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Brief von Amalia Schoppe an Rosa Maria Assing

Burg auf Fehmarn, 24. Februar 1815
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 230 Schoppe Amalia, Bl. 76 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Amalia Schoppe
Empfänger/-in
Rosa Maria Assing
Datierung
24. Februar 1815
Absendeort
Burg auf Fehmarn
Empfangsort
Hamburg
Umfang
1 Blatt
Abmessungen
Breite: 190 mm; Höhe: 230 mm
Foliierung
Foliierung mit Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Paweł Zarychta; Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „76r“

76

Assing
Burg, Fehmarn den 24ten Feb: 1815.

Freilich hätte ich mir, theure Rosa, bei Deinem Stillschweigen die Worte Werthers: „Du solltest wissen daß
ich glüklich bin.“
selbst zurufen sollen, aber so sehr ist der alte böse Geist Egoismus noch nicht in mir er-
stickt, daß ich bei der Ueberzeugung Deines Glüks nicht auch wünschen sollte, Antheil daran zu nehmen –
drum, Geliebte, höre nicht auf an mich zu schreiben, mir recht viel über Dich zu schreiben.
Daß Assur in Deiner Nähe lebt, freut mich um Euch Beide, da ich so lebhaft fühle, was Ihr Euch sein
müßt – möge ein süßes Band Euch unzertrennlich vereinen!
Du theure Rosa – wie ist’s möglich daß sich Prosa daraus machen läßt! sag an Assur, daß das
Räthsel ihm nicht hätte einfallen dürfen – aber eine Sünde erzeugt die andre, und so folgt die Beilage
auf Rosalinde – Assur wird sie wohl statt der Auflösung annehmen –
Lieder habe ich viel, sehr viel, aber wenig Zeit sie Dir abzuschreiben; sag, willst Du auch scherzhafte
Sachen? Ich werde es mir wohl nicht versagen können, Dir das Lied bei dem eisernen Kreuze
, welches
ich, dem mir von Dir geschenkten ähnlich, aus Hamburg für meine Freundin kommen ließ, bei-
zulegen; aus Eitelkeit ist es freilich nur, denn ich halte dies für mein allererstes Gedicht, weil
ich dabei fühlte, daß ich Verse machen könnte, wenn ich Zeit hätte. Weihnacht Nachmittag um 5,
eine Stunde ehe ich es verschenkte, ist es mit großem Leichtsinn von mir gemacht und seitdem
fand sich keine Zeit es durchzusehn, daher wohl hin und wieder einige Freiheiten, die Du dem ganz
rohen Produkte gütigst nachsehen wirst; bei Gelegenheit nehme ich es wieder durch und schreibe es
Dir anders ab. – Sag, liebe Rosa, hab ich Dir schon ein Lied geschrieben, worüber Freudigkeit
steht? und das des lustigen Gesellen
und den Wettgesang zweier Minnesänger, so wie Herthas
Lied aus meinem kleinen Romane?
Zwei neuere Lieder daraus, die ich letzt Abends schrieb
und von denen ich sicher weis, daß Du sie noch nicht hast, lege ich zu den andern; aber über die
früher angeführten muß ich erst Gewißheit haben, daß ich sie nicht doppelt abschreibe, welches
mir bei ihrer Länge besonders unengenehm wäre.
Daß das edle Liederwesen noch immer fortgeht, siehst Du wohl – was hätte ich hier besseres
zu thun, als meinen Jungen lieben und Lieder schreiben? Wie in der Spinne ist der ewige
Faden in mir, ja ich möchte sagen, daß ich täglich im Stillen zehn Romanzen und Lieder
dichte und eben so schnell wieder vergesse; mich begeistert oft ein Sandkorn, und eine
sterbende Fliege macht mich weinen, so erregt ist mein Gemüth, so lebendig schimmern
mir alle Farben – Ein Treiben und Drängen ist in mir, eine seelige Ahnung
wie im Lenz im Baume; alles strebt sich in Knospen und Blüten zu entfalten,
alles dem lichten Aether zu – ob ich wohl bald sterbe, weil ich so frei und glüklich
bin? Meine Gesundheit ist auch seit einiger Zeit vortreff[l]ich; der beklemmende
stechende Schmerz in der Brust ist durchaus geschwächt, das A[th]men wird mir unge-
wöhnlich leicht und zuweilen färbt ein heftiges Roth mein Gesicht, meine Augen
sind dunkler und lebhafter als je vorher – diese Veränderungen sind so auffal-
lend, daß ich sie selbst bemerken kann. Glaube aber darum nicht, daß ich
mich vernachläßige, nein, ich gebrauche vielmehr täglich eine bittre Medi-
cin, von der ich schon sechs Flaschen geleert habe – o wie glüklich wäre
ich, wenn ich ganz gesund wieder würde!!!
Bei meinem süßen Knaben zu bleiben, ihn zum Manne werden zu sehn, ausgestat-
tet mit Kraft und Kenntnissen – o liebe, süße Rosa, in dem Gedanken liegt
der Himmel, ein Himmel den Deine jungfräuliche Seele nur ahnen kann,
den aber mein mütterliches Herz mit allen seinen Wonneschauern faßt! –

Seite „76v“

Theure, geliebte Rosa! wie sehnlichst wünsche ich Dir ein Kind, ein Mädchen, ein
Mädchen das Dir gleicht! Deinen und meinen Namen müßte es führen und
mit meinem Jungen erzogen werden, damit sich Beide fänden und liebten
und das seelige Band der Eltern noch fester knüpften! Ach, da vergeße ich
ganz, daß ich zu der zarten Jungfrau spreche, deren holde Wange sich vielleicht
mit dem süßesten Purpur bei dieser Zumuthung überzieht – Verzeih, meine
Rosa – ich bin so gewohnt, Dir niederzuschreiben, wozu der Augenblick mich be-
geistert, weil ich nie fürchten darf, von Dir nicht verstanden zu werden, daß
ich hier vielleicht übertrieb und Dein Zartgefühl verletzte. Und doch, meine
vielgeliebte Schwester, Dir darf ich sagen was ich denke, weil auch mir der
Schleÿer der Unschuld noch nicht genommen ist – die jungfräuliche Mutter
darf zu Dir reden was sie denkt, was ihr deutlich ist, nur über ihre Ahnungen
muß sie Dir schweigen.
Ich habe Lucinde
gelesen – ich besitze es selbst – ich begreife was es enthält, aber
es ist nicht mehr – es giebt etwas süßeres als das Verlieren in Genüssen der
Art – daß es etwas heiligeres giebt, leidet keine Frage. Für das äußere Leben
mag so die Verbindung zweier Wesen schön und am besten sein, aber die
Aussenwelt soll ja verschwinden; – der Mensch soll nicht mehr Körper werden,
als er schon ist, sondern mehr Geist
Schlegel hat oft Recht, aber öfterer Unrecht, das fühle ich mehr als ich es sagen
kann.
Novalis, den ich in die Lesegesellschaft gebracht habe, erfreut mich diesen Augen-
blick – er hat viele Verehrer hier, und wie er mich begeistert, weißt Du noch
von früher, auch ließ er ja Dich mich finden – wie könnte ich Dankbarkeit
gegen ihn vergeßen, wenn ich ihn auch nicht wie jetzt verehrte und heilig hielte?
Habe ich Dir schon über meinen Roman geschrieben?
Der Kammerherr Ries läßt Dich durch mich bitten, zu Perthes zu gehn und ihn
zu fragen, ob er wohl Lust hätte eine Sammlung von Balladen zu verlegen,
die er herauszugeben gedenkt – Oehlenschläger hat sie für schön und neu er-
kannt – ich würde Dir natürlich einige zur Probe schicken, sobald
sich Perthes nur geneigt erklärt hat; besorge es mir zu Gefallen gleich, mei-
ne Theure und schreibe mir eine Antwort im nächsten Briefe. Der Kam-
merherr ist kein Däne, sondern ein Rheinländer, damit Du nicht fürch-
te[st] Danicismen zu begegnen; ich finde seine Art zu dichten neu und schön.
Mehrere dieser Balladen sind von mir ausgegangen, weil der Kammerherr
es liebt sich von mir Gegenstände aufgeben zu lassen; letzt wollte er
mich durch eine neue überraschen, die er mir zueignete, und es fand sich,
daß er durch Zufall den Stoff zu meinem Romane gewählt hatte; daß
das viel Jubel und Freude machte, kannst Du denken.
Was ich daran tadle ist, daß alle eine etwas schauerliche Tendenz haben,
aber interessant sind sie im höchsten Grade. –
An Assur sage viele freundliche Grüße und daß ich recht bald schreiben
will; ich möchte ihn nicht gern mit wenigen Zeilen abfinden, daher schrei-
be ich heute nicht. Du, theure Rosa, bist dringend von mir gebeten, nun recht
bald zu schreiben – ergieb Dich nicht der Trägheit – Ewig Deine Amalia. –