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Brief von Karoline von Woltmann an Wilhelm Dorow

Berlin, 29. Mai 1834
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 281 Woltmann Karoline von, Bl. 11-12 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Karoline von Woltmann
Empfänger/-in
Wilhelm Dorow
Datierung
29. Mai 1834
Absendeort
Berlin
Empfangsort
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 195 mm; Höhe: 245 mm
Foliierung
Foliierung in Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Agnieszka Sowa; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „11r“

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[Karl August Varnhagen]
Karoline von Woltmann.
Berlin, den 29. Mai 1834.

Allerdings, geehrter Herr, hätte Ihnen der heu-
tige Tag ein Exemplar der deutschen Briefe
und
meine Bitte gebracht, dies gütig aufzunehmen. Nun
bringt er Ihnen nur mein Bedauern, daß Sie mir
zuvorgekommen sind und meinen Dank.

Sie haben durch Ihre gütige Ermunterung zur
Herausgabe, durch die mitgetheilten Briefe ein
Anrecht an dieses Buch; ein viel näheres aber durch
die Erinnerung an Zeiten, da das Leben uns noch
blühte, zumeist in denen, denen es blühte, wie
uns. Man stirbt mit jedem näheren Freund. Die
Zurückbleibenden sind in der Regel Nach-

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gebohrene; sie haben sich aus andern Säften und
Stoffen, als wir genährt: sie sind andrer Art
wenn auch derselben Gattung. Da bleibt am Ende
als lebendigstes Interesse das historische; das Le-
ben der Menschheit; man wird sich selbst historisch;
und jenes wächst, je weiter der Horizont wird,
den täglich Erfahrung und Betrachtung erwei-
tern. Es reicht uns zu einem beseelten, ja, in
Verbindung mit liebevoller Theilnahme, Thätigkeit,
äußerm Behagen, zu einem glücklichen das
Leben zu machen.
Sich in seinem Streben so gütevoll aufgenom-
men zu sehn, als die Deutschen Briefe
von Ih-
nen aufgenommen worden sind, ist selten.
Noch seltener kann dies von einem Geiste be-

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gegnen, der, wie der Ihre, bei jedem Werke, so den
Lebenspunkt zu treffen weiß, der ihm Wesen und
Gestalt giebt; und von diesem aus Strahlen der Klar-
heit über das Ganze nach allen Richtungen zu ver-
breiten.
Haben Sie den innigsten Dank für die Gutthat
welche sie mir dadurch erzeigt. Insonderheit hat
mich erfreut, was Sie über Woltmanns Kritik
Gö-
the’s
sagen, und über seine psychologischen Urthei-
le. Auch mich ergriff, als ich den Brief über den
König
las, das Prophetische, welches die Zeit die-
sem Urtheil gegeben. Rahels Briefe hätten die-
ser Sammlung eine Eigenthümlichkeit gesellt, wo-
durch sie sehr gewonnen haben würde: das fühlen
und wissen Sie am besten.
Ich kann nicht genug über Italien sagen: das

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schöne, so viel besprochene, so wenig erkannte Land,
bekannt ist es genug. Es hat mir noch einen Wunsch
für mich erweckt, dort das Leben zu beschließen.

Wie ich höre, werden Sie bald reisen und zwar nach
Wien. Ich gehe den zwölften Juni zu meiner Schwester
nach Schlesien, von dort ebenfalls nach Wien. Viel-
leicht habe ich das Vergnügen Sie dort zu treffen.
Alte Orte finden wir wieder; auch nicht mehr die
alten. Alte Zeiten haben wir glücklicherweise
unveränderlich in der Erinnerung, und eben ihr
Wesentlichstes, Beßtes.

Ich wünsche, daß das Publikum, die deutschen
Briefe
gut aufnehme. Was Sie dafür thun können
erwarte ich auch ohne Bitte darum von Ihrer Güte.

Mit dankbarer Hochachtung und herzlichem Antheil
an Ihrer Zufriedenheit.
Berlin
29.sten Mai 1834
K. v. Woltmann