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Brief von Amalia Schoppe an David Assur Assing

Burg auf Fehmarn, 16. September 1815
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 230 Schoppe Amalia, Bl. 6-7 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Amalia Schoppe
Empfänger/-in
David Assur Assing
Datierung
16. September 1815
Absendeort
Burg auf Fehmarn
Empfangsort
Hamburg
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 125 mm; Höhe: 210 mm
Foliierung
Foliierung mit Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Paweł Zarychta; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Erstdruck: Thomsen, S. 112–116.

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[Ludmilla Assing]Amalia Weise.
Burg, auf der Insel Fehmarn
den 16. September 1815.
Burg auf der Insel Fehmarn, den
16ten Sept. 1815.

Lieber theurer, vielfreundlicher Assur!

In der thauigen Morgenstunde – eben erst ist die Sonne meinen
blauen Ostseefluthen entstiegen, – setze ich mich hin, um, wie Ihr
Wunsch ist, recht eigentlich an Sie zu schreiben, dessen Bild
gestern durch die liebevollen Worte ganz wieder in mir auf-
gefrischt worden. Neben mir schlummert noch mein süßer
unschuldiger Junge und vom Fenster her verbreiten einige
Heliostropus, die ich unserm Norden abzwang, den ätheri-
schen Duft, also bin ich so lieblich als möglich umgeben, welches
wohl dazu gehört, einem sehr trauten Freunde zu schreiben.
Nicht Ihrer Zeilen hätte es eigentlich bedürfen sollen mich
zum Schreiben an Sie zu bringen, aber so sinnlich ist der
Mensch, daß er noch immer äußerer Anregung bedarf, um
die Wünsche seiner Lieben zu verstehn – o sänken doch
endlich, endlich die schweren einengenden Schranken zwischen
liebenden Herzen zusammen!!! Was hat denn nun die
Liebe vor dem Hasse voraus in der Trennung?
Theurer Freund, wie Ihnen ist mir die Trennung recht von ganzem
Herzen zuwider, aber doch wird sie wohl noch Jahre dauern –
Jahre? ach und dann ruhe ich gewiß schon in heimischer Erde, denn
seit der Geburt meines Knaben ist alle Gesundheit hin, und
wenn ich mich zuweilen über gesunde Tage freue, quälen mich
kranke Wochen. Aber glauben Sie nicht, Theurer, daß mich das
traurig macht, auch nicht darum weil ich mein Kind verlassen
muß – ich sehe es als den Phönix an der lebendig und jung
aus meiner Asche empor steigt und freue mich um desto mehr
seiner Kraft und Schönheit da ich sie ihm so recht eigentlich mit
der größesten Selbstaufopfrung gab –
In die Hand meiner Rosa – die ich über alle Gestalten meines
Lebens stelle, legen ich dies theure Wesen und es wird bei ihr
ein Mutterherz ohne Mutterschwäche finden, denn ich kann seinen
Bitten nichts versagen, wenn er so freundlich bittend zu mir auf-
sieht und niedliche Mutter mit seiner einzig schmelzenden Stimme
sagt.
Sonst ist mein Leben ein Kreis von ewig sich erneuenden Freuden,
Wonnen möcht ich fast sagen. Tags von früh bis 6 viel Arbeit,
aber den übrigen Abend hindurch schöne Ruhe. Um 6 trinke ich
meinen Thee mit meinem Jungen, dann bringt er mir seine
Mütze und führt mich ins Feld hinaus, wo er Stunden lang
in einem Gärtchen, [×××] das ich ausserhalb der Stadt besitze,
oder mit Pferden und Lämmern spielt, die auf einer großen

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Gemeindewiese weiden; Furcht kennt er nicht – ich sah darin
nie ein ähnliches Kind – Oft gehe ich mit ihm an die Ostsee,
wo er tausend bunte Kiesel sammelt und mit fröhlichem Ge-
plauder mir bringt, aber wegen seiner unbezwinglichen
Neigung ins Wasser hinein zu gehn, der er trotz meinen vielen
Bitten nicht entsagen kann, habe ich jetzt diesen Weg aufgeben
müssen. Sind wir nach Hause zurückgekehrt so entkleide ich ihn
und bade ihn in ganz kaltem Wasser, woran er viel Freude
hat und nehme meine Guitarre; dann legt er sein Köpfchen
auf meinen Schooß, bedeckt sich selbst mit einem Sophakissen und
schläft unter meinem Spiele ein, wo er dann in sein Bette ge-
tragen wird.
Gestern Abend, wo der Mond so herrlich schien und ich mit ihm an der
See stand, sah er diesen zuerst – seine Freude war über alle
Grenzen, aber ich mußte ihn auf den Arm nehmen, denn er
wollte die schöne Kugel durchaus greifen – die Sterne nannte
er kleine Monde. – Es betrübte mich fast, daß er schon so
früh nach dem Monde griff – hat’s damit nicht noch lange Zeit
für ihn? Freilich müssen ihm einmal Jahre kommen, wo
er wähnt die Sonne und alle Planeten vom Himmel rei-
ßen zu können, sie müssen kommen wenn er ein Mann
werden soll – aber schon jetzt? –
Lieder schreibe ich viel, denn fast mein ganzes Leben ist ein schönes
Gedicht und alles ist überhaupt hier tausendmal poetischer als
in der übrigen Welt, selbst die Bäume – o sie sollten ein-
mal unsre einzig schönen Bäume sehn! Ich weis nicht, ob ich
nie so aufmerksam auf die Schönheit der Bäume war, als
jetzt, oder ob sie wirklich tausendmal schöner hier sind, aber ich
kann keinen ansehn, ohne recht innerlich erfreut zu werden.
Ueberhaupt ist die Vegetation hier kräftiger als irgendwo;
denken Sie sich, daß man von den sogenannten gelben Wurzeln
hier welche baut, die ein Pfund und darüber wiegen; sie gleichen
vollkommen den Runkelrüben. Der Klee ist so üppig, daß
man nicht selten welchen von 7, 8, 9 Blättern findet.
Die Blumen gedeihen so vortrefflich, daß ich im vorigen Früh-
jahr im Garten eine Aurickel zog, wo 20 Glocken an Ei-
nem Stengel saßen, dazu war die Art selten. So sind auch
die Menschen viel größer und schöner – und viel ehrlicher, denn
des Nachts sein Haus zu schließen ist eine Seltenheit. Wenn ich
ausgehe bei Tage und selbst mein Mädchen nicht zu Hause ist,
fällt es mir nie ein den Schlüssel abzuziehn; man bittet
nur seine Nachbarn Bescheid zu geben, wenn Jemand kommt.
Mein Gemüsegarten liegt im freien Felde, aber nie ist mir
ein Blatt entwendet worden, vielweniger eine Frucht.

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Das Getreide trägt 70, 80 fältig in guten Jahren wie dieses
ist.
Mangel leidet hier Keiner, aber Geld haben selbst die Reichsten nicht,
und bezahlen mag und will niemand, daher kann es oft kommen
daß ich trotz meiner guten Einnahme in augenbliklicher Verlegen-
heit bin wenn ich gleich viel zu fordern habe, aber da darf ich dann
nur sprechen, so sind sie so billig mir alles zu geben, dann sagen
sie, sie hat kein Land, das heißt so viel, ich kann nicht so aus
meinem Felde, meinen Ställen, etc. leben wie sie. Jeder
hält sich fast alles selbst was er täglich gebraucht, Rinder,
Schaafe, Kälber; Geflügel aller Art, und von dem allerschönsten,
wird von Jedem im Ueberfluß gezogen; nur Colonialwaa-
ren und die feinern Stoffe werden von den Kaufleuten
eingehandelt; die gewöhnlichen Zeuche weben die fleißigen
Frauen selbst.
Gesellschaft ist hier im Städtchen, und sehr gute, aber auf dem
Lande herrscht die himmlische Einfalt der Sitten und Gebräuche
und eine patriarchalische Gastfreundlichkeit, die jeden Begriff
übersteigt; man macht die Landleute glüklich, wenn man
täglich bei ihnen wohllebt. –
Da habe ich Sie in unser schönes stilles Leben eingeführt, das keine
rauschende Freude, aber auch nie eine Leere und Lücke giebt und
wo Liebe und süße Einfalt herrschen; Sie werden nicht umhin
können es glüklich und schön in aller seiner Beschränktheit
zu nennen.
Hätte ich Sie und Rosa hier, so würde ich keine Sehnsucht nach irgend
etwas in der Welt fühlen, aber so schaue ich doch oft nach Süden
und über das geheimnißvolle Meer hin, auf dem viel fremde
Seegel wehen, dessen Wogen aber vergeblich für mich die Ufer
bespühlen, weil sie mir Die nicht bringen nach denen jeder
Herzensschlag sich sehnend drängt und ewig drängen wird.
Aber wie lebendig wirkt und webt meine rege Fantasie, wie
verklärt und hell stehen die Gestalten meiner Ewiglieben,
Erwählten vor mir, wie thue ich selbst fern das wenige
Gute welches mein beschränktes Leben zu wirken vermag
nur in Beziehung auf diese und freue mich dessen nur
um sie! Mein ganzes Leben ist nur Lieben gewesen, ein
heftiges kräftiges Lieben, daher kann ich auch nichts nur in
Beziehung auf mich allein thun, sondern alles dreht sich um
die Geliebten, selbst meine vielen Schwächen und Thorheiten.
Auch hier fand ich ein sanftes liebes weibliches Wesen, das
durch frühere Schuld verklärt worden ist, dem ich durch Liebe
und Aufmerksamkeit das Leben zu verschönen strebe und
das jede Freude mit mir theilt, in jedem Kummer bei
mir ausharrt. Eine Rosa ist sie nicht – aber es freut
mich meine Kenntnisse dazu anwenden zu können, die
ihrigen zu vermehren, wie Rosa es ja auch bei mir that. –

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Daß die Stürme sich auch bei Ihnen gelegt haben freut mich – es
schaut sich darnach erhebend und schön auf die sanft bewegte Fläche
des Lebens, aber Keiner wähne, daß wenn sie einmal beschwig-
tigt, sie es für immer sind; o sie kehren wieder, ewig und
ewig!!!
Theurer Freund! ich glaubte mich so oft auf immer im Hafen, weil es
Zeiten gab wo mir alle Wünsche schwiegen, aber wie abgeschiedne
Geister kehrten sie zurück und ihr rauschender Flügelschlag be-
wegte die stille Luft daß sich Wolken drängten und rasende
Winde erhoben.
Blicke ich jetzt auf den herrlichen Knaben der den Faden meines
Lebens munter weiter spinnt, so scheint es mir, als schwiegen
alle Wünsche für ewig, und im selben Moment kömmt die
Frage an das Schiksal in mir empor: warum liebst du seinen
Vater nicht, warum darfst du ihn nicht verehren um ganz glük-
lich zu sein? O warum hauchte Ein Moment des flüchtigen Sin-

nenrausches das Glück seines und meines Lebens vergiftend
an! warum liegt wie vom giftigen Mehlthau erstarrt die
Blüthe meiner Liebe da?
Eine Lücke ist in meiner Brust die nichts auszufüllen vermag –
ich war Mutter ohne Gattinn zu sein – ich bin Gattinn und werde

nie wieder Mutter werden! meine Unschuld ist verloren und
ich besitze sie noch — welche Räthsel, welche unnatürliche Verhält-
nisse, und doch wie natürlich alles wieder! Der Mann meiner
ersten Liebe, jetzt mein Gatte, ungeliebt, in heißer Liebe ersterbend.
Wer wagt es denn mir sagen zu wollen, warum alles so unnatür-
lich sein mußte, warum ich für die Schuld eines Andern so schreklich
zwei lange Jahre büßte?
Erinnern Sie sich noch meines erschrecklichen Traumes mit den vielen
Perlen die ich am Meere fand? – ich werde ihn nie vergessen,
obgleich es jetzt Freudenthränen geworden sind. –
Unser Haus vor’m Steinthor, alles ist wohl zerstört? Die
liebe Aussicht vom grünen Zimmer oben wohl auch? Der Ge-
danke ergreift mich mit Wehmuth, daß ich mir die liebe Gegend
jetzt gar nicht mehr denken kann, wie sie nun ist; aber
besser ist es doch daß mir das reine Ideal jetzt vorschwebt:
würde mancher schöne Wahn uns so gelassen! Wir spielen
ja doch als Kinder bis zum Grabe mit Puppen und Blumen
ohne es zu ahnen: warum wohl das Schiksal von einigen
die Gewänder und Ueberzüge löst, um uns zu zeigen, daß
sie nur mit Stroh angefüllt sind? Es sollte nicht so sein,
aber ich kann es nicht helfen, mir ist jeder Traum, der
mir schöne Bilder zeigt, lieber als eine Wirklichkeit ohne
Interesse und Freude, da siegt die Materie über das Göttli-
che in uns – und Vielen geht es so wie mir. –
Sehn Sie was ich da schon mit Ihnen plauderte, ohne zur Hälfte
fertig zu sein – aber der bestimmte Raum ist voll und ich
will schließen. Meiner sehr lieben Rosa tausend tausend
Grüße; mein Knabe küßt Sie und Rosa – er wird wohl
wacker werden will’s Gott! In warmer schwesterlicher Liebe
bin ich Ihnen ganz ergeben:
Ihre Amalie.
[Amalia Schoppe]Von Kerner weis ich kein Wort, schon seit Jahren nicht – sollte der liebe Freund uns verloren gehn? Daß Fouqué Sie erfreut hat kann
ich mir denken – es muß eine Wonne sein mit solchem Manne zu leben und sind es auch nur Stunden. Lieber Assur, wann
wird’s denn daß ich nach Hamburg kommen darf und Ihnen meinen Jungen in die Freundesarme, an das edle schöne
Herz lege, und Sie bitte, ihn zu lieben wie die Mutter, die sich dessen froh bewußt ist? – Schreiben Sie mir doch schnell wieder,
Sie sehn ja, daß ich Ihren Wunsch so freudig erfüllte und gleich schrieb. –