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Brief von Amalia Schoppe an David Assur Assing

[Hamburg], 24. Juli 1819
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 230 Schoppe Amalia, Bl. 9 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Amalia Schoppe
Empfänger/-in
David Assur Assing
Datierung
24. Juli 1819
Absendeort
Hamburg
Empfangsort
Hamburg
Umfang
1 Blatt
Abmessungen
Breite: 160 mm; Höhe: 205 mm
Foliierung
Foliierung mit Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Paweł Zarychta; Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „9r“

9


d. 24ten J[u]lÿ.

Mein kleiner Julius, bester Doctor, leidet sehr an der Brust, und so schwer es
mir auch fällt in dieser Hitze Ihre Freundschaft in Anspruch nehmen zu müssen,
treibt das Mutterherz und die Ueberzeugung Ihrer Güte mich dennoch
dazu an, Sie zu bitten, der helfende Agathodämon meines Kleinen zu
werden. Ich hätte Sie mündlich um diese Gunst gebeten, wenn ich
nicht schon früher zu ihm hinaus wollte und der Weg mir von hier
dadurch nicht noch weiter würde: heute Abend muß ich ohne das, einer
übernommenen Verpflichtung nach, noch wieder zum Steinthor hinaus,
und diesen Morgen bin ich erst eben zur Stadt gekommen –
so wird die große Ermüdung die ich befürchten muß, mich bei Ihnen
deshalb entschuldigen.
Gestern hatte ich einen lieben Brief von FannÿJean Paul, Gatterer,
Kanne, Schubert und einige Andere geben eine Zeitschrift reli-
giösen Inhalts
heraus und haben Fannÿ zur Mitarbeiterin ein-
geladen – auch meine unwürdigen Lieder des Glaubens wer-
den ganz gegen ihr Verdienst eine Stelle darin finden. Das Blatt
wird unter der Leitung solcher Männer gar herrlich werden, und
ich freue mich ausserordentlich darauf: mich dünkt, das hat uns
lange gefehlt, ohne daß wir es ahneten, und eben dieses wer-
den die Teutschen vor allen andern Völkern voraus haben, daß
ein solches Blatt bestehen kann. –
Wenn Rosa an Fannÿ schreiben will – welches ich für eine letzte
Liebesblüthe aus dem einst so duftigen und herrlichen Freundschafts-
kranze, der nun durch oder ohne meine Schuld – ich weiß mich nicht
darin zu finden – zertreten am Boden liegt – halten würde,
– so muß es bald geschehen, denn Fannÿ reist nächsten Monat
ins Bad.
Wenn auch meine Seele Allem, Gott ergeben, ent-
sagt hat, wenn die härteste Resignation auf alle Liebe und
Freundschaft, auf jedes Glück das mir von Außen kommen
kann, mir keine Thräne mehr entlockt, so ist mein Herz doch
noch verwundbar und ich kann es nicht ertragen daß Denen
kalt und verächtlich begegnet wird, die es nicht verdienen, nur dar-
um, weil sie mich ihrer Achtung und Neigung noch würdigen.
[Amalia Schoppe]NS. Es thut mir sehr leid Rosa letzt verfehlt zu haben; seltsam genug fühlte ich es als ich draußen war,
daß sie zu uns käme – hätte ich mich nicht geschämt so abergläubisch zu erscheinen, so wäre ich zurück ge-
gangen.

Seite „9v“

Es mag sein daß ich Tadel verdiene – nach meiner Ansicht, und wie
ich mein Herz vor Gott geprüft, fehlt mir nur die Gabe der Ueberredung
und mein Verschulden ist der edle Stolz, durch Mittheilung meiner
unsäglichen Leiden nicht das Leben Derer trüben zu wollen, die
mich früherhin liebten: hätte ich das gewollt und gekonnt, o ge-
wiß unter Thränen des Schmerzes hätten sie einem solchen Helden-
muth Bewundrung zollen müssen, statt daß ich jetzt arm und ver-
lassen von Liebe dastehe, eine steile und feste Klippe an der sich
tobend alle Wellen brechen: aber Eines tröstet und kräftiget mich.
Von Lagen und Stimmungen wie die meinen sind, gleich fern von
Glück und Trostlosigkeit, läßt sich schwerlich Rechenschaft ablegen,
eben weil sie rein passiv sind. Ich klage über Niemand und
eben – auch über Rosa nicht – es war nur noch Ein Tropfen
Blut in meinem Herzen zu vergießen übrig – er floß als ich
es mir zuerst nicht mehr verhehlen konnte, es sei Nichts mehr von
jener heiligen und wahrhaft reinen Liebe übrig als – Umgang,
Duldung. – Unabhängig von diesem letzten Schmerze sind Achtung
und Liebe bei mir: ich werde diese nie verlernen und sollte mir
mehr noch geschehen; aber wie könnte das? habe ich nicht reine
Rechnung gemacht mit Gott mit Euch und mit mir? sollte noch
ein Liebesfaden dasein, der gerissen werden könnte? Meine
Kinder freilich – aber die Natur wird nicht an ihrer Priesterinn
untreu werden, die nicht! der Tempel wankt nicht, wenn auch
alle Altäre umstürzen, alle Blüthen welken, alle zarten und
heiligen Bande zerreißen, denn Gott selbst baute ihn auf und
hält und trägt ihn in ewigen Händen.
Bei meinem Leid! kein Wort hierüber unter uns – ehret das
Unglück in mir, wenn Ihr der Thorheit zu entsagen glaubt –
ich habe weiter keine Worte über diesen Gegenstand und muß
nach diesen ersten und letzten verstummen.
Es ist wahr, ich träumte einst so: Rosa würde so viel Achtung im-
mer vor mir bewahren müssen, daß sie mir gestände, ich kann
Dich nicht mehr lieben, weil Du mir dies oder das gethan –
ich habe lange auf dies Wort gehofft und gewartet – und
auch diesen schmerzlichen Trost versagte mir Gott – ich murre
nicht, denn die Beschämung, diese erstarrende Gleichgültig-
keit habe ich nicht verdient – so ist dem Schmerz wieder der Sta-
chel genommen. –
Sobald mein Geist ganz seine Klarheit wieder gewonnen hat und
mein Herz nicht mehr schmerzlich vor Liebesbedürfniß zittert und
bebt, kurz wenn ich vor Euch treten darf ohne zu bluthen und zu
[Amalia Schoppe]opfern, komme ich zu Euch und flehe um die Gunst Eures Umgangs, der mir ganz genügen würde, wenn
so herrliche und reiche Gabe der Liebe mich nicht verwöhnt hätte. Ich fühle es, ich hätte das alles nicht schreiben
müssen – morgen schäme ich mich vielleicht davor und wünschte das Blatt zurück – aber Einmal soll dem frü-
her verzärtelten Herzen sein Recht wieder werden – es soll noch Einmal klagen ehe es sich auf ewig schließt
und versteint. So ist dies ein Echo noch von fernem Ruf – er schallt vom harten Fels zurück und erstirbt
ohne Spur in den Lüften – das weiß ich aber und bin darin ergeben. Gott segne Sie und Rosa!
A. –