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Brief von Helmina von Chézy an Dorothea Schlegel

Dresden, 2. Mai 1818
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 47 Chézy Helmina von, Bl. 238-240 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Helmina von Chézy
Empfänger/-in
Dorothea von Schlegel
Datierung
2. Mai 1818
Absendeort
Dresden
Empfangsort
Umfang
3 Blätter
Abmessungen
Breite: 195 mm; Höhe: 265 mm
Foliierung
Foliierung in Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Jadwiga Kita-Huber; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Helmina von Chézy an Dorothee Schlegel: Dresden, 2. Mai 1818. In: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe Bd. 29/3: Vom Wiener Kongress zum https://www.geonames.org/6553153er Bundestag (10. September 1814–31. Oktober 1818). Hrsg. von Jean-Jacques Anstett unter Mitarbeit von Ursula Behler. Paderborn et. al 1980, S. 460–463. Die Edition des Briefes in dieser Ausgabe weist Auslassungen auf.

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[Karl August Varnhagen]
Helmina von Chézy
an Dorothea Schlegel.
Dresden, 2. Mai, 1818.
So vielfach u liebreich komm ich mit deinen hiesigen Angehörigen in
Berührung, liebe Dorothea, so oft hör ich deinen Namen mit
Liebe nennen, daß ich unmöglich diese Gelegenheit vorübergehn
lassen kann, einmahl recht von Herzen mit dir zu plaudern. Ich
habe mir das recht lange versagt, es gab auch eine Zeit wo ich dich
für lieblos u ungerecht hielt.
Du magst es auch bey aller deiner Güte
u Treue zum Theil gegen mich gewesen seyn, u wenn ich dir nicht
so sehr zugethan wäre, so würde es mir nicht so weh gethan haben. Man
ermisst indeß selten wie viel Anlaß man zu dem Benehmen seiner Freunde
gegeben haben kann, u so wird man ungerecht, indem man sie an-
klagt. Das sind vergangne Dinge, laß uns, liebe Dorothea auf eine herz-
liche Versöhnung mit Ernst bedacht seyn, bedenke daß wir Beide unreif waren,
als wir einander gefunden,
u daß, wenn du früher zum innern Glück gelangt
bist, als ich, so kann auch ich noch dahin kommen, wenigstens würdest du mich sehr
verändert finden, wenn wir uns wiedersähen. Loeben, der dich herzlich lieb hat,
grüßt sehr, auch Freund Malsburg, es ist ein Glück für mich diese beiden
Männer so herzlich vereint zu sehen, u mit ihnen so alles Herzerhebende
in Wort, That, Anschauung u Genuß zu theilen. Wir sind insgesammt
recht fleißig, ich zwar am wenigsten, meine Gesundheit gestaltet keine lange
Arbeit, doch kommt immer etwas zu Stande. Ich beneide dich um Italien,
spät aber herrlich pflückst du die langersehnte Frucht der Hesperiden,
wie gern möcht’ ich Philipp
wiedersehn, von dem mir Prinz Wilhelm
,
u so viel andre Menschen so viel Gutes u Erfreuliches sagen! Daß

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mich nur nicht vergißt! Auch den lieben Johannes
möcht ich kennen, dessen kindliche
Briefe mich wunderbar entzückten, als du sie mir lasest. Welch ein kurzer
u doch ungeheurer Zeitraum liegt zwischen unsrer Trennung! Ich
mag nur nicht so viel von mir sprechen. Sonst könnt ich dir viel
sagen, wie ich mich so Anders fühle als sonst, welch ein seliges
Licht von Oben auf das Räthsel meines Lebens gefallen,
wie süß u milde mein Blick nach dem Grabe hin ist.
Wie schön wird es in der Heymath seyn!
Wenn ich dir nun sagte welche Leute ich hier sehe, was noch außerhalb
unsers kleinen Kreises getrieben wird, wer weiß ob es dich sehr ergötzen
würde? Die Spazier
ist hier u hat einen ehrsamen, wackern, u wie mich
dünkt, sehr liebenswürdigen Mann genommen, er macht Instrumente
u heißt Uthe. Man mag hier die Frau nicht, ich sehe sie selten,
es kann aber keine Heucheley seyn wenn sie sagt, daß sie Gott mit Thränen
für ihre Rettung dankt, da sie still u fleißig u preiswürdig
mit Mann u Tochter lebt, u recht tüchtig sich ihrer Wirtschaft
annimmt. Ich habe sie in 8 Monath dreymahl gesehn, u jedesmahl
hat sie recht schöne Thränen geweint, dennoch stört mich noch
Einiges sehr, die zu große Freyheit mit der sie von Dingen, über
die Niemand sprechen sollte, in Gegenwart der Tochter spricht.
Doch hoff ich wird sie ganz vom alten Übel genesen. Mich dünkt
als kanntest du sie, sonst hätt ich nicht von ihr viel gesprochen.

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Wir haben Dienstags einen kleinen Kreis, abwechselnd bey Fr. v. Winkel,
Loeben, Malsburg, Fr. Goldackers
, in welchem wir eignes u
fremdes lesen. Diese Abende sind höchst lieblich. Zwey wackre u
liebe Genossen derselben Atterbom u Hiort sind dir wohl
schon bekannt wenn diese Zeilen an dich gelangen, wo nicht,
so kenne sie, u laß sie dir herzlich empfolen seyn, doch was
schwatz ich, du hast gewiß durch die lieben Ernsts von
ihnen erfahren! Jetzt ist der kleine Kreis nur durch einen
höchst liebenswürdigen Liefländer Baron v. Bock
vermehrt, der dich auch in Rom besuchen wird. Ich
werde ihn recht sehr vermissen, so selten ich ihn gesehn habe, denn
ich liebe sein offnes u doch so zartes Bezeigen
, u seine
Herzensgüte, wie den Antheil den er uns Allen
widmet. Nächst diesem Kreis ist die Oelsensche Familie
,
die preußische sowohl als die kur-sche
meine beste Freude, das
sind Menschen nach dem Herzen Gottes, nie hab ich bessere
gekannt. Viel Freundliches u herzlich beglückendes wird in
unsern Zusammenkünften befördert, in der ganzen Familie
ist eine vage Thätigkeit zum Guten u Schönen. Die Ministerin
malt vortrefflich, u hat bey aller ersinnlicher äußerer Huld
u weiblicher Würde u Herzensgüte einen tiefen Ernst des
Wollens u Handelns. Ihre Schwägerin, die kur-sche Oelsen
ist

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mir noch lieber, ich könnte aber nicht sagen warum, sie hat
einen unwiederstehlichen Zauber, der alle Herzen rührt, u ihr Zu-
stand ist sehr traurig, da man glaubt sie könne nicht
lange mehr leben. Sie ist ein Ideal im Leiden u Lieben, durch
Größe u Selbstverleugnung mit der sie ihre Schmerzen trägt.
Die lieben deinigen, die guten Seelen, seh ich auch recht oft, deine
gute Schwägerin scheint mir aber sehr schwach u leidend, u mir ist
bang um sie. Gustchen entwickelt ein seltnes großes Talent,
u ist auch sonst in Allem auf dem besten Weg, ich habe sie in
der Seele lieb, u es thut mir um ihretwillen recht weh daß ich
einen Theil des Sommers auf dem Lande zubringen muß. Ich
habe es einer Gräfin v. Stosch. versprochen, die ich liebenswürdig finde, u auf
deren Gemüthsstimmung ich mir einen Einfluß verspreche. Vielleicht
ist diese Hoffnung nur eine thörichte Verblendung, ach! noch sehr viel
hab ich mit mir selbst zu thun! Wie oft wird das Edelste in mir, was
Gottes Liebe erweckt zu Worten, statt zu Thaten! ___________
Ein liebes u liebendes Paar, meine Freunde Försters darf ich nicht
dir zu nennen vergessen, er hat den Petrarka zum Theil sehr schön
übersetzt,
beide sind rein gute, vollkommen redliche, u wa in
jeder Hinsicht wahrhaft liebenswürdige Menschen. Die Gräfin v.
Loeben
ist mir auch sehr theuer, sie ist eine edle u herrliche
Frau, so mild als perlenrein, so geistvoll als demuthvoll.
Die übrigen alle, die ich dir nennen könnte stehn auf dem zweyten
u dritten Plan des Bildes u im Hintergrund, wenn ich sie schon
alle mag u mit Allen in Eintracht u freundlichem Verhältniß
bin, Kügelchen, Zedwitzes würd’ ich auf den ersten Plan stellen,
wenn

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wenn ich sie öfter sähe. Heut soll ich in den Liederkreis
, wo ich recht
gern bin. Hie u da fällt etwas mittelmäßiges vor, allein
es sind größtentheils sehr achtbare Dichter, u recht wackre u liebe
Menschen aus denen der Kreis besteht, die unter sich recht innig
sind, u die mich mit einer Herzlichkeit behandeln, die ich
erwiedern muß, wenn ich keinen Undank üben will, u
die ich auch sehr gern erwiedre. Es ist mir wohlthuend die guten
u meistens sehr liebenswürdigen Frauen, die anmuthigen zum
Theil recht hübschen Töchter da vereinigt zu sehn, froh,
anspruchlos, theilnehmend, ohne alle Frivolität, so
recht sittig u milde, es weht Einen recht ein freundlicher
Geist aus dem ganzen Kreise zu. Noch hab ich dir nichts
von meinen Söhnen gesagt, ich hoffe mit Gott große
Freude an ihnen zu erleben. Ihre Gemüther sind rein
u liebevoll, Natur hat sie reich begabt, Gott gebe
nur Gedeyhn; ich möchte sie dir wohl einmahl zeigen, u
das wird ja auch wohl angehn. Wir alle haben sehr gehofft
dich in D. zu umarmen, warum nun konnte das nicht seyn?
Diese Maytage sind uns hier durch die vielfach in den Dörfern
ausbrechende u verheerende Feuersbrünste sehr gestört,
es soll angelegtes Feuer seyn. Gestern brannte Pillnitz

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ab, wo eben die königliche Familie wohnen wollte. Dieser
Schlag hat auch Ernst’s sehr gebeugt. Unglück wäre nie
etwas recht schmerzliches, wenn es nie mit Bitterkeit
vermischt wäre, nun aber verlauten so viele Gerüchte
von der Hartherzigkeit u Schlechtigkeit der Bauern,
die das nun mehr den Flammen Preis gegebne
Korn aufgespeichert hielten, als Hungersnoth im
Erzgebirge war, u es noch stets so hoch im Preis halten,
u von tausend andern Dingen mehr, daß man ganz
muthlos u traurig über das Elend der menschlichen
Verderbniß wird; seit 8 Wochen ist Pillnitz der
sechste Ort, der in dieser Gegend abbrennt, u der neunte, der überhaupt brannte, unermeßlich ist der Schaden
an Getreide, Vieh u Gebäuden, in Pillnitz ist
doch nur königliches Eigenthum verbrannt, aber es
war fühlbarer, da erst vorgestern ein Dorf abbrannte,
du kennst es vielleicht, es heißt Liptiz.
Nun, liebe Dorothea, lebe herzlich wohl, sey froh im schönen
Lande, werde da recht gesund, u erfreue dich recht deiner lieben
Söhne! Schreibe mir bald. Es ist überflüßig dir den edeln
u herrlichen Jüngling
noch zu empfelen, der mir die Liebe
erzeigt dies Schreiben an dich zu besorgen. Sey du sein guter
Engel, bis er von Rom geht, er nimmt die reinste Liebe der Herzen
u den innigsten Seegen auf seine Reise mit. Ich umarme dich
u deine Söhne von ganzer Seele. Stets deine treue Freundin Helmine
Dresden 2 May 1818

[Helmina von Chézy] Ich sende dir einige Gedichte mit, es ist nur, damit du siehst wie es jetzt mit mir
ist, da bey mir Gedichte nur aus dem Innern seyn hervorgehen