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Brief von Helmina von Chézy an Karl August Varnhagen von Ense

Baden-Baden, 11. November 1835
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 47 Chézy Helmina von, Bl. 256-258 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Helmina von Chézy
Empfänger/-in
Karl August Varnhagen von Ense
Datierung
11. November 1835
Absendeort
Baden-Baden
Empfangsort
Berlin
Umfang
3 Blätter
Abmessungen
Breite: 200 mm; Höhe: 245 mm
Foliierung
Foliierung in Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Jadwiga Kita-Huber; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „256r“

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Helmina von Chézy an Varnhagen.
Baden, 11. Nov. 1835.
München, 9. Jan. 1841.

Seite „256v“

Seite „257r“

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[Karl August Varnhagen]
Helmina von Chézy,
geb. von Klenck.
Baden bei Rastadt, den 11. November 1835.

Baden 11 Nov. 1835

Ich sollte einen freiern Augenblick abwarten, an Sie
zu schreiben, denn ich trete sehr arm an Gedanken u
Eingebung vor Ihnen hin, indeß doch viel für Sie
in der Seele liegt; doch Sie werden den Gruß aus
einer Ihnen vertrauten Ferne darum nicht minder freundlich
empfangen. Heinrich Heine bat mich längst Ihnen seinen
Gruß zu senden, wenn ich Ihnen schreibe, ich habe ihn
nun seit diesem Junius nicht gesehn, er gieng
damals zur Prinzeß Beljioso
u ich ging aus Paris
u unterließ das Schreiben überhaupt, wie denn selbst
die, welche gewohnt sind von mir Briefe zu emp-
fangen seit Jahren keinen mehr sehen, aber ein
Jedes versteht daß der tiefste Schmerz stumm ist,
u eben das ist die Beredsamkeit der Leidenden.
Es gehn mir indeß die Spuren der Freunde nicht verlorn
die Zeitungen, die ich sehr fleißig u regelmäßig durch
blättre sind wandelnde Panoramen, die mir immer wieder

Seite „257v“

die lieben Bilder nun vor die Seele führen, daß ich
mich an Allem, was Allen Gutes u Beseligendes
wiederfährt, u was sie wirken, erheben u erquicken
kann. So schöpfte ich einen wahren Friedenshauch
aus der Nachricht daß unserem Eduard Hitzig nun
nach seiner ehrenvollen u ermüdenden Wirksam-
keit die Erholung gegönnt ist, der Er gewiß
bedarf. Sagen Sie ihm doch von meinem Antheil,
selbst über seinen Adler
hab ich mich gefreut,
solche Zufälligkeiten auch alle äußern Zeichen
sind – Auch von Adelbert erfahre ich durch seine
Lieder. Ihren Namen aber fand ich kürzlich neben
dem eines hinübergegangenen, langjährigen, hoch-
verehrten Freundes, der mich sehr liebte, sowohl
im Angedenken der Karschin, als in der Liebe
seiner theuern Nichten Minna u Henrike von
Knebel
zu mir, meiner durch 35 Jahre getreuen

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meiner geliebtesten Freundinnen. Er ließ sich von Minna
mein Bild machen u senden, u hat viele Briefe
von mir. Sollte unter diesen Jugendergüßen etwas
seyn das blüht oder gar leuchtet, so bitte ich Sie,
ihm doch einen Platz in dem Werke einzuräumen,
wo auch die Briefe an Karschin stehn! Ich meine fast, es
gehörte viel in den Kranz!
Es ist mir ungemein leid, daß ich von meinen Papieren
abgeschnitten bin, so lange H. v. Knebel lebte, wollte
ich selbst Ihm (u ich hatte wohl Recht) geschweige denn der
Oeffentlichkeit, die, ich darf wol sagen, wackre Replik
nicht geben, die ich auf Platens lieber alter Herr Major

gedichtet. Jetzt, wo sie so rein da steht, wie sie
entstand, will ich sie Ihnen von München aus
senden, wo ich Sie in meinen Papieren zu finden
hoffe. Freunde, denen ich sie las waren begeistert
davon, ob sie das Licht sehn soll, bleibe Ihnen
überlassen. Kennen Sie meine Worte über

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Rahel in der Revue du Nord
? Sie ist ja nun in nordischen
Landen verboten, diese Worte aber haben in Frankreich
viel Mitgefühl erweckt, noch weit über das hinaus
welches andre Stimmen weckten, weil ich mehr Raum
hatte. Heines Wunsch veranlaßte diese zweite Arbeit,
eine Erste, frühere über die erste Edition, wo ich an Uebersetzung Versuch
Ihrer eignen Notiz verzweifelnd gescheitert, ist
verloren gegangen. Diese sollte im die Rev. ds 2 Mondes

ist aber in die Revue du Nord von Otto Spazier gekommen,
noch habe ich den Abdruck nicht gesehn, u weiß nicht
ob ihn Spazier an Sie gesendet, ich meine es war
im Septemberstück. Sonderbar genug standen in der
Ersten Arbeit dieselbe Aphorismen die Lerminier gewählt
(deßen au delà gleichfalls verboten, nicht au delà du Rhin

mehr hin darf.) Meine Charakteristik Rahels u Sie hervor-
hebende Paralelle mit der Sevigné hat den vielen geistreichen
Franzosen u Frauen, denen ich sie las, ganz besonders
Freude gemacht, es ist auch ein Umriß ihres Lebens darin
ich habe, in dem ich sie schrieb viel an Sie gedacht, so
konnte sie dann nicht anders, als gut werden.
Wenn ich bald so erfreut seyn soll einige Zeilen
Antwort zu empfangen so adressieren Sie unter Umschlag
an Frau GräfinLaura Jaraczewska in Baden bei Rastadt – ich
muß wieder reisen, nothwendig nach Paris, nothwendig
nach München, weiß nicht, wohin zuerst, Sie sollen Nachricht
bekommen. Mit alter Gesinnung u Ergebenheit Ihre H. v. Chézy