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Brief von Amalia Schoppe an Rosa Maria Assing

Hamburg, 22.–23. Februar 1833
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 230 Schoppe Amalia, Bl. 146 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Amalia Schoppe
Empfänger/-in
Rosa Maria Assing
Datierung
23. Februar 1833
Absendeort
Hamburg
Empfangsort
Hamburg
Umfang
1 Blatt
Abmessungen
Breite: 226 mm; Höhe: 273 mm
Foliierung
Foliierung mit Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Paweł Zarychta; Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Erstdruck: Thomsen, S. 324–325.

Seite „146r“

146

[Karl August Varnhagen]Amalia Schoppe.
Hamburg, 1833.

Theuerste Rosa!

In einer Zeit, wo das Bedürfniß Dich zu sehen und den Trost treuer Liebe von Dir zu
empfangen, dringender denn je für mich war, mußte ich Deiner und der Deinen
entbehren. Beruhigt hat es mich, daß ich nur die allerbesten Nachrichten über
das Befinden der Kinder erhielt, mochte ich directe oder indirecte darüber
einziehen; jetzt freut es mich, daß sie das Uebel überstanden haben, dem Kinder
von Aerzten wohl kaum zu entgehen vermögen. Gott segne Dich und die Deinen
in allen Dingen!
Ueber mich selbst mag ich Dir kaum schreiben, da ich mir selbst nicht klar bin; meine
frühere Unbefangenheit, mein festes Vertrauen, die in so schmerzlichen und schwieri-
gen Lebenslagen mir stets wie schützende Genien zur Seite standen, sie sind
vielleicht für immer dahin: ich habe noch nicht wieder beten können, so oft
ich’s gewollt; ist das Sünde, so habe ich sie nicht zu verantworten. Die Güter
des Lebens, die ich, sie mochten nun groß oder klein sein, so fröhlich und dankbar
genoß, sie haben so sehr an ihrem frühern Werthe verloren, daß ich selbst über
mein undankbares Herz erstaune: so lange meine drei Kinder den kleinen
Segen theilten, den meine Liebe und mein Fleiß für uns Alle hervorrief,
gehörte ich zu den glüklichsten Menschen, die das Erdenrund umschloß, und nun
ist Alles plötzlich so ganz anders geworden!
Ich möchte sagen, daß ich jetzt mehr leide, als früher, wo der Schlag mich be-
täubt hatte; alte Wunden brennen ja auch schmerzlicher, als neu geschlagene.
Ich arbeite die ganzen Tage, weil mir das am wohlsten thut, und meine
körperliche Gesundheit scheint unerschüttert zu sein, ich habe mich sogar wieder
mehr erholt; ich gehe auch zuweilen aus und sehe Gesellschaft bei mir; daß der
Frühling mir, wie sonst, wohl thun wird, glaube ich nicht: jede sich neu er-
schließende Blume erinnert mich ja an mein Kind, der in ihr seine Welt
fand.
Julius war unwohl; Husten, starker Schnupfen, allgemeines Unbehagen quäl-
ten ihn, und zehnfach mich; ich glaube, daß er an der Influenza litt, und auch
Dr Kuntze war der Meinung. Ich habe ihn warm und zu Hause behalten, ihm
leichte Brustmittel gegeben, und jetzt ist er ganz wieder hergestellt, so
daß er zur Schule gehen kann und besser aussieht. Es hat sich eine Stelle
bei einer Buchhandl. in Celle für ihn angeboten, doch lehnte ich sie ab; er
soll noch Kind bleiben, den bittern Ernst des Lebens nicht zu früh kennen
lernen und auch noch größere Fortschritte in den Wissenschaften machen;
zu Ostern kömmt er überdies in die öberste Classe, wo er dann noch sehr
viel lernen kann; er ist ein in jeder Hinsicht begabtes, treffliches Kind,
und ächter Poesie voll, obgleich er wohl nie einen Reim machen wird.
[Amalia Schoppe] Vom 23stn. Dr Kuntze sagt, daß viel natürliche Blattern, auch Varioliden, vorkommen, und meint
ich thäte vielleicht gut, beide Knaben nochmals impfen zu lassen; er will es gern thun.
Gegenüber ist ein schönes, gesundes Kind kerngesunder Eltern
geimpft; davon wollte
er die Lÿmphe nehmen. Welches ist des theuren Assings Ansicht hierüber? ohne des-
sen Bewilligung ich es nicht zugeben werde. Bitte um eine Zeile Antwort!

Seite „146v“

Die beiden Knaben freun sich darauf, Deinen Kindern ihren vollen Tauben-
schlag, ihre Vogelkammer mit 8 Vögeln, Nestern u. s. w., so wie
die zahmen schneeweißen Kaninchen zeigen zu können, die ihre ganze
Freude ausmachen; der Besitz aller dieser allerliebsten Thierchen
beglückt sie sehr, und manches Freistündchen wird in der Vogelkam-
mer verbracht.
Sonntag ward Alphons 12 Jahr alt – heute, wenn ich nicht irre, wird
es Ludmilla;
Gottes besten Segen mit dem theuren Kinde! Gott hat
uns in diesem Monat reich beschenkt, geliebte Rosa.

Ich bitte Dich nun schließlich, Theuerste! mich sofort zu benachrichtigen, wie Assing
nur die Quarantaine mit gutem Gewissen für aufgehoben erklärt hat, damit
ich dann zu Dir kommen kann, wie ich es wünsche.

Grüße Assing viele tausend Mal und küsse die Kinder von mir.

Deine trauernde

Amalia.

Stadt-Deich d 22stn Febr: 1833.

NS: Wie viel ich jetzt zu schreiben und überhaupt zu thun habe, kannst Du Dir vorstellen,
da ich so lange unthätig sein mußte; sonst hätte ich Dir früher schon geschrieben.
Meine Jahresrechnung, die ich in dieser Zeit aufgemacht habe, gaben das er-
freuliche Resultat von 5000 [Mark Banco]. reinen Gewinn von den Journalen;
davon kommen 2500 auf mich und eben so viel auf Meldau. Damit ist
also dem Mangel und der Sorge für das Auskommen gewehrt und eine
feste bürgerliche Stellung dem Leben abgewonnen. Was mich in mir als
auffallende Erscheinung in Erstaunen setzt, ist die jugendlich-belebte Produc-
tionskraft; ich erdenke eine Menge Bücher und Alles reiht sich leicht anein-
ander; mein nächstes wird ein Roman sein, der in Australien Grund und Boden
hat: „Die Colonisten zu Neu-Süd-Wallis.“
Ich studire dazu fleißig, was
auf jene Gegend Bezug hat, sowohl in geographischer als statistischer, geschicht-
licher und naturgeschichtlicher Hinsicht; der Roman ist entworfen. Die Erzählung
in der „Cornelia“,
die so viel Lob von den Kritikern – auch von Menzel
erhielt, welcher letztere sie als ein Muster aufstellte, ist von mir. Am meisten
hat es mich gefreut, daß die allgem. Literatur-Zeitung sie so hervorhob;
wenn die Herrn ahneten, daß Adelbert von Schonen A. Schoppe ist! – So steht
es um die Kritik, liebe Rosa! Hätte mein Name darunter gestanden, so
würde die gute Erzählung schlecht gewesen sein, weil sie von einer Frau geschrieben wurde!
[Amalia Schoppe] Laß Assing doch Okens „Naturgeschichte“
für die Kinder sammeln –
alle Monat 10 ßl. giebt man aus, ohne es zu merken. Es ist ein gar
köstliches, geniales Werk! Ich habe darauf unterzeichnet und nehme
wohl auch den Atlas mit Kpfrn dazu. Das erste Heft erhielt ich ge-
stern und las es mit großer Freude durch.