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Brief von Amalia Schoppe an Rosa Maria Assing

[Hamburg], 21. August 1826
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 230 Schoppe Amalia, Bl. 124–125 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Amalia Schoppe
Empfänger/-in
Rosa Maria Assing
Datierung
21. August 1826
Absendeort
Hamburg
Empfangsort
Hamburg
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 203 mm; Höhe: 260 mm
Foliierung
Foliierung mit Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Paweł Zarychta; Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „124r“

124

Assing
[Ludmilla Assing]August 1826.

Meine geliebte Rosa!

Ich hatte Dir gleich Sonnabend Nachmittag auf Deinen traurigen Brief geantwortet,
aber in so trüber, schrecklicher Stimmung, daß ich mein Schreiben zurück behielt,
weil ich fürchten mußte, es werde die übelste Wirkung auf Dich hervorbringen,
die Du ohne das schon von Leid und Schmerz niedergebeugt bist.

Meine Theure, ich habe herzlich über Deinen Verlust und Dein Leid geweint –
– mehr vermag ich ja nicht, denn Trost kann uns bei solchen Gelegen-
heiten nur aus dem eignen Innern quillen; möge der Gedanke ihn Dir
reichen, daß es Dir vergönnt war, der theuren Geschiedenen
viele glükliche
Lebensjahre zu bereiten und daß sie in einem frischen, schmerzlosen
und kräftigen Alter dem allgemeinen Ziele entgegenreifte: wie
Wenigen wird dies zu Theil!

Welche Lücke Du fühlst, begreife ich ganz; unserm Leben wird gleichsam
die Hauptwurzel entrissen, wenn uns die Eltern sterben und wir schei-
nen fast nur noch mit schwachen Fasern am Boden fest zu hangen; als
Kind empfand ich das schon, indem mir ein von mir vergötterter
Vater starb, und ob ich jetzt den Verlust meiner Mutter überleben
würde, weiß ich nicht. Dennoch geziemt uns Fassung, denn wir
scheinen unsre Erziehung für den Himmel nur unter solchen Wunden vol-
lenden zu können.

Meine Rosa, meine Theure, meine Einzige, Du leidest an einem so tiefen
Schmerze, und ich soll Dir nun auch den meinigen noch aufbürden, we-
nigstens die entsetzliche Furcht, die mein Leben seit gestern vergiftet;
dennoch muß es geschehen, damit mir entweder Beruhigung oder
Hülfe werde, denn der Zustand worin ich lebe, ist mit aller mir
eigenthümlichen Kraft nicht mehr zu ertragen.

Ich fürchte mich unheilbar verletzt zu haben. Vorgestern Abend spiel-
te ich mit den Kindern, um mich von den trüben Gedanken zu zerstreu-
en, in die mich Dein Brief, der Gedanke an Deine Leiden gestürzt
hatten. Ich hob sie auf, trug sie auf den Armen und den Schultern,

Seite „124v“

vermuthlich über meine Kräfte. Gestern wollte ich zu Dir, da war es mir
plötzlich, als fühle ich nach einem etwas heftigen Niesen – wobei ich
auf dem Stuhle saß – einen Druck, ein sonderbares Etwas im Unter-
leibe; ich ging bestürzt hinauf und untersuchte mich – und denke Dir
mein Entsetzen! gewahrte eine Geschwulst ähnliche Erhöhung in der Biegung
des Schenkels zum Unterleibe hin! Ich rief meine Mutter und sie glaubte
mit mir, daß ich mich auf eben die Weise verletzt habe, worauf sie
es ist.

Gestern war ich fast trostlos, zu jedem Gedanken unfähig; heute bin ich ru-
hig und Gottergeben: ist ein solches Unglück über mich verhängt, so wird
es zu meinem wahren Wohle sein, obgleich ich mit meinem schwachen Ver-
stande dies nicht einzusehen vermag.
Mein heißester Wunsch ist nun, daß Assing, sobald es seine Geschäfte er-
lauben, einen Wagen – natürlich auf meine Kosten – nehme und
zu mir komme; ich bitte und beschwöre ihn darum, wie um die größeste
Wohlthat, denn ich habe zu Niemanden Vertrauen als zu ihm. Ich
wage es in dieser bedenklichen Lage nicht, mich auf irgend eine
Weise zu bewegen, denn sonst wäre ich zur Stadt gekommen; diese
Vorsicht wird Assing gewiß loben.
Meine Mutter, die das Uebel kennt, hat mancherlei Hoffnungen, besonders
auch, da ich früher oft an diesen Theilen an Drüsen litt, die aber von
selbst wieder vergingen und mich nie beschwerten. Heute fühle ich gar
nichts, auch durchaus keine Unbequemlichkeiten, so daß ich zu gleicher
Zeit hoffe und fürchte; aber ich bin nicht stark genug, diesen Zustand
des Zweifelns lange zu ertragen; ich wünsche mein Unglück zu wis-
sen, wenn es da ist, um ihm dann mit würdiger Fassung und voll-
kommener Ergebung in Gottes Willen zu begegnen. Hierin wirst
Du mich ganz verstehen, meine Theure!

Und nun zürne mir nicht, daß ich Deinen Schmerz durch den meinigen
vermehrt habe! Ich wollte ihn Dir ersparen und kämpfte mit mir, zu
einem andern Arzte meine Zuflucht zu nehmen, vermochte es aber nicht,
denn für mich ist nur Assing da, von dem ich Trost, Heil und Hülfe
erwarte; ich kann mich und die Meinen in keine andern Hände geben,
denn ich vertraue Keinem als ihm.

Seite „125r“

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Mein Gemüth hat in dieser ganzen Zeit schrecklich gelitten; mir ahnete stets
ein nahe bevorstehendes Unheil und ich war völlig niedergeschmettert;
meine Gewohnheit, alle meine innern Leiden und Schmerzen vor mei-
ner Umgebung zu verbergen, um dieser trübe Stunden zu ersparen,
die Gewalt, die ich mir anthat, äußerlich ruhig zu erscheinen, rieb
mich innerlich völlig auf, so daß ich mich zum Sterben matt fühle.

Nichts ist ja auch rund umher, als Tod und Verderben; im Hause selbst
war ein gefährliches Nervenfieber, vor dem ich mich fürchte, weil
ich es zwei Mal schon gehabt, und einmal sogar durch Ansteckung,
habe; Fieber wüthen selbst in unserm gesunden Dörfchen: das
Alles stimmte mich bang und traurig. Welche Opfer wird dieser
tödliche Sommer noch fordern! Der Würg-Engel geht über
die Erde – wer müßte nicht zittern?

Meine Mutter bringt Dir heute diese Zeilen, diese Zeilen, die Dir
Worte des Trostes sagen sollten und es nicht können!

Ich umarme Dich in Gedanken herzlich, Dich und die Kinder. Schlie-
ße diese und Deinen würdigen Assing an das bange Herz und
sieh nicht auf das was Du verloren hast, sondern nur auf das,
was Dir blieb.

Deine treue Amalia.

Am Montag Nachmittag.

Seite „125v“

Der Frau Doctorin Assing, Wohlgeb.

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