viele davon abge-
schrieben, die ich nicht mehr besaß. Man sollte solche Anthologien in
ungebundner Rede sammeln. Die Schönsten darinn würden aus
Rahels Briefen sein. Hätten Sie keine Lust dazu? Heinrich Heine
klagte mir einmal mit feuchten Augen, daß die seinigen von Rahel
verbrannt sind. Ich habe lange nichts von ihm gehört. Er könnte le-
ben und blühen. Jeder Gedanke an ihn ist ein Schmerz. Wenn nur George
Sand sich mit erneuter Kraft emporschwingen könnte!

Seite „294v“

Sie verursacht mir schweren Kummer, weil ich sie von Herzen
liebe. Die Memoiren
der Genlis haben mich auch ihrer Zeit sehr geär-
gert, noch insbesondere wegen der handgreiflichen Lügen. In meinen
Denkwürdigkeiten
wird man Vieles über sie finden, doch sind mir
die Hände gebunden, ich kann nicht Alles sagen, was ich über sie
weiß. – Sie wollte mir wohl, und 14 Monate lang habe ich un-
ter ihrem Dache geschlafen, und ihren Bissen Brod getheilt, den sie
verdienen mußte. Wozu auch den bellenden Cerberus
, den Honig-
fladen in den Rachen werfen. Ich kann noch immer mein Herz nicht
von ihr losreißen, denn in ihr lag Großes, Schönes, und Gutes. Sie war
der erste Gegenstand meiner Anbetung! Die erste Säule, an welcher
sich Herz und Geist heraufrankte. Ich sehe sie jetzt ohne Nimbus
aber nicht ohne Glanz, und gerade, weil sie mir in ihrem wahren
Lichte erscheint, ist meine Empfindung für sie liebevoller, ich liebe sie
neu, wie Jener die Bourbons „wie wol und weil! Was sa-
gen Sie dazu, daß ich meine Memoiren „Unvergeßliches aus mein-
em Leben nennen will. Ehemals wollte ich sie Denkwürdig-
keiten heißen. Ich neige auch sehr für den Titel „Unvergeßenes
Ach! Was muß Arnim gelitten haben, daß er schreiben konnte
„Von der ganzen gepriesenen Ewigkeit ist vergessen die höchste
Seligkeit. Ich hatte keine gute Ahnung seinetwegen, ich schrieb an
Adelbert einst: Es kommt mir vor, als trüge Bettina ihren Mann
auf Händen, und träte ihn mit Füßen. Ich weiß nicht, ob ich Ihnen
schon erzählt habe, daß Bettina mir eine Feder ausgerupft hat
um sie der Günderode
in den Flügel zu stecken, nehmlich ein Lied, wel-
ches in einem Almanach mit meinem Namen stand, ohneweiteres es der

Seite „295r“

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der Günderode beimischt, und es dazu sehr geistreich lobt, es steht in ver-
schiedenen Anthologien, sie nennen es: „Das Lied der Liebe“.
Die Sache
hat mich sehr ergötzt, doch nun, wo H. Richard Wagner von mir
spricht, als wäre ich kein wahrer Dichter, wo Adelbert in
einer üblen Laune, in einem Brief an Hitzig
sagt: „Sie ist lieder-
reich, keine Dichterin.“ Dünkt es mich an der Zeit, die Wahrheit
aufzudecken, damit die Verkleinerer sich auf die, welche so von
mir sprechen, erfahren, daß das Lied der Liebe nicht das Werk
der gepriesenen Günderode, sondern von Helmina ist.
Meine Denkwürdigkeiten
stehen auf dem Standpunkt: ich weiß den
Titel nicht mehr, ich glaube Umriße aus Napoleons Tagen
, Theodor
Mund
hat diese Titel gemacht, und hatte wahrlich nicht ohne Grund
viel Änderungen getroffen, zum Glück habe ich mein Manuskript noch
und kann es wieder herstellen, ich nahm es in dies Werk auf. Ich möchte
Ihnen wol eine Bitte schreiben, doch ich wage es kaum, den Vorfall
bei Fürst Schwarzenberg
hätte ich gern aus Ihrer Feder, mit oder
ohne Namen, in Form eines Briefes an mich, die damals in Montmo-
renzi
wohnte, ist daß nicht eine unverschämte Zumuthung?
Pilat hat mir seiner Zeit erzählt, wie sie sich in jener Nacht aufgeop-
fert haben, ich glaube nicht, daß ich eine Silbe davon vergessen, doch dürf-
te eine Nachhilfe wichtig und willkommen sein. Zürnen Sie mir
nicht über dies Ansinnen, es geschieht meinen Lesern zu Liebe, als Augen-
zeugin kann ich nicht sprechen, denn ich war nicht bei diesem Feste. Ich
stand mit Chezÿ an meinem Fenster in Montmorenzi, und wir be-
trachteten ahnungsvoll und sinnend die Jubelflammen, von denen
ein Funke auf den schwarzen Fittigen der Zeit langsam, aber sicher nach
Moskau hinüber sprühte. Sagen Sie doch, mein theurer Freund! Ob Sie dann nicht

Seite „295v“

Ihre Memoiren angefangen haben. Sie sind sie uns eigentlich schuldig.
Vor Jahren habe ich mich wegen der Anthologie unvollkommen ausge-
drückt, ich meinte, eine Blumenlese von Frauenhänden. Wie schön könn-
te man z B, Aphorismen aus mehreren Werken von Ida Hahn Hahn samm-
len. Ich habe in München Bistram viel gesehn. Er war ein seltner Mensch
Der Zeitpunkt für Erscheinung meiner Memoiren
ist wol nicht günstig.
Die Zeit liegt im Kreisen, die Geburtswehen sind jammervoll
zu einer natürlichen Geburt mit gesunden Gliedern wird es nicht kommen
Rahel sagt zwar; Es wird Alles anders, der Frühling grünt, und
die Erde gebiert, wie mich dünkt setzt sie hinzu, und Nichts kommt
wie wir es Voraus gesehn. – O Rahel! immer mehr und mehr
wird die Menschheit das Erbtheil verstehen lernen, das sie dir ver-
dankt. Sagen Sie mir doch mein herrlicher Freund! Wenn es Ihnen
nicht unbequem fällt; wo ist denn Richard Spazier? Sie wissen
vielleicht so gut als ich, daß Ludwig Thieck sein Vater war.
Und nun gute Nacht! Ich möchte gar zu gern von Ihnen erfah-
ren, ob Sie an mir nicht zweifeln, und über mich nicht zürnen
mehr verlange ich nicht bis auf Weiteres!
Genf den 7ten Februar
1855.
Helmina v Chézÿ.
P.S. Von Frau von Olfers und Herrn
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