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Brief von Caroline Pichler an Helmina von Chézy

Wien, 11. Januar 1840
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 142 Pichler Caroline, 11.01.1840 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Caroline Pichler
Empfänger/-in
Helmina von Chézy
Datierung
11. Januar 1840
Absendeort
Wien
Empfangsort
Umfang
3 Blätter
Abmessungen
Breite: 132 mm; Höhe: 215 mm
Foliierung
Keine Foliierung durch das Archiv vorgenommen. Keine Paginierung durch die Absenderin vorhanden.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Katarzyna Szarszewska; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „1r“

[Karl August Varnhagen]
Karoline Pichler an Fr. v. Chézy.
1840.

Verehrteste Frau!

Es war in Baden, wo wir ebenfalls wieder unsern Landaufenthalt
genommen hatten, daß ein junger Mann, ein Studierender
aus München mir Ihren lieben ausführlichen Brief brachte,
welcher in verschiednen Perioden geschrieben, und verschiednen
Personen hatte übergeben werden sollen, um ihn mir zu bringen.
Leider hat dieß nicht ausgeführt werden können. Die Familie
Bossi
habe ich nicht kennen gelernt, und auch das Briefchen nicht
erhalten. Von Antoniewitz weiß ich auch seit einigen Jahren
nichts, das Letztemahl wo ich ihn sah, war er mit seiner Familie eben-
falls in Baden, im Helenenthal das und bewohnte das niedliche
Häuschen der Gräfinn Alexandrowitsch: „ein Nachtigallennest-
chen“ wie Sie eben solches zu nennen pflegen. So gehn die Gestalten
einst recht werther Menschen nur gleichsam im Traum an uns
vorüber, und tauchen zuweilen durch irgend einen zufälligen
Umstand aufgeweckt, wieder lebhafter vor uns auf. Herrn Iken

habe ich auch nicht zu sehn bekommen, aber wohl in einem altern
Hefte des Mgblates einen Aufsatz über eine Soirée
bey der
sel. Herzoginn v Abrantes, der mir schon darum werth war, weil
er von Ihnen herrührte. In den spätern – denn ich bin in
dieser Lecture sehr arriérirt
– hoffe ich die Stelle zu finden
wo Sie meiner gütig gedenken. Ich habe nur eben das Februar-
heft 1839 angefangen. Über Rahel und Bettina habe ich mich zum
großen Ärgerniß vieler unsrer Schöngeister öffentlich ausge-

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sprochen
, und bin eben so wie Sie der Meinung daß das krankhafte
Erzeugnisse der neuern Zeit sind. Eben so ist mir die Eman-
cipation
Ärgerniß, dann würden die Weiber aufhören
Weiber zu seyn, und doch keine Männer werden, sondern auch
ein krankhaftes Zwittergeschlecht.
Von den Freunden an die Sie sich liebevoll erinnern, kann ich
Ihnen sagen, daß B: Perrin und Pereira sich wohl, und so
wie ich, in großmütterlichem Walten recht zufrieden fühlen.
Henriette Ephraim denkt sich diesen Winter noch zu vermählen,
und zwar mit einem ehmahligen Handelsmann und Consul
Herrn Tichy aus Triest, einem Witwer mit 2–3 Töchtern
Er ist ein artiger und wie es scheint gebildeter Mann – übri-
gens kenne ich ihn nicht genauer, und wünsche mir von gan-
zem Herzen, daß dieser mir sehr werthen Freundin billiger
und natürlicher Wunsch, sich an ihr zugehörende Wesen anzu-
schließen, wenn der Himmel, was bald geschehn kann, ihre
Mutter abruft, sie nicht täuschen möge! Meine Tochter, die
seit sie Witwe ist, bey mir nun ebenfalls Verlassener mit
ihren 3 Kindern lebt, ist gottlob wohl und gesund und dankt
herzlich für Ihre Erinnerung. Ihr Sohn 14 ½ Jahr alt, ist
viel größer als ich, und ein sehr hübscher, und was mehr
ist, talentvoller Jüngling. Zwey Mädchen 13 und 9 Jahr
alt, sind ebenfalls wohlgebildet, haben gute Anlagen und
sind alle drey herzensgute u fromme Kinder, die uns in
unserm Witwenstand zu Trost u Freude gereichen.
Hammer hat eine Tochter verheirathet
, der ältere Sohn
ist Offizier, der jüngere, ein bildhübscher Junge unsres

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Augusts Schulcamerad und Freund. Ruß ist wohl und ganz wie
er sonst war. Seine beyden älteren Kinder, Leander und
Clementine haben schöne Talente für Mahlerey, und die
letzte zeichnet besonders Heiligenbilder mit ungemein from-
men Sinn, und ist stets auf diese Weise beschäftigt. Charlotte
Voglsang
lebt bey ihrer Schwester Perrin.
Ich irre gewiß nicht, wenn ich glaube (und Viele sind mit mir
dieser Meinung:) daß der 1te u 3te Aufsatz
über unsre theure
verklärte Schlegel von Ihrer Freundeshand herrührt.
Schon
eine Stelle in Ihrem Briefe ließ es mich vermuthen.
Sehr geärgert habe ich mich an der sogenannten Widerlegung, und
Sie bedauert verehrte Frau, die Sie durch Ihre gute Meinung
diesen Wiederspruch hervorgerufen haben.
Auch ich habe mich
verpflichtet gefühlt, unsrer Freundinn, ein Wort der Achtung
und Liebe nachzurufen
, und hoffe durch den zufälligen Um-
stand, daß ich die Bekanntschaft unsrer Dorothea erst 1808
gemacht, und folglich die Möglichkeit hatte, die frühern Vor-
gänge ganz zu ignoriren
, der Unannehmlichkeit eines
Widerspruchs wie jener in der allgem. Ztg
entgangen zu seyn.
Ich habe an Philipp Veit, und unsre liebe Buttler, welche diesen
Sommer eine Weile hier war, Abdrücke geschickt, und
wünsche nur daß sie damit zufrieden seyn mögen.
Über Rahel und Bettine fängt die Welt auch allmählig an von
ihrer Exaltation u den Posaunenton zurückzukommen.
Herrn Markgrafs Werk
kenne ich nicht, ihm ist es wie Sie sagen
jede Schriftstellerende Frau ein Gräuel – das hat er mit Menzel
gemein. Dieser hat mich auch nicht besucht, wie er in Wien war,

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so wenig wie Rotteck und Uhland, doch lernte ich den letzten
zufällig kennen. Vielleicht gewinnt er in nähern Umgang –
hier fand ich ihn, so wie alle Leute die ihn gesehn, schroff, in sich
verschlossen wortkarg – mit einem Worte, nichts weniger
als angenehm. Überhaupt wird dieß Herauskehren der rauhen
Seite bey unsern gelehrten Herrn immer mehr Sitte, die
keine gemischte Gesellschaft besuchen wollen, sondern sich unter
einander bey Tabacksdampf versperren.
Die Geselligkeit
und der gute Ton gewinnen nichts dabey; die Männer werden
roher die Weiber frivoler. Das war früher wie so manches
Andre besser. Bey dieser Gelegenheit, der Klage über das
bon vieux temps
, muß ich mich noch wegen der Stelle
„das Weltschmerzes“ gegen Sie rechtfertigen. Sie schrie-
ben in einem frühren Briefe
an mich, in düsterer Stim-
mung, von den Schmerzen die jetzt durch die Erde ziehen
oder ungefähr so, denn ich habe den Brief der in meiner Brief-
sammlung liegt, jetzt nicht zur Hand. Da mahnten mich diese
Worte an die Klagen der sogenannten Zerrissenen die immer
von Weltschmerz sprechen, und ich wunderte mich von Ihnen,
deren frommer Sinn mir bekannt ist, und deren Welterfah-
rung ich voraussetzen darf, etwas Ähnliches zu vernehmen.
und ich freue mich doppelt daß Sie mich deßhalb besser unter-
richten. Was hat denn dieß neue Geschlecht erlebt oder zu
dulden gehabt, was wir in den langen Kriegsjahren, wo unsere
häusliche Ruhe, unser Vermögen, ja das Leben der Liebsten
und Nächsten so oft auf dem Spiele stand, nichtzehnfach
erduldet hätten? Aber das ists eben, die Verkehrtheit

Seite „3r“

der jetzigen jungen Leute, welche Zeter über die Welt schreyen
weil man sie dieselbe nicht regieren läßt, was sie so gern
thäten, und wozu sie sich geeignet glauben. Daher der
Weltschmerz! Jeder möchte gern mehr haben, mehr bedeuten
mehr thun können;

B: Maltitz dem ich Sie bitte mich achtungsvoll zu empfehlen
fährt gütig fort mir die „Theeblätter„
zu senden, ahnet aber
nicht daß er glühende Kohlen auf mein Haupt sammelt.
Er wünscht auch von mir etwas für dieses Journal zu erhal-
ten, und ich habe nichts, bin auch nicht fähig etwas poetisches
zu machen. Die Zeitbilder
welche ich eben vollendet, wer-
den, wenn sie ein Interesse erwecken, dieß nur den zeit-
gemäßen Schilderungen zu danken haben. Situationen
und Charactere sind mehr Nebensache. Bey einer Erzäh-
lung sind sie Hauptsache, und dazu fühle ich mir nicht
mehr die Kraft. Sollte ich aber irgendeinen Gegenstand
finden über welchen sich reflectiren ließe, so daß es das
Publicum lesen möchte, so will ich mich meiner Schuld mit
Vergnügen entledigen, und dem hochgeachteten Freund
einen Beweis meiner Verehrung geben.
Grüßen Sie freundlich von mir Ihren Herrn Sohn, denken Sie
meiner mit gewohnter Güte, und lassen Sie mich
wieder bald etwas von sich hören. Mit warmer Achtung
Ihre


Pichler
Wien 11ten Jänner [1]840

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