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Brief von Caroline de la Motte Fouqué an Rahel Varnhagen von Ense

Nennhausen, 13.–22. [Februar 1812]
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 60 Fouqué Caroline de la Motte, Bl. 38-40 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Caroline de la Motte-Fouqué
Empfänger/-in
Rahel Varnhagen von Ense
Datierung
13.–22. Februar 1812
Absendeort
Nennhausen
Empfangsort
Berlin
Umfang
3 Blätter
Abmessungen
Breite: 190 mm; Höhe: 230 mm
Foliierung
Foliierung in Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Renata Dampc-Jarosz; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Erstdruck in: BP, S. 132–136.

Seite „38r“

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[Karl August Varnhagen]Frau von Fouqué an Rahel.
den 13t.

Soll ich Ihnen in dieser unruhigen Zeit schreiben! soll ich
Ihnen von den Unannehmlichkeiten erzählen, die hier und
überall das Gemüth niederdrücken, das Herz zusammenpressen,
das Leben verbittern! Liebe Rahel! Ich bin jetzt oft bis zu
Thränen betrübt. Ich füge mich sonst leicht in das Unabänder-
liche, aber es ist als könnte ich mich hierin nicht fügen. Lassen
Sie sich von Neumann sagen wie es hier ist, wie ein ganzer
Etat major das Haus einnimmt, wie man nur leere Worte
hört, in gemeine, insolente Phisionomieen seiner Unterdrücker
sieht, wärend das Elend, der verschüchterte Gram neben ei-
nem her schleicht. Mein geläufiges Französisch zieht mir
immer die Unterhaltung auf den Hals. Ich spreche u spreche
und wenn der Tag zu Ende ist, dann habe ich nichts gesagt,
dann bin ich so müde daß ich nicht mehr kann. Man hat
in der Stadt keinen Begrif von der Last solcher Einquartierung
auf dem Lande. Die Leute rühren sich Einem nicht von
der Seite; und dazu spielen wir des Abends Lotto!
Lotto! liebe Rahel das dummste, insipideste Kinder-
spiel! und das ist noch stlich gegen die abgeleierten
Späße die heute wie Gestern und Morgen wiederkehren.

den 22t.
Sie sehen aus dem Vorigen wie leicht sich das Leben stöhren kann,
wie ich im herannahendem Alter nichts von der unglücklichen Erreg-

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barkeit verliere, die so oft schneidend in die Ordnung und das
Maaß meiner Gefühle griff und der geträumten Consequenz der Vernunft einen
bösen Streich spielte. Vernunft u individuelle Natur! wie hart
stoßen sie oft zusammen! Es ist nicht schwer in Momenten, wo
sich alles um und in uns ruhig fügt, weise zu sein! aber liebe
Rahel, in Zeiten wo sich das Schicksal vorgenommen zu haben scheint
uns außer Fassung zu setzen, das gilt es diese zu behaupten!
Menschen die sich gegenseitig wahr zeigen wollen, sollten
sich grade in der lebendigern Bewegung ihres Innern einander mittheilen.
Da redet man, wie man zu sich selbst redet, heftig, unvernünftig viel-
leicht, aber in der leidenschaftliche Affekt prägt doch zugleich die ganze
Eigenthümlichkeit des Menschen aus. Man begreift, was er stets
geneigt ist in sich zu wünschen, zu wollen, was ihm das Leben
eigentlich ist, was er von ihm verlangt, was er darin sein möchte;
kurz man fühlt in dem Leid, u der Freude eines Befreundeten
diesen selbst und wie ihn die Sterne, wie ihn Gott, bildet wie
er sich selbst bildete.
Ich schreibe gern in solchen Augenblicken. Ich schreibe auch jetzt
in einer ähnlichen Stimmung. Mein Herz ist beengt. Ich bin
unruhig; durch Tausend Sorgen gequält. Robert
hat Ihnen
vielleicht gesagt daß ich meinen ältesten Sohn erwarte. Er
kommt nicht, er schreibt nicht, die Ferien gehen vorüber. Ich
warte Tag und Nacht auf ihn. Kennen Sie die Qual, wenn
man bei jeder rasch geöffneten Thür zusammenfährt, und sich
sagt: er ist es nicht, und es doch glaubt? Sehn Sie, so fahre ich
des Tages wohl zwanzigmal zusammen, des Nachts träume
ich unzusammenhängend, toll u verworren durcheinander,

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und erwache betäubt. Es giebt nichts Schreckliches, was ich mir
nicht als möglich denke, was ih auch wirklich geschehn sein
kann, was indeß nur die Phantasie, niemals das Gefühl be-
greift, sonst könnte ich hier nicht mit gebundenen Händen
und verbundenen Augen dasitzen und in die ungewisse
Nacht des Unglücks hinein sehen ohne zu handeln. Das höchste
Gut meines Lebens, meine Kinder, die erhalte mir mein
Gott! Von der Seite bin ich unangefochten geblieben,
es ist das Einzige, was in reiner, wahrhafter Beziehung
zu mir [×××] dasteht. Hier bin ich, wie die Natur
treu u rein. Ich weiß es nicht, wie ich — lassen wir
das! Gott bewahre mich vor dem Unglück!
Wie ich das versteh wenn ich sage, ich habe mich verloren?
Liebe Rahel! Es liegt am Tage. Ich habe ein leiden-
schaftlich, heftig Gemüth u. dabei ein eingeborenes, un-
bestechliches Gefühl, ja einen maschinalen Tackt für
Naturordnung. Ich habe nie geliebt, ohne an Ehe zu
denken. So habe ich Verbindungen geschlossen, zer-
rissen, neue geknüpft, mich selbst, wie mein Herz
veräußert, mich u Andere getäuscht, wie stets die
Leidenschaft es thut, Menschen, edle Menschen ver-
lockt, und Niemand, mich am wenigsten, beglückt.
Daß ich zur Erkentnis gekommen bin, ist gut,
daß ich mich wiederfand verstehe u besitze ist es
auch, aber wenn ich weiß wie es zuging, wie es war
wie es ist, sieht es darum auch der Andere ein, und
macht es gut, wenn ich Einem ein Herz gab, und bald

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darauf sage, armer Freund, ich glaubte es sei Leben
darin, ich irrte mich, es ist lange daß es schlug, es
täuschte mich durch krankes Zucken, nun weiß ich, es
ist todt! Wird er es glauben? und wird er nicht an
dem armen Herzen drücken u pressen, um es wenigstens
krah krankhaft zucken zu sehen? und kann das feine
dabei freudig schlagen. Macht dies Wiederfinden
gut? Ist die That nicht bloß darum unrein weil der Wille
verwirrt war? Wo ist Reinheit ohne Klarheit? Und was
ist Sünde wenn es nicht Verwirrung in der Erkenntnis
des Rechten u Mangel der Kraft im Festhalten desselben ist?
Fühlen Sie, wo es mir fehlt, u wo ich fehlte? Ich könnte
mich und Andere überreden wollen, eine starke Natur habe sich
durch willkührliches Verstehn der einigen Gesetzlichkeit in mir
zuerst frei machen müssen um sich durch selbst zu begründen.
Niemand würde es mir indeß glauben, so wenig als ich es glau-
be. Die Zeitentwicklung spuhkte in mir wie in tau-
send Köpfen; das ist das Wahre von der Sache. Ich bin,
wie sehr viel andere, regsame Menschen, durch fremde Ein-
wirkung ungetrieben worden, und falsche Verstandes Con-
sequenz, unverdaute Philosophie, gemachte Religiosi-
tät, an mich gerissener Katholizismus, u katholische Poe-
sie, alles ist momentan der Köder gewesen, mich aus mir
selbst zu veräußern. Unglücklicherweise spielte mir das
Schicksal dabei in die Hände und diese Stimmungen veran-
laßten Begebenheiten die zu wirklichen Thaten wurden.
Hier der Schrei über das Unabänderliche! —

Seite „40r“

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Grüßen Sie Robert. Er ist ein nachlässiger, träger Musje
.
Meine Widderköpfe sind immer noch nicht angekommen,
und
seine Gouvernante
hat er auch nicht aufgefunden. Halten
Sie ihn doch zur Thätigkeit für seine Freunde an. Fouqué
läßt ihm sagen: St. Schütze in Weimar habe ihm von der
Aufführung der Tochter Jephtas
Folgendes geschrieben:
„Ich erinnere mich nur noch daß das Stück gut unterhielt,
aber keinen großen Eindruck machte. Es schien mir zu-
letzt so überschichtig oder romanhaft. Vorzüglich gut [nahm]
sich die Scene beim Empfang des Vaters aus. Ich würde
mehr davon wissen wenn die Aufführung nicht schon so lange her
wäre.“
Robert hat unumwunden Wahrheit gewollt. Da ist
sie.
Ich schicke Ihnen nächstens einen kleinen Roman: Magie
der Natur
betittelt. Oder besser lassen Sie sich gleich ein
Exemplar in meinem Nahmen bei Hitzig einfodern.
Lesen Sie es, und schreiben Sie mir nicht eher als bis
Sie gelesen haben. Und dann sagen Sie wie Sie denken
u fühlen. Mich verdrießt kein Tadel, selbst von
Zungen ausgesprochen die den Stachel in sich tragen. Es liegt
immer etwas Wahres zum Grunde; und das ist gut zu kennen.
Machen Sie mich auf alles aufmerksam was äußerlich wie
innerlich Manier werden könnte. Ich hasse Patentphrasen
und doch schlüpfen sie unvermerkt mit unter. Gefühl, Ver-
u nunft denken ich finden Sie indeß im Ganzen.
Leben Sie wohl arme, gute Seele! Lieben Sie
mich recht von Herzen.
Ihre Freundin Caroline.

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