DE | EN

Brief von Fanny Tarnow an Helmina von Chézy

Berlin, 19. April [1820]
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 241 Tarnow Fanny, Bl. 67-69 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Fanny Tarnow
Empfänger/-in
Helmina von Chézy
Datierung
19. April 1820
Absendeort
Berlin
Empfangsort
Dresden
Umfang
3 Blätter
Abmessungen
Breite: 125 mm; Höhe: 205 mm
Foliierung
Foliierung in Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche und Transkription durch Renata Dampc-Jarosz; Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Betty Brux-Pinkwart; Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „67r“

67

[Karl August Varnhagen]Fanny Tarnow
an Fr. v. Chézy.
Berlin d 19ten April.

Bei meiner gestrigen Ankunft, liebe, theure
Helmine, fand ich Ihre beiden Briefe vor.
Lassen Sie mich erst alles Geschäftliche
berichtigen, eh ich von dem rede, was mir
näher am Herzen liegt.
Ich habe zu dem Gedeihen unsrer Iduna
recht
viel Vertrauen u werde mit großer Lust
u Liebe dafür thätig seÿn. Selbst habe ich
Ihnen zum ersten Heft nichts als meinen
Bourbon
anzubieten, allein mir liegt schon
tausenderlei im Sinn was ich für die Folge
schreiben will – ich habe dafür sende ich Ihnen
zwei, wie ich hoffe u glaube interressante
Aufsätze – sollten Sie sie nicht brauchbar
finden, so heben Sie sie mir auf bis ich
komme – mit 8 rth Honorar für den Bogen
wird die Verfasserin zufrieden seÿn –
die Ahlefeld auch. Wir müssen im Anfang
nicht verwöhnen u wie gesagt einen Ueber-
schuß für die bessern Beiträge sparen. Die
Stägmann u die Woltmann werde ich hier
selbst sehen u anwerben – an die Brun, an

Seite „67v“

an die Westfalen, an Bettÿ Gleim u
an Friedrike Sufan
die Verfasserin von Juliens Briefen
schreibe ich noch
in dieser Woche so wie auch an die Huber.
Von dieser will ich suchen den bewußten
Brief zurück zu erhalten, allein ich
fürchte, daß mir dies nicht gelingen
wird. Er eignet sich sonst sehr gut für
Iduna
. – Die Schoppenhauer hat einen Sohn
hier; durch diesen werde ich einen Brief an
sie besorgen lassen. Den Bourbon
nehmen Sie
wie er ist – was ich umzuarbeiten wünschte
ist manches in dem Schluß u darüber können
wir ja dann erst mündlich sprechen. Aber
die kleinen süßen Liederchen der Margarethe
,
die Sie mir vor einiger Zeit sandten, kommen
doch auch in die Iduna
? nicht wahr? –
Ich theile ganz Ihre Ansicht ueber die Theilnahme
der Fouqué u der Hellwig u will es mir nicht
als eine besondere Gunst anrechnen lassen, wenn
sie unserm Unternehmen beitreten – es findet
sich gewiß manches von selbst u gelegentlich wenn
unser Unternehmen Fortgang hat. Lassen Sie uns
aber Cretschmer bereden, daß er die Hefte 21–22
Bogen stark giebt, damit wir der Censur entgehen.

Seite „68r“

68

Meine theure Helmine, ich freue mich von ganzem
Herzen auf unser Zusammenseÿn in Dresden
u in Schandau u sobald ich kann melde ich Ihnen
den Tag meiner Ankunft, allein vor den 10–12ten
Maÿ werde ich hier wohl nicht wegkommen, wo
Liebe mich hält u bindet. Auch wird mir die
Trennung von meinem Pflegkinde, von Bettÿ
sehr schwer werden. Seit beinah drei Jahren lebte
u wirkte ich nur für sie – mein Herz hat sich da
mit wieder einmal mit aller seiner Kraft u
Innigkeit hingegeben in ganz unaussprechlicher Liebe
um den Schmerz der Trennung wieder rein durchzuem-
pfinden bis in die kleinste Ader des Lebens
hinein. – Nun Liebe ist doch immer Glück, selbst
als tiefes Weh – – alle andern Lebensblüthen
gedeihen ja nur in dem hem Sonnenlicht dieser ihrer
ihrer himmlischen Schwester u verlieren ihren
Duft, wenn sie erlischt.
Unaussprechlich freue ich mich zu Ihren weißen Rosen

u denke mir schon wie schön es seÿn wird, wenn
Sie sie mir in Schandau vorlesen. – Fühlen thue
ich es aber auch mit Ihnen wie durch Kügelgens
Liebe zu dem Gedicht manche Stelle desselben Ihnen
jetzt heilig geworden seÿn muß. Alles was Sie
mir ueber ihn schreiben ist wie auch aus meiner
Seele entflossen. – Dazu kommt bei mir noch
mein innig herzliches Verhältniß zu seinem

Seite „68v“

Zwillingsbruder Karl von dem ich fürchte
daß er den Tod des geliebten Freundes, Bru-
ders u Schwagers nicht zu ueberleben
vermögen wird.
– Mündlich noch mehr davon –
Es freuet mich daß Sie meine
gelesen haben –
ich schrieb sie einst, dem Tode nah als ein Ver-
mächtniß, nicht für Viele, nur für Einen – ich
glaubte damals den tiefsten Schmerz des Lebens
empfunden, das Bitterste erlebt zu haben
u alle düstern, furchtbaren Erfahrungen meines
Lebens habe ich erst gemacht als Natalie schon geschrieben
war. Kam doch eine Zeit in der aus der herzzerreißend-
sten Erfahrung meines Lebens, aus Blut u Thränen
Thorilde
hervorging. –
Heute sende ich von hier zu Wasser meinen
Schreibtisch fort, den Hitzig mir gestern verehrt
hat, u Ihrer Einwilligung gewiß, unter Ihrer
Adresse. – Sie sorgen für mich, liebste Helmine,
wie es nur die zärtlichste Schwester thun könnte –
es rührt u beglückt mich u ich lasse mir diese Sorge
gerne zu Gute kommen, da mein Herz sich ihrer
durch seine Liebe zu Ihnen werth fühlt – allein für
diesmal hoffe ich in der Ostermesse doch soviel
Geld gezahlt zu erhalten, daß ich für die nächsten
3 Monate ausreiche, wo dann schon wieder
andre Forderungen fällig sind. An Büschler habe
ich wegen Gebauer seiner Schuld geschrieben u
bin nun neugierig was er mir antworten wird.

Seite „69r“

69

z. 19. April.
Sollte Strauß seine Aeusserung
gegen Sie sich auf kein Mißverständniß
gründen, so käme mir dies Geld recht
gelegen. Ueber meine künftige Lebens-
weise u Einrichtung bestimme ich nichts,
bis ich zu Ihnen komme u mit Ihnen alles
besprechen kann.–
Hitzig mit allen seinen Lieben u Freunden
grüßt herzlich. Das Leben hier im Hause
ist viel heitrer geworden, als es früher
war.–
Leben Sie wohl, Theuerste, von ganzem Herzen
liebt Sie

Ihre
Fannÿ.
Grüßen Sie die Söhne freundlich von mir – ich
freue mich sehr zu beiden – eine frische,
reine, kräftige Jugend erquickt mich wo
ich sie finde, wie Frühlingssonne u Blüthen-
duft.–

Seite „69v“