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Brief von Emma von Suckow an Amalia Schoppe

Stuttgart, 3. Dezember 1847
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 240 Suckow Emma von, 03.12.1847 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Emma von Suckow
Empfänger/-in
Amalia Schoppe
Datierung
3. Dezember 1847
Absendeort
Stuttgart
Empfangsort
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 135 mm; Höhe: 205 mm
Foliierung
Foliierung durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków noch ausstehend.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Betty Brux-Pinkwart; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „1r“

[Karl August Varnhagen]Emma von Suckow
an Amalia Schoppe.
Stuttgard den 3 ten Dec. 47.

Meine Amalie, Ihre theuern Zeilen haben mir einen Reichthum von Liebe
und heiligen Schmerz gebracht. Unsägliche Sehnsucht empfand ich u empfinde
ich oft, bei Ihnen zu sein, Ihre liebe Hand zu fassen, in Ihr mächtiges
treues ernstes Auge zu blicken. Wie gut läßt sich's ruhen an einem
Herzen, das so groß und so edel schlägt wie das Ihre! Gott wird Sie
nicht von uns nehmen, wird Sie noch unserer Liebe auch sichtbar erhalten.
Sie sind Ihren Freunden so viel und wir bedürfen Ihrer so sehr. Gott
muß Sie sehr lieb haben, theure Freundin, weil er Sie mit so schweren
Prüfungen heimsucht. Der Verlust Ihres geliebten Julius, ist mir
schneidend durch die Seele gegangen und ich fürchte durch Worte
das tiefe Weh zu entweihen. Erlöst von irdischen Leiden, ein
geläuterter Engel blickt er nun zu der treuen Mutter herab.
O wie schön wenn wir uns dort einst alle wiederfinden u kennen!
Von Herzen verlange ich nach Kunde von Ihnen, liebe Amalie. Ich
hoffe u vertraue auch noch auf ein Wiedersehen hier auf Erden,
in Weinsberg u auch bei mir in Stuttgard, im Frühling. Vom Mai
an geht unsere Eisenbahn von Heilbronn und dann wandeln wir wieder
zusammen im Abendroth um den Schimmelberg,
Sie tragen die Loupe und
ich erzähle Ihnen – jedoch mit mehr Zärtlichkeit für Ihren Kopfputz –
meine unreifen Novellen. Es war mir eine große Freude in
Kerners eben erscheinenden neuen u sehr hübschen Gedichtauflage,

das liebe Jugendlied „An Amalie“ zu finden. Die Poesien Ihres Freundes
habe ich mit den nachdrücklichsten Empfehlungen von uns Allen an
Hauff gesandt. Ja, meine Amalia, Sie sollten an Ihren reichen
Memoirenstoff gehen! Welch ein Gewinn für Ihre vielen Freunde,
für die bekannten u unbekannten! Könnte ich mir bei einer Ihrer
Elbfahrten im Kahn den König Waldemar
vorlesen lassen! Sie
sollten ihn – aber nicht als Ihren Schwanensang, liebe, liebe Amalie,

Seite „1v“

– dem Kücken anbieten. Ob er für das Heroische berufen, weiß ich
nicht, doch sicher für das Romantische, Sentimentale, weßhalb
gewiß auch nicht der Prädentent (mit seinem der Inspiration
sicher nicht günstigem Libretto), obschon melodienreich, der höchste
Ausdruck seines Talentes ist. Die Oper soll ja Glück gemacht haben
in Hamburg? – Was macht Therese seit Ihrer Heimkehr von Wien?
Ich hörte, sie würde neuerdings in den Lokalblättern als Frau
u Dichterin scharf mitgenommen. Lebt dieser Feodor, an den Briefe
von ihr durch zwei Zeitungen liefen, in ihrer Nähe? – Daß Sie,
herzliebe Amalie, die Sand so verstehen u ehren thut mir in der
Seele wohl. Dieser größte Genius seines Volks und seiner Zeit
vielleicht sogar, ist eine von unsern vielen Sÿmpathien, in denen
wir beide – Sie sehen ich bin stolz! – verschmelzen. Ich fühle es wohl
beim Aufblicken zu Ihnen, ich würde mehr u mehr zu Ihnen
hinanwachsen, wenn mir gegönnt wäre in Ihrer Nähe zu leben.
Mit Ehrfurcht u einer Art Andacht betrachte ich Sie in
Ihrer Objektivität, dies spiegelnde, das All umfassende Leben.
Bei Ihnen ist ewiges Fortschreiten im Geiste, daher stete
Verjüngung und Wiedergeburt. – – Um noch einmal auf die
Dudevant
zurück zu kommen, mir ist oft als könnte ich mich
bescheiden nichts weiter zu leben, die Alltagszeit u Menschen
stets geduldig ertragen, wenn ich mich nur immer wieder durch
neue Bücher der Sand hindurch leben dürfte. – Sonst vergeht
mir die Zeit unter den Uebeln des Herbstes nicht immer geflügelt
auch oft dumpf brütend. Zu den innern mir bereiteten Kämpfen
gehört ein Drang in die Ferne, eine Wanderlust, die sich oft
zu krankfhaftem Flügelschlage steigert, je mehr ich mich einsam

Seite „2r“

fühle, je weniger das positive Leben von mir fordert u mich
festhält. Süden, das Meer, Morgenland, alles ruft mich mächtig
mit Stimmen der Begeisterung, und nicht immer erringe ich den nöthigen
Frieden um an den stets zugänglichen u nähern Quellen zu
schöpfen u meinen Durst zu löschen. Daher trachte ich auch nach
Arbeit u will mich mit Liebe darein versenken. Es wird
mir nur darum schwerer, weil mir die Gelegenheit zu
gleichmäßiger Thätigkeit fehlt, wie überhaupt oft die geeignete
Stelle um das Gewordene niederzulegen. Es ist kläglich in
welcher Isolirung von eigentlich literarischem Verkehr unser eins
hier lebt. Erbarmen Sie sich meiner, gute Amalie, und nennen
Sie mir die jezt blühenden besten Zeitschriften, Almanache oder
andere Unternehmungen, an welche ich mich adressiren könnte.
In den nächsten Wochen soll die Reihenfolge von ziemlich bunt
gemischten u von mir sehr liebevoll ausgearbeiteten kleinen
Erzählungen beendet sein u in's Reine gebracht, die ich nicht
versplittern, sondern etwa unter dem Titel „einfache Geschichten“

herausgeben möchte, wenn ich einen anständigen Verleger
fände. Hier habe ich noch keinen gesucht u würde es nur im
lezten Falle thun. Ich vertraue es Ihnen an für den Fall, daß
Ihnen vielleicht ein Weg vorkommt, den ich einschlagen könnte.
Einstweilen habe ich den mir von Ihrer Güte mitgetheilten
Buchhändlernamen notirt. – Unser Justinus wird wohl bald
sein „Bilderbuch aus der Knabenzeit“
veröffentlichen. Die gute
Fürstin Kirchberg erkundigt sich oft nach Ihnen, theuere Amalie,
u sagt Ihnen die herzlichsten Grüsse und warmempfundene Theilnahme.

Seite „2v“

Diese und andere befreundete Erscheinungen ausgenommen wandle
ich oft sehr unerquickt durch die öde Steppe der Geselligkeit,
welche durch den Wind aus dem eisigen Norden eben nicht
grünender geworden ist, obwohl das nördliche Gestirn, auf
welches ich hier anspiele, mindestens durch eine plastische
Schönheit das Auge erfreut. Lieb ist mir hie u da ein Abend
mit dem trefflichen Schwab (sein Sohn Christoph ist als Hofmeister
im Hause von Prokesch zu Athen u schrieb mir kürzlich von da
Zeilen, in denen die Sonne Homers leuchtet), oder mit Grüneisen.
Wo sind die geistesanregenden Tage zu Weinsberg, welche
mir durch Sie geworden, die unvergessene Zeit mit Alexander,
Lenau, Emilie! – Bald hätte ich vergessen Ihnen zu sagen, wie
ich schon viel früher geschrieben, wenn nicht ein, obschon ziemlich
leichter Grippeanfall mich gefangen gehalten hätte, später
die Pflege des guten Suckow, der auch daran litt, jezt aber
gottlob völlig hergestellt ist, u Ihnen recht sehr empfohlen sein
will. Ich hoffe zu Gott, daß Ihr leztes Übel, welches mich
so betrübte, auch in Vorboten dieser heimtückischen Grippe
bestand und nun gewichen ist. Die Dämmerung mahnt mich
zum Scheiden, wie traut sich's auch noch plaudern ließe.
Leben Sie wohl, meine liebe theuere Amalia. Aller Segen
des Himmels seÿ mit Ihnen! In Liebe, Dank u Verehrung
Ihre treue Emma
[Karl August Varnhagen](Litterarischer Name: Emma von Niendorf.)