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Brief von Caroline de la Motte Fouqué an Karl August Varnhagen von Ense

Nennhausen, 6. November 1813
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 60 Fouqué Caroline de la Motte, Bl. 22-25 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Caroline de la Motte-Fouqué
Empfänger/-in
Karl August Varnhagen von Ense
Datierung
6. November 1810
Absendeort
Nennhausen
Empfangsort
Umfang
4 Blätter
Abmessungen
Breite: 120 mm; Höhe: 190 mm
Foliierung
Foliierung in Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Renata Dampc-Jarosz; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Erstdruck: BP, S. 146–150.

Seite „22r“

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[Karl August Varnhagen]Frau von Fouqué.
an Varnhagen
den 6t Novbr: 1813.

Nennhausen, drei Tage nach Empfang Ihres Briefes

Sie haben recht! zum aufschreien recht! Mein
Denken und Fühlen verhalten sich zu einander
wie das heftig bewegte Meer und der ebene,
ruhige Spiegel des Wassers. Dem Einen hinge-
geben bin ich leidenschaftliches, inniges, glühendes
Leben, heftig, unklar, bis zur Vernichtung hinge-
bend oder gewaltsam an mich reißend. Durch das
Andere gehalten spiegelt sich der eigentliche Grund
des Daseins auf der ruhigen Oberfläche zurück,
ich werde ernst in That u Wort, feierlich, me-
lancholisch, oft unbeweglich! – So erscheine ich im
Leben, so in meinen Schriften doch auf alle
Weise wahr.
Vielleicht ist der Contrast zwischen Temperament
u Erkenntniß dessen was sein soll, bei wenigen so
schneidend, daher ähnliche Disparate seltener in
der Erscheinung u Dichtung.
Doch ist das ruhige Meer weniger Meer als
das schäumende? Ist dieser wie jener Zustand dem
Charakter des Ganzen wiedersprechend?
Scheiden Sie nicht mein Denken u mein Wesen
Ich denke so, weil mein Wesen es fo erfodert. Ich könnte
nicht leben ohne dem Denken diese Gewalt zu
lassen. Und wenn die Resultate dieser Gedanken
unbeweglich erscheinen, so geschieht es nur weil sie in

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keiner lebendigen Folge mit dem wirklichen Dasein
stehn, weil ich sie nicht durch das Leben hervorgebracht,
weil ich sie von der Vernunft erfahren habe, kurz
weil ich nicht durch u durch das bin wozu ich unendliche
Auffoderungen, ja eine ewige stachelnde Anmasung
in mir fühle.
Ich müßte daher entweder gar nicht schreiben,
oder der Welt nur einzelne Raisonnements
oder frei ausströhmende Bekenntnisse geben, mit
andern Worten, ich müßte nicht sowohl Charaktere
als Stimmungen schildern. Weßhalb denn auch
wirklich fragmentarische Aufsätze u Novellen
mir besser als weit auslaufende Geschichten ge-
lingen.
Ich habe gleichwohl einen Ausweg gesucht und
glaube ihn gefunden zu haben. In meinem neuen
Roman
wirken drei weibliche Wesen fast
sehr entscheidend auf einander ein, die von welchen
die Eine besonnen, klar streng und kalt das Gesetzliche
festhält, wie ich, in den leidenschaftlosen Momenten
wenn das Denken die Oberhand gewinnt, die Andere
offen, heftig, kämpfend zerstörend liebend, unbesonnen
bis zum Unbegreiflichen, kurz mein eigenthümliches
Wesen. Die Dritte rein die liebende Frau,
das Gesetz liegt in ihrer Natur, die Liebe findet es
in ihr, u dieses sucht eben so die Liebe. Wie ich
sein könnte! — Wenn ich von dem ungeheuern

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Eindruck den dies Buch auf die verschiedenste Na-
turen macht urtheilen soll, so ist es lebendig
u wahr. Sie werden ja auch lesen u urtheilen.
Uebrigens, folgte Göthe seinem Weesen,
er schilderte lauter Philinen und keine Natalie.

Das Bessere will der Geist, das Fleisch blickt aber
hindurch.
Und nun noch Eins. Meine Natur ist
heidnisch, das heißt sinnlich, irdisch, durch die Erde
zum Himmel wollend, in der Menschenliebe Gott
liebend. Meine Ueberzeugung christlich, und
beides verträgt sich vollkommen, hier grade bin
ich einig. Hören Sie. Das Christenthum ist
kein Abstraktum, es gehet vom sinnlichen Ge-
fühl aus u kommt nur durch irdische Vermitt-
lung zu Gott. Gott ist Fleisch Wort, Fleisch,
Welt geworden. Ich halte ihn anbetend, lie-
bend in der ganzen Natur. Welche Religion
brachte in ihren Resultaten diese glühende Hin-
gebung hervor, welche offenbart die Liebe im Leben
wie diese? Sie ist vernichtend lieblich vernichtend,
sagt man. Wie falsch! Christus erf giebt den Leib
hin, aber er ersteht mit demselben verklärten
Leib (denn dieser war von Ewigkeit), er ist Brod und Fisch, den Jüngern zu zeigen,
daß er kein Geist sein, und sie glauben schauend.
Drauf fährt er geg gen Himmel, aber läßt sein
Gedächtniß und wir schmecken Jesum in Brod und

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und Wein, in Fleisch u Blut. Worin unterscheidet
sich denn allso das Heidenthum vom Christenthum?
Nicht in der Vernichtung des Irrdischen, denn Gott selbst
ist die in der [×××] sichtbaren u fühlbaren Welt,
und der offenbare Gott geworden, nicht in der tief-
sinnigen Bedeutung der Natursymbole, denn die Alten
verstanden sie klarer als wir, denn allein, daß die
zersplitterte Lust in einem Brennpunkt zusammen-
brannte, daß sie Liebe ward, daß die Natur ihre
Bedeutung im Menschen erkannte, daß die Welt
ihr eignes Herz in der Menschenbrust fühlte, daß
sich Gott in der einen einzigen Liebe zum Menschen
kund gab. Wie wollt Ihr Gott lieben, den Ihr
nicht sehnt, wenn Ihr Euren Bruder nicht liebt den Ihr
seht? So spricht Christus. Sehen sollen wir all-
so Gott im Menschen. Fragen Sie nun noch, ob
das Christenthum meiner Natur verwandt sei? Die
Christlichen Formen sind alle lebendig voll
unaussprechlicher Bedeutung für mich. Ob ich gleich zu-
gebe, daß sie wir uns erst wieder hinneinleben
müssen, daß sie für die Gegenwart zum Theil noch
zu todt daliegenen um in das tägliche wahr nahe
Leben verflochten zu werden, und da ich mich nur
in diesem, auch poetisch wahrhaft frei bewegen kann,
so haben Sie recht, daß ich das Christliche Formelle
in der Darrstellung weglassen muß um keine fremd
artigen Stoffe in die Wahrheit des Lebens zu mischen.
Verstehn wir uns nun?

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Unschätzbar aber sind mir solche Einwürfe und Win-
ke wie die Ihrigen. Alles was zum Denken zwingt
bringt Folge u Zusammenhang in uns!
Mein Urtheil über Pfuel wollen Sie
wissen? In ihm ist eine gewisse milde Weisheit des
Denkens, die d das Wiedersprechende in der Erscheinung in
einen negativen, durch die jedesmalige Individualität
motivierten Zusammenhang bringt. Niemand fragt sel-
tener als er was ein Mensch sein soll u kann, wenige empfinden
so klar was jeder seiner Natur nach ist, daher die Indul
gence u der geringe Enthusiasmus. Dies ruhige Gleich-
gewicht der Phantasie u des Verstandes was sich für An-
dere immer gleich bleibt, wird gleichwohl für ihn selbst
so oft unterbrochen als seine Thätigkeit äußerlich auf
verschiedene Weise in Anspruch genommen wird. Hier
erscheint er unstät, heftig, ruhelos, für ihn giebt
es deßhalb kein Familienglück, und er scheint nur da zu
sein Anstoß zu geben u Thätigkeit u Kräfte in
Gang zu bringen. Ohne Leidenschaft liebt er innig
und ist treu in der Freundschaft wie auf Erden Wenige
sind. Durch die äußere Erregbarkeit die sich auch
augenblicklich äußerlich mit Kraft u Verstandes Nach-
druck ausspricht, hat seine Mittheilung etwas Hinrei-
ßendes, er hat mehr als ein Frauenherz in diesen
Banden unwiderstehlich u dauernd fortgerissen. –
Dies die Definitiv-Züge eines liebenswürdigen
u merkwürdigen Charakters wie sie mein Urtheil
begreift. –
Noch ein Wort von Ihrem General. Ich brenne

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ihn kennen zu lernen. Erzählen Sie mir von ihm
viel, ausführlich, ich kann nicht genug hören. Genia-
ler als Czernitscheff
! – anders, ja, aber nicht genia-
ler, ich glaubte es kaum, es sind große Blitze in dem
Menschen! Warum soll der Umfang des Unternehmungs-
geistes in beiden als Feldherren, nicht entscheiden? Was
ist Feldherrngenie, wenn es nicht die Ku kühne
Zuversicht, der Blitz des Vorherfühlens u Wissens
ist, der ein Unternehmen leitet? Ich weiß nicht
warum ich neidisch über den Beifall bin den Sie
diesem Tettenborn geben!
Könnte ich einmal, einmal nur das Bild
eines großen Menschen außer mir sehen, wie ich es in mir
trage.
Sagen Sie mir giebt es etwas Größe-
res für ein stolzes Frauenherz als Freundin,
Vertraute eines Helden zu sein? Könnte
ich die blühende Jugend beweinen, und schwinden
den Reize, so wäre es den Blick eines solchen
Mannes, wenn es einen giebt, nicht mehr
anziehen zu können! Wie thöricht u doch wie
wahr!
Von Fouqué diesmal nichts, denn ich weiß
nichts Bestimmtes. Gott lasse mich nur Gutes
hören! Der herrliche Mensch u Dichter!
Gott mit Ihnen! Ohne Zorn, mit herzlicher
Freundschaft
Caroline

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Grüßen Sie Pfuel, sagen Sie mir etwas
Näheres von Marwitz. Wie ist er nach
Prag gekommen? Ich glaubte ihn gefangen
bei Jüterbock.

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