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Brief von Amalia Schoppe an Rosa Maria Assing

Burg auf Fehmarn, 1. Februar 1816
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 230 Schoppe Amalia, Bl. 84-85 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Amalia Schoppe
Empfänger/-in
Rosa Maria Assing
Datierung
1. Februar 1816
Absendeort
Burg auf Fehmarn
Empfangsort
Hamburg
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 205 mm; Höhe: 248 mm
Foliierung
Foliierung mit Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Paweł Zarychta; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „84r“

84

Assing
Burg, d. 1ten Febr: 1816.
Insel Fehmarn.


Liebe Rosa!

Deinem Wunsche gemäß beantworte ich Deinen Geschäftsbrief sogleich, damit Du Deine Einrichtungen
bei Zeiten treffest. So wie Du Deine Anstalt
mir mit Treue und Wahrheit schilderst, kann ich
durchaus nicht den Wunsch meines Herzens, zu Dir zu kommen, befriedigen, und muß
so lange ruhig auf meinem stillen Eilande bleiben, bis S! im Stande ist, für mich und
unser Kind in H. zu sorgen, wozu alle Aussichten da sind. Auch gefällt mir mein Asÿl
jeden Tag besser, ich liebe und segne die Stille die mich umgiebt, so wie auch die immer rege
Sehnsucht nach Euch, nichts niederdrückendes, sondern vielmehr etwas erhebendes für mich hat – und
gewährt mir nicht mein Kind eine unaussprechliche, überschwengliche Wonne? –
O Rosa! Rosa! wie einzig ist das Muttergefühl! ob Gott uns wohl so liebt wie wir unsre Kinder?
Stundenlang kann ich auf jede Bewegung seines lieblichen Gesichts lauschen, mit Wonneschauer auf
den Laut der süßen Stimme horchen, und in dem Gedanken, die Mutter des Engels zu sein, jeden
Druck und jede Beklemmung des Lebens vergessen.
Früher klagte ich oft über Geschik und Menschen, über den Mann der mir Jugend und Unschuld zu-
gleich raubte, aber wie wunderbar sind alle, alle Mißtöne in Eine große Harmonie aufge-
löst! und sterb ich jetzt, so darf ich nicht sagen, daß ich nicht seelig war.

Später.

Du scheinst unwillig über mein Urtheil Deiner neuen Freundinn, Mad: Bertheau? ich kann es nicht
helfen Rosa, sie machte keinen freundlichen Eindruck auf mich, so freundlich sie war, und das all-
gemeine Urtheil bestätigt so ganz das geheime Gefühl in mir – freilich sollten wir nie dem Rufe
über eine Frau trauen, aber sah ich es nicht selbst, hörte ich es nicht mit meinen Ohren, wie sie vor
einer zahlreichen Gesellschaft ihren jetzigen Mann, der gerne meinenthalben ein Tropf sein mag,
mißhandelte, und doch verließ sie einen andern der sie liebte, um mit diesem sich zu verheirathen,
den sie für reicher hielt, und der sie aus einer ungeheuren Schuldenlast zog, die sie durch ihre
rasende Verschwendung auf sich geladen hatte? Schon die Pflicht der Dankbarkeit sollte sie
nachsichtiger gegen die Schwächen seines Alters machen, aber ich sah es, und Caroline Pr:, die
nie lügt, bezeugt es, daß sie schlecht gegen ihn ist und ihn durchaus ruinirt. Kannst Du
diese Thatsachen widerlegen, so bin ich freilich ungerecht gewesen, und bitte ihr im Geheim die
Schuld gegen sie ab – Aber schon zu viel über eine Sache, die mir Deinen Unwillen
zuzog, und mich jetzt sogar zwingt, die Rolle eines Fiskals zu übernehmen, die ich wie den
Tod hasse – aber vertheidigen mußte ich mich doch, nicht wahr Rosa? Unrecht habe ich immer,
sie je getadelt zu haben, denn verbreitet nicht Deine Neigung einen Nÿmbus über sie –
adelt Deine Liebe sie nicht? Vergieb und vergiß, Rosa, ich will mich auch bemühn, Deine
Minna zu lieben – ob ich vielleicht eifersüchtig bin? es ist so mein häßlicher Fehler. –
Recht überraschen wollte ich Dich eigentlich, aber da wird wohl nun wieder nichts daraus wer-
den. Denke Dir, liebe Rosa, daß Hertha
und viele Lieder von mir vermuthlich bei Cotta
in T. herauskommen. Perthes schreibt, oder hat deshalb schon an Cotta geschrieben; das
Manuscript ist bei Perthes, der es hernach an Cotta schickt, wenn er seine Antwort hat.

Seite „84v“

Es ist ein sonderbarer Einfall von Perthes, daß er nach Frankfurt an Deinen Bruder geschrie-
ben hat, der ein Vorwort zu meinem Werke schreiben soll – so ausgerüstet tritt es in die
Welt. Zürnst Du auch, Theure, daß Dein Name vor den Liedern voran steht? –
Eigentlich sollte Hertha eine Geburtstagsgabe für Dich sein, nun kömmt sie wohl erst
zum nächsten, und ich kann mich freuen, wenn nur dann noch. Ich wollte Dir eigent-
lich nichts davon sagen, bis ich Dir das Ganze gedruckt schicken konnte, da es aber an
Deinen Bruder kömmt, würde es Dir nicht verborgen geblieben sein, daher eine
umständlichere Nachricht für Dich. Lesen sollst Du aber Hertha nicht eher, als bis sie
gedruckt ist. Alle hier sagen daß sie schön sei – der Kammerherr war nun
vollends ganz hingerißen und hielt nicht eher auf, bis ich versuchte sie drucken
zu lassen – wie es mir ferner ergeht, muß ich nun erwarten.
Perthes hat sich unendlich edel gegen mich genommen, und darum mein Werk an
Cotta empfohlen, weil dieser mir bessere Bedingungen als er geben kann, sonst
hätte er es gerne selbst verlegt. –
So werde ich reich und berühmt auf einmal werden – Du wirst mich gar nicht wie-
dererkennen, wenn Du mich siehst, denn der Stolz wird mich ganz und gar aufblähn.
Die Erzählung von >Hertha ist etwas fürchterlich – lächle nur, aber ich ward einmal
von Schauder beim Abschreiben in der Nacht zu Bette gejagt, dann aber schien der Mond
so bleich und geisterhaft auf mein Papier, wie im Stücke auf meinen Grafen.
Es sind viele Lieder in Hertha; des Kammerherrn Lieblingslied ist der Wechselge-
sang zweier Minnesänger, das so anfängt:
Wie w Erster Sänger:

Wie wohlig ist’s dem Jägersmann
Im dichtbelaubten Wald!
Vollmuthig schaut er Himmel an,
Nichts was er nicht erringen kann,
Fern jede Truggestalt.
Der blaue Aether über ihm,
Die Wolken die stets vorwärts ziehn,
Die Blumen die so duftig blühn,
Worum nur Sterbliche sich mühn,
Glück, Freiheit lächeln ihm. –

Zweiter S.
Nach unbekanntem Gut?
Was beut so wildes Leben,
Was kann der Wald ihm geben
Als armer Thiere Blut?

Seite „85r“

85

O nenne höhre Wonnen,
Mein Sang, so leis und mild;
Erschließ der Liebe Bronnen
Durchglüht von schönern Sonnen,
Aus denen Sehnsucht quillt.

Erster S:
Auch der ist zu beneiden,
Der in der Männerschlacht,
Verachtend niedre Freuden,
Um Knechtschaft zu vermeiden,
Den Feind zum Knechte macht.
Ihn schmücken Lorbeerkronen,
Und Glück und Ehre lohnen,
In Hütten und auf Thronen,
Den der den Tod verlacht
Und Freiheit stark bewacht. –

Zweiter S.
Ach! nicht im blut’gen Spiele
Glüht edler Lebenssinn
Nicht in des Kampfs Gewühle,
Im himmlischen Gefühle
Der Lieb’ nur sproßt Gewinn!
Der Liebe Schläf’ umwindet
Die Lieb’ mit duft’gem Grün,
Das fest die Herzen bindet,
Und Ruhm durch sie gegründet
Kann nimmermehr verblühn.

Erster S.
Hell quillt aus saft’ger Traube
Der Wein so wonniglich,
Wenn nach der Schlachten Staube
Der Held in Sommerlaube
Erholt vom Kampfe sich.
Hoch perlt er an die Lippen,
Gießt Labung in die Brust;
Mit jedem kräft’gen Nippen
Versinken Unmuths Klippen
Und siegreich wird die Lust.
Zweiter S:
Beut nicht der goldne Becher
So Gift als Lebensgluth?
Berauschung quält den Zecher,
Der Wein wird selbst sich Rächer
Und Heiterkeit zur Wuth.
Doch quillt vom Rosenmunde
Der Lieb ein seel’ger Quell,
Der neu zu jeder Stunde,
Damit das Herz gesunde
Von Lippen rieselt hell.

Erster S:
Hoch prangt auf goldnem Throne
Der König mächtiglich;
Die Stärke reicht zum Lohne
Den Herrscherreif, die Krone,
Und Welten beugen sich!
Dem Berge macht man Wunden,
Sucht Perlen tief im Meer,
Die schönste die gefunden,
Den Lohn von heißen Stunden,
Bringt man dem Kön’ge her.

Zweiter S:
Sah man nicht Kön’ge steigen
In nied’re Dunkelheit,
Der Schönheit sich zu neigen,
Und aller Welt zu zeigen,
Wie Allen sie gebeut?
Der König tauscht denn Mirthen
Für Kron’ und Scepter ein;
Was Glück und Ruhm umgirrten,
Sein Loos für das des Hirten,
Für das geliebt zu sein!

Drum stimm zu ihrem Preise
Auch Deine Harfe sich!
Für jede neue Weise,
So minniglich und leise,
Lohn süße Liebe dich!

Seite „85v“

Erster S.
Verstummt sind meine Töne,
Besingend Ruhm und Gold;
Es siegt der Liebe Schöne –
Ist wer der sie verhöhne,
Dem sei sie nimmer hold!
– –

Du siehst, ich ließ mich hinreißen, Dir den ganzen Minnegesang zu schreiben –
aber man kann so keinen einzelnen Vers schreiben, wenn man einen Begriff
vom Ganzen geben will.

An Assur sage viel tausend herzliche Grüße, auch daß ich ihm liebend ergeben bin und
oft seiner gedenke, wenn ich so Abends mit meinem Jungen auf dem Schooße vor der
erwärmenden Flamme des Ofens sitze – Auch wir lagerten so oft vor Deinem
Ofen und erzählten Geschichten, welches ich auch jetzt muß, und zwar jedesmal
die Geschichte vom Lämmchen mit einem rothen Bande um den Hals, das wegläuft und
vom kleinen Knaben im Bache ertrunken wiedergefunden wird. O das arme kleine
Lämmchen! schließt mein Junge jedesmal die Geschichte, und den nächsten Abend springt
es doch wieder lustig vor uns im Klee umher, und muß wieder ertrinken. –
Eben kömmt der kleine Schelm und macht mir mit weißer Kreide ganz sachte einen
weißen Strich auf den Rücken meines schwarzen Spenzers
; so ein ausgelassner
Bube ist das! –
Zum Weihnacht hat er von seinem Vater und seiner Großmutter eine ganze
Schachtel mit Spielsachen bekommen – Du glaubst nicht welch Vergnügen
er daran hat, aber er zerstört gleich alles, denn er ruht nicht, ehe er die
innere Beschaffenheit jedes Dinges erforscht hat; er wird gewiß ein Natur-
forscher. – Eitel ist er ganz erschreklich, denn wenn ich ihm neue Hosen
und Kleider gebe, will er sie nie wieder ausziehn; in einer Nachtzie umher
zu gehn, ist seiner Ehre als Mann zuwider; wenn er auf ist, muß er Hosen
anhaben, auch steht ihm die englische Kleidung, mit kurzen Kleidern über
langen weiten Hosen sehr gut, und er soll sie noch wenigstens zwei Jahre
tragen. –
Da ist mein Blatt zu ende, ehe ich’s vermuthe – Du siehst wie gerne ich mit
Dir plaudre. – Also Ostern?
nun, Gott gebe seinen Segen!
Es wird schon ganz dunkel, und ich muß schließen.
Der Himmel bewahre Dich, meine süße Liebe, und mir Deine unschätzbare
Freundschaft, die mich bis zum letzten Hauche entzücken wird. Schreib bald, aber um Gotteswillen, keinen Geschäftsbrief wieder!
Ewig Deine Amalia.