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Brief von Amalie Struve an Helmina von Chézy

London, 19. Dezember 1849
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 240 Struve Amalie, 19.10.1849 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Amalie Struve
Empfänger/-in
Helmina von Chézy
Datierung
19. Dezember 1849
Absendeort
London
Empfangsort
Baden-Baden
Umfang
4 Blätter
Abmessungen
Breite: 111 mm; Höhe: 176 mm
Foliierung
Foliierung durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków noch ausstehend.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Betty Brux-Pinkwart; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „1r“

1

[Karl August Varnhagen]Amalia Struve
an Fr. v. Chézy.
London den 19ten Dezember.
1849
43, Westbournegrove.

Liebe theure Freundinn!

Deine Zeilen haben mir eine innige
Freude bereitet.
Wie schmerzlich
es mir u. meinem G. ist hier
fern von dem geliebten Vater-
lande u. den Freunden leben
zu müssen kannst Du denken!
Bleibe mir Freundinn!
Ach, der Unglückliche hat so
wenige Freunde!
Mit unnennbarem Sehnen warten
wir auf den seligen Tag da
wir wieder hinüberschiffen
werden nach der theueren
Heimat. ach, unsere Seele
ist ja immer Dort!
Wo des Zeitgeist’s Feuer
lohten, Wo gekämpft
der der deutsche Mann,
Wo die Gräber unsrer Todten –
Heilig, heilig ist der Boden
Und ihn schändet kein Tÿrann!
Und wir werden ihn wiedersehen
den heiligen Boden des Vaterlandes.
Die Stimme meines Inneren sagt
mir bald! Auf die Nacht folgt
der Morgen, wenn dieser

Seite „1v“

2

große Morgen tagt, dann kehren
auch die Verbannten zurück.
Es schmerzt mich tief von Dir zu
vernehmen daß Du krank gewesen
und in Gefahr geschwebt.
Wie gerne hätte ich Dich gepflegt
mit welcher Liebe und Sorgfalt
wollte ich Deiner gewartet haben!
Unsere Seelen verstehen sich.
Unter meiner Pflege wärst
Du gewiß bald genesen.
Ich danke dem gütigen Gott in
meinem Herzen daß er Dich
wieder hat gesund werden
lassen.
Meine Gesundheit ist gut,
doch sagt mit das Clima nicht
zu. O, wie ist uns der Aufenthalt
in diesem trüben kalten Nebel-
lande, bei diesen egoistischen
Seelen so zuwider! Niemand
versteht uns, und unser
Streben! Gleich Geister, einer
andern Welt angehörig, irren
wir unter diesen Chinesen
Europa’s umher! – – Auch
leben wir ganz zurückge-
zogen und arbeiten mit
eisernem Fleiße.
Wir schaffen uns unsere
kleine Welt! – –

Seite „2r“

3

Wie süß ist mir aber, meine
innig geliebte Freundinn, der Gedanken-
austausch mit Dir! Mein Brief
hat Dir Trost gewährt sagst Du,
er kam an, den folgenden Tag
an welchem Dein geliebter Sohn
diese Hülle von sich warf und
einem schöneren Sterne zueilte!

Ja in einem besseren Sterne
wird Dein Max jetzt weilen!
„Was verderblich, nur ist sterblich,
Dauernd was des Dauerns werth,
Darum weine, über keine Blumen
Die der Sturm zerstört. Aber
nähre, pflege, mehre, was
Dir ewiges gehört.
Denn ewig ob nichts
andres bliebe,
Ist himmlische, ist reine Liebe.“
Ja, liebe Mutter, so darf ich
Dich ja nennen, nachdem Du
mich Tochter geheißen ich
habe viel gelitten, aber
Alles gerne mit Stolz und
Freuden, denn ich that es ja
für mein Vaterland und
meinen Gatten!
Ich danke Dir, daß Du
so warm vertheidigst bei jeder
Gelegenheit. Ich werde hart

Seite „2v“

4

angegriffen und verläumdet theils
von den Gegnern, theils aber auch
von solchen welche mich nicht
kennen und die Pflichten der
Gattinn die häuslichen sowohl
als die vaterländischen nicht
verstehen in dem Sinne wie
ich es thue. Bei aller schweren
Noth, bei dem tiefen Seelen-
schmerze sind wir ruhig im
Gemüthe, denn das Bewußtsein
nur das Rechte gewollt und
treu unsere Pflichten erfüllt
zu haben tröstet und erhebet
uns über alle Beschwerden
und Leiden hinweg.
Sie haben also, verehrte Mutter,
wiederum wie schon so oft, die
Verwundeten Kämpfer gepflegt,
auch unseren unvergeßlichen Freund
Alfred! O wie liebe ich Dich um
dieses! Wie schmertzt es mich
aber auch daß ich keine hülfreiche
Hand leisten konnte! –
Viele unserer theuersten Freunde
sind nicht mehr auf dieser Erde!
„Wohl sind sie in’s Grab gesunken,
Doch ihr Ruhm blieb auf der Welt;

Seite „3r“

5

[Karl August Varnhagen]Amalia Struve.
Der, wie tausend Feuerfunken,
Unsers Unglücks Nacht erhellt.
Mit den braven Todten
Sinket kein unsterblich Recht.
Über ihrem Grabe funkelt
Jeden Märtÿr’s Glorienschein,
Und kein Diadem verdunkelt
Ihren niedern Leichenstein.“

Ja geliebte Mutter, der Freiheit
mächtig „Werde“ wird ihre Namen
wieder auferwecken! – – –
– – – –
Es freut mich daß Du
wieder eine Seele gefunden
welche Dich versteht; d’antica
stiope
,
sage mir, wer ist sie?
auch ich möchte sie kennen, und grüße sie von mir!
Wie sehne ich mich hier weg,
ich glaube nicht daß wir länger
als bis nächsten Frühling
in dieser traurigen Verbannung
leben müssen! ich hoffe daß
mit seinem Eintreffen wir
hinüberschiffen und alle
Verbannten heimkehren dürften!

Seite „3v“

6

Meine armen unglücklichen Eltern,
deren
einzige Stütze ich gewesen war und
leider! jetzt nicht sein kann waren
lebensgefährlich krank. Ich konnte
sie nicht pflegen, nur aus der
Ferne ihnen Wünsche u. Grüße
nur senden. Weit, ach weit sind
alle meine Lieben u. so auch meine
Eltern in dem armen, theueren
Badenerlande! Gott möge
für sie sorgen! ich kann es jetzt
unmöglich. – Wenn Du mich lieb
hast, schreibe mir oft! wie
sehnlich erwarte ich Deine Briefe.
Ich arbeite viel mit meinem G.
Stille und zurückgezogen leben
wir am Westende der Weltstadt.
Meine „Erinnerungen“
welche Dir
aus Hamburg zugehen werden,
nimm freundlich von mir
an!
Ich arbeite jetzt an einem
Romane „Westminster“
Könntest Du mir einen
Verleger sagen liebe
Freundinn? könntest Du

Seite „4r“

7

mir bei der Herausgabe
meines Werkchens behülflich
sein? Ich würde Dir
sehr dankbar sein.
Westminster würde Dir
gewiß gefallen. Ach ich
habe Dein gedacht als ich
es niederschrieb. Du wirst
Dich wiederfinden, Deine
schöne Seele!
Sende mir wenn Du irgend
kannst die einige schöne
Gedichte u. später – – Dein
liebes Bild welches tief in
mein Herz gegraben ist.
Ich würde Dir gerne
länger u. mehr schreiben, mein
Herz ist so voll! –
aber ich muß schließen wenn
diese Zeilen noch heute
fort sollen.
Morgen, Sonntag geht
keine Post.
Glückliche Feiertage!

Seite „4v“

8

Lebewohl, vielgeliebte
Freundin!

Gedenke mein!
schreibe mir gleich!
Ich grüße Dich mit
inniger Liebe

Deine treue
Amalie.
N.S.
Ich werde eine Reihe von Romanen
und Lebensbilder
schreiben

und wenn Du Dich mit mir
vereinigen wolltest, vielleicht
auch etwas schriebest! –

Antworte Deiner
A.

Grüße die verwandten
Seelen!!
G. grüßt Dich. Schreibe mir viel, schütte Dein Herz aus.