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Brief von Amalia Schoppe an Rosa Maria Assing

Burg auf Fehmarn, 21. August 1814
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 230 Schoppe Amalia, Bl. 69 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Amalia Schoppe
Empfänger/-in
Rosa Maria Assing
Datierung
21. August 1814
Absendeort
Burg auf Fehmarn
Empfangsort
Altona
Umfang
1 Blatt
Abmessungen
Breite: 195 mm; Höhe: 225 mm
Foliierung
Foliierung mit Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Paweł Zarychta; Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Erstdruck: Thomsen, S. 99–101.

Seite „69r“

374

Assing
Burg auf Fehmarn d. 21tn Aug. 1814.

Theure Rosa!

Dein Brief kam zu spät – ich trage schon den Namen des Vaters meines Kindes – vorgestern sind
wir miteinander getraut worden, und S hat die Großmuth gehabt, mich in derselben Stunde zu verlassen,
ohne auf die Rechte Anspruch zu machen, die er durch den Namen meines Gatten erhalten hatte. –
Sein ganzes Betragen gegen mich war so edel und ungewöhnlich, daß ich ihm meine Achtung nicht
versagen kann, obgleich mein Herz für die Liebe erstorben ist. Auf die ihm von mir ertheilte
Nachricht von unsrer Verbindung durch einen Sohn, eilte er hieher mir seine Hand zu reichen, war ganz
Liebe, Reue und Hingebung, und zeigte mir durch sein ganzes Betragen, daß er nur wiedergut
machen wolle was er gegen mich verbrochen hatte und forderte nur daß ich unser Kind jetzt
zu mir nehmen solle – welche willkommne Pflicht!
Schmerzlich war das Opfer für ihn sein Weib das er liebte, seinen Sohn den er anbetete in der
Stunde zu verlassen da ihm Beide durch die Gesetze gegeben wurden – aber er brachte es mit einer
Seelengröße die mich erstaunen ließ, besonders da er jetzt ohne irgend eine Aussicht in der Welt
umherirren muß und hier wenigstens die dringendsten nothwendigsten Bedürfnisse des Lebens ge-
funden hätte. Vielleicht nennst Du mich hart, meine Rosa, daß ich solches forderte, daß ich es
zugab daß er ein solches Opfer vollendete – aber nein, ich muß einen Bürgen seiner redlichen
Gesinnung, seiner Umwandlung, Reue und Besserung haben, und das kann ich nur dadurch
erreichen, daß ich ihn Jahre lang auf diese Art prüfe. Ich darf meinem Knaben keinen
Vater geben, der es nicht hinlänglich bewiesen hat, daß er seiner Mutter würdig sei
und das Glück verdiene, ein so holdes Kind zu besitzen und zu erziehen. Den Schmerz der
letzten zwei Jahre, die völlige Zerrüttung meines Körpers habe ich ihm vergeben – meinen
Tod werde ich ihm nicht zuschreiben, aber dafür will ich auch die Beruhigung haben, daß er
nach demselben meinem Kinde ein guter Vater sein wird, und daß er den Namen nicht schändet
den ich von ihm angenommen habe.
Schmerzlich war mir die Stunde der Trennung, da ich das Seelenleiden sah mit dem S. rang – mein
Herz war erweicht, ich hätte schwach werden können, wenn nicht der Gedanke an das was ich meinem Kinde
mir und der Welt schuldig war, mich gehoben und gestärkt hätte. Ich sah einen sonst so geliebten
Mann in dem ich die alte Neigung entdeckte in Schmerz vergehend zu meinen Füßen, in der
Stunde da die Hand desselben durch die Kirche in meine gelegt worden war – ich sah es, mein
Herz brach, aber ich sprach das Lebewohl aus und er eilte davon in die dunkle Nacht hinaus,
denn er hatte mir versprechen müssen, noch die Nacht über den Sund zu gehen, damit in den
Augen der Welt unsre Verbindung auch das erschiene, was sie war – nur eine rein geisti-
ge, nur eine welche die Redlichkeit und Pflicht gebot. – – – Welche Brautnacht! –
Die Gattinn auf einsamen Lager umsonst den Schlaf suchend und in Sorge vergehend und Schmerz,
und der Gatte in der finstern Nacht mit einem feindlichen Elemente ringend, um sich von
der Neuvermählten zu entfernen – – liebe Rosa, ist das nicht ohne Gleichen? – –

Seite „69v“

1814
Heute schon hatte S. geschrieben – die Aufschrift bemerkte zuerst meinen veränderten Stand und Namen –
wie mich das alles ergriff! – Wie so ein ausgesprochner Seegen des Priesters alles verändert! Bin ich denn
nicht noch was ich war? hat S. mich als Gatte berührt? ist mir alles was der Ehestand mit sich führt, sind
mir alle Wonnen und Schmerzen desselben nicht noch fremd? bin ich nicht in meinem Sinne und Wissen
Jungfrau wie vorher? Und nun diese Veränderung! – die Frauen rechnen mich zu sich, und die Mädchen
fühlen, daß sie mich verloren haben – und das Alles durch ein Wort – – – –
Meine Kinder sind gar in der höchsten Verlegenheit – da giebt es jeden Augenblick ein Gelächter der
Andern und ein Rothwerden Derjenigen die mich wie vorher nennt – und ich muß mit rothwerden,
wenn von meinem neuen Stande die Rede ist. – Auch Deine Hand wird Mühe haben auf
einen Brief an mich die ungewohnten Züge zu setzen, und ich sehe Dich schon ein andres Couvert um
einen Brief schlagen, weil Du Dich geirrt hast; bemerke künftig auf meinem Brief nur so. Mad:
Schuppe, geb. Weise – zu Burg auf Fehmarn – den Obergerichtsadvokaten laß weg, weil ich dadurch
schon oft die Briefe eine Stunde später erhielt. –
Zu Deiner Reise nach Berlin
wünsche ich Dir Glück – sie wird ihre Wirkung nicht verfehlen und Dich viel-
leicht noch gar in den heiligen Ehestand schieben, denn da Dir the Trennung von Assur schwer werden
wird, ihm sie aber noch schwerer, so werdet Ihr Euch wohl gleich in Berlin verheirathen, womit der beider-
seitige Schmerz auf einmal gehoben ist, und ich werde das Demoiselle in Madame umwandeln müssen
so wie Du jetzt – Die Hochzeit dürfte aber wohl viel anders ausfallen, wie ganz natürlich, da
Assur nicht erst die Blüte knickte, ehe er sie vom Strauße nahm, auch alle Umstände Euch günstiger sind.
Sollte ich mich nicht geirrt haben, meine theure Rosa, so nimm den Schwesterkuß und die Versichrung, daß
Deine Verbindung ganz mit meinem Wunsche übereinstimmt, und daß ich Euch einander ganz würdig halte.
Unbeschreiblich froh macht mich der Gedanke, jetzt mein Kind zu mir nehmen und anerkennen zu kön-
nen, obgleich ich es meinem Gefühle nach auch früher hätte thun dürfen, da nicht eine Stunde der Lust und
der Vergessenheit es ins Dasein setzte, sondern eine körperliche Hinfälligkeit von meiner Seite. Aber wer
hätte mir das geglaubt? wem hätte ich das begreiflich machen können als Dir, die Du mich kennst?
Ich hätte den Schein einer Lügnerin tragen müssen, ohne irgend Jemand zu überzeugen und dazu bin
ich zu stolz – ja mein Gefühl ist in diesem Punkte so zart gewesen, daß ich meiner Mutter nicht einmal
gesagt habe, wie wenig, wie so gar nicht schuldig ich war, damit sie nicht einen Moment glauben sollte,
ich wollte sie täuschen und mich reiner machen als sie mich glaubte - Du, meine zarte, feinfühlende
Rosa, wirst mich verstehen, denn ich bin ja Gottlob! Immer von Dir begriffen und verstanden worden.
Jetzt ist mir dieser frühere Stolz sehr lieb, denn nun ahnt keiner wie sehr sich Der einst vergaß
dessen Namen ich tragen muß, und seine Ehre ist jetzt auch die meine, auch soll dieses ganz unter
uns Dreien bleiben, darum bitte ich Dich und Assur. Meine Mutter hat sich ganz mit S. ausgesöhnt
und ihm einen sehr schönen Brief geschrieben, daher ist mir auch Alles daran gelegen dieses gute
Verhältniß nicht durch die Aufdeckung seiner Schuld zu zernichten; mag sie mich vielmehr lieber
schuldig glauben. –
Daß ich froher und heitrer als zuvor bin, meine Rosa, siehst Du diesen Zeilen an - ich fühle würklich
eine drückende Last von meiner Brust gewälzt, da ich ungestört Mutter sein darf und mich ganz
dem schönsten und heiligsten Gefühle hingeben kann, welches das Leben uns giebt.
Ich lege Dir einige Zeilen von S. an mich bei
, woraus Du siehst wie reuevoll und redlich er mir auf
die erste Nachricht von mir und seinem Kinde entgegen kam; hebe mir diese aber auf, oder schicke sie
wieder.
Ich hoffe dieser Brief trifft Dich schon wieder in Altona, denn ihn nach Berlin zu schicken finde ich gefährlich,
da er leicht verloren gehen könnte, und Du ganz ohne Nachricht wärst. Bei Deiner Zurükkunft streue
gleich die Nachricht meiner Verheirathung unter unsern Bekannten in A. und H aus, weil dieses in der Folge
für mein Auftreten mit einem Kinde in jener Gegend, über dessen Alter nach einigen Jahren Alle
leicht getäuscht werden können. – Herzliches Lebewohl von Deiner, ewig Deiner Amalia. – –