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Brief von Elise von Hohenhausen an Helmina von Chézy

Minden, November 1849
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 88 Hohenhausen Elise von, [??.]11.1849 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Elise von Hohenhausen
Empfänger/-in
Helmina von Chézy
Datierung
November 1849
Absendeort
Minden
Empfangsort
Umfang
3 Blätter
Abmessungen
Breite: 139 mm; Höhe: 215 mm
Foliierung
Foliierung durch die >Biblioteka Jagiellońska Kraków noch ausstehend.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription und Annotation durch Betty Brux-Pinkwart; Auszeichnung nach TEI P5 und Kommentierung durch Katarzyna Szarszewska; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „1r“

[Karl August Varnhagen]Elise von Hohenhausen
an Frau von Chézy.
Preußisch Minden November 1849.

Meine liebe theure Freundin, es ist recht lange her daß
Sie nichts von mir gehört haben – Nach Baden wollten
wir, Meine Tochter und ich von Kissingen aus, aber man
machte uns so bange wegen der dortigen Unruhen daß
wir es unterlaßen haben. Später erfuhren wir dann daß
wir ganz ohne Gefahr hätten dort sein können.
Wir sind auch diesen Herbst in Berlin gewesen. Tausend Grüße
für Sie von Georg von Blankensee. Er läßt Ihnen herzlich
einen heitern Lebensabend wünschen. Ob der seinige es ist,
muß ich bezweifeln. Die äußern Verhältnisse scheinen in-
dessen glänzend; er bewohnt ein schönes Haus unter den
Linden, sein Eigenthum, klagt aber doch sehr über seine
Finanzen. Seine Gemahlin, eine Prinzessin Carolath war
nicht anwesend. Sie soll nicht reich sein aber fromm und edel –
Mit der ersten hat er unglücklich gelebt, ließ sich von ihr
scheiden und sein einziges Kind, eine Tochter, wurde
in Schlesien erzogen. – Seine alte Liebe für die Poesie
ist noch geblieben. Er hat mir 5 oder 6. Bände seiner
Werke geschenkt.
Frau von Waldow war nicht in Berlin. Sie schrieb mir
einen freundlichen Brief. Fanny Lewald lernte ich dort
kennen. Sie ist sehr interßant aber obwohl meiner
Richtung durchaus entgegengesetzt. Diesen Sommer hat sie
in Helgoland mit Dr. Adolph Stahr zugebracht.
Es

Seite „1v“

Es scheint zwischen beiden eine recht innige Seelen-
freundschaft zu sein, doch glaubt niemand an eine
Strafbarkeit ihres Verhältnisses. Stahr hat in Oldenburg
eine Frau und fünf Kinder
Varnhagen, Rahels Wittwer ist sehr nervenleidend
und fürchtet, wie wohl ich hoffe, ohne Grund, blind zu
werden. Vielen Dank Liebe für Ihr Rezept ächtes eau
de carmes
für meine mouches volantes
Kissingen
hat sehr dagegen geholfen, so daß ich jetzt wenig davon
spüre –.
Berlin hat mir außerordentlich gefallen. Ich glaube
daß, wenn ich mich von Meiner Tochter trennen könne
ich keinen andern Aufenthalt wählen werde wie Berlin
Ich traf dort so viel Geist und Herz, so ungezwungen
geistvolles Leben – Dazu kommt meine Liebe zu der
Person des Königs und der ganzenMonarchie. Sie scheint
mir jetzt die siegende und eine Unmöglichkeit daß noch
einmal dort könne Revolution sein.
Potsdam hat
sich auch sehr verschönt
„Und Marmorbilder stehn und
sehn mich an.“
Der Schriftsteller A. v. Sternberg wird
Ihnen bekannt sein. Er romantisiert die neuere
Geschichte Preußens. Siehe: die Royalisten!
und ist
ein eifriger Mitarbeiter an der Neupreußischen Zeitung

Wie ergeht es Ihnen denn meine Liebe. Fürs erste Ge-
sundheit, alles andere wird sich ja wohl machen. Preußen
und Frankreich zahlt seine Pensionen – und in Baden

Seite „2r“

ist die Ruhe wieder hergestellt. Jetzt kommt der Winter
und da muß man still sitzen.
Lebt Frau v. Crespignÿ noch in Heidelberg oder wo?
und wie ergeht es ihr? – Können Sie einen Gruß an
sie und Captinon Medwin von mir tragen lassen,
so thun Sie es doch, auch an den guten Grafen Graim-
berg
. Er ist ja nun wohl beruhigt über die Revolu-
tion – In Ihrer Nähe hat sich viel Schreckliches zuge-
tragen, was wir auswärts gar nicht so recht erfahren
Ungarn! armes verblendetes edles Volk!
Alles was
Kraft hat strömt nach Amerika, auch aus hiesiger
Gegend. Ein gewaltiges Jahr für die Welt ist das
1848.
Da ich nach Cassel nicht wieder mochte, habe ich dort
meinen Wohnsitz aufgegeben – Da kamen dann auch
meine Bücher hieher unter ihnen fand ich noch einige
Exemplare des Buches von meinem Carl, und schicke
Ihnen eines davon. Hatte ich die Bücher früher, hätten
Sie es längst erhalten, da ich Ihr inniges Intresse dafür
kenne – Ach meine Gute, dies Absterben der Religion
was den Tod des edlen Jünglings herbeiführte,
ist
auch der Grund der jetzigen Welterschutterung
Darum aber wird auch sie nur todte Kinder zur
Welt bringen, oder solche die erschossen werden –
denn ohne Gott kann die Welt nicht bestehen. Sie muß
ins Chaos zerfallen wenn sie ihn nicht mehr erkennt.

Seite „2v“

Ich könnte Ihnen noch vieles von Berlin schreiben
Kaulbach malt sechs große allegorische Gemälde für
das neue Museum:
Die Hunnenschlacht, Zerstörung
Jerusalem, Blüthe Griechenlands, Kreuzzüge – Refor-
mation, Thurmbau zu Babylon.
Letzteres Bild ist sehr
schön und paßt in vielen Stücken auf jetzige Zeit.
Cor-
nelius
liefert Szenen aus der Apokalÿpse. Man
muß diese recht verstehen, um die Darstellungen würdigen
zu können – Graf Ratschinski hat dem Könige eine
schöne Sammlung geschenkt, die in Bellevue
aufge-
stellt ist – eine herrliche Madonna von Murillo ist
darunter – Voller Schmerz, die Raphaelschen und altdeut-
schen Madonnen sind unbefangene Jungfrauen. – Der
Maler Magnus, ein Israelit, hat den General
Wrangel, und die beiden Nachtigallen Gräfin Rossi
und Jen[ny] Lind
vortreflich in Lebensgröße por-
trätirt – Consul Wagner
hat eine trefliche Gemäldesammlung
auch unser Graf Blankensee.
Er hat lauter Italiener
die er aus Italien mitbrachte.
Sie sehen Liebe Berlin ist noch immer produktiv für
Kunst und Wissenschaft. Tiek lebt auch noch und hält Vor-
lesungsabende auch einen neuen Dichter haben wir dort
einen hernlosen, der die Schlacht von Waterloo
ge-
dichtet hat – Er kennt nur kein Versmaß und ist ein
armer Schreiber, der wie Diogenes in der Tonne
wohnt. Sein Genius gehört zum ersten Range eines
Milton, Dante, Tasso – Der Berliner heißt Scherenberg,
lesen Sie ja die Schlacht von Waterloo

Seite „3r“

[Karl August Varnhagen]z. Nov. 1849.
Das politische Leben in Berlin ist jedoch alles andere
überbietend. Man meint in Paris zu sein. Wir
haben dort zwei Kammern einen männlichen und
einen weiblichen Treubund
– sehr reaktionnair gesinnt
zwei Kammern, derenie Verhandlungen der Kammern fand ich so intres-
sant fand, daß ich täglich hätte hingehen können.
Die Gesellschaften der Revolutionäre schleichen im
Finstern.
Der Thiergarten ist ein neues Stadtviertel Geheim-
rathsviertel genannt, geworden. Die Wohnungen darin
sind lauter italienische Villen comfortable und elegant
Lange nicht so theuer wie ehemals Die Wohnungen
sind indessen noch der theuerste Artikel in Berlin
Lebensmittel und Luxusartikel unglaublich wohlfeil –
Mir war dort sehr wohl, auch meiner Tochter. Wer
viel Schmerzliches erlebte, bedarf großer Erscheinun-
gen des Lebens, um sich über sich selbst zu erheben.
Ich lese jetzt ein Buch von Dr. Kurz Bibel und Astro-
nomie
– Es versucht die Fortschritte der Wissenschaft mit
den Offenbarungen der Bibel zu vereinigen
Von meiner lieben Enkelin bin ich leider jetzt getrennt
Der Vater hat sie wiedergeholt; ich hoffe sie aber im
Winter wieder zu erhalten. Tochter und Schwiegersohn
bezeigen mir fortdauernd Liebe und Ehrerbietung
Könnten Sie nur doch auch gute Nachrichten von Wilhelm
und ihrer Enkelin mittheilen. Ich hoffe immer noch

Seite „3v“

auf Frieden – Kehren Sie wieder nach Heidelberg zu-
rück oder bleiben in Baden – Kam Frau von
Sukow vorigen Sommer hin? Das alles intressirt
mich – Baden ist ja wohl ein verlassener Ort gewor-
den? Wie sieht es in Stuttgardt, Süddeutschland usw
aus? – Lebt Ihr weißes Hündchen noch? – Ich möchte oft
das Dampfroß besteigen und alle meine Bekannten
besuchen ehe ich und sie sterben, aber es geht doch
im Winter nicht. Der alte Leib, jetzt, am 4ten Nov 60
Jahr alt, will auch seine Pflege haben. Noch etwas
Neues: Chateaubriand hat meiner in seinen mémoires
d’outre tombe
,
während seines Aufenthaltes in Ber-
lin
erwähnt.
Das wundert mich denn es waren so viele
Hoheiten und glänzende Toiletten da. Es freut mich
aber doch Chateaubriand zog mich durch Sÿmpathie an –
Ach ich möchte mit ihm ausrufen: Nach dem Unglück ge-
boren zu sein, kenne ich kein größeres als der Welt
einen Sohn zu geben. Ja es war mein größtes
Glück Carl zu haben. Sein Tod ist aber auch mein
ewiger Schmerz – Schön ist Chateaubriands Grab auf
meerumrauschten Felsen
– Einer neuen Welt entgegen.
Möwen umflattern das wilde Eiland wie Geister
des Friedens –
Nun meine Liebe, ich habe Ihnen
recht viel vorgeplaudert – Möchte mein Brief Sie bei
guter Gesundheit treffen und ich es bald erfahren

Elise von Hohenhausen
geb. von Ochs.