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Brief von Caroline de la Motte Fouqué an Rahel Varnhagen von Ense

Nennhausen, 1812
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 60 Fouqué Caroline de la Motte, Bl. 34-36 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Caroline de la Motte-Fouqué
Empfänger/-in
Rahel Varnhagen von Ense
Datierung
1812
Absendeort
Nennhausen
Empfangsort
Berlin
Umfang
3 Blätter
Abmessungen
Breite: 165 mm; Höhe: 200 mm
Foliierung
Foliierung in Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Renata Dampc-Jarosz; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Erstdruck: BP, S. 136–139.

Seite „34r“

34

Frau von Fouqué an Rahel.

Nennhausen, 1812.

Seite „34v“

Seite „35r“

35

.

Fragen Sie mich nicht, liebe Rahel, weßhalb ich Ihnen
jetzt erst antworte? Sie wissen, wie so etwas kommt
das Kleinliche geht immer neben dem Größern, und
man willigt ein, mit ihm zu gehen.
Ich habe es immer im Herzen getragen, daß ich mit Ih-
nen reden wollte, auch waß ich sagen wollte müsse
und muß. Und nun ist es auch dazu gekommen.
Sie haben Gustav liebenswerth gefunden? Ich halte
das für billig, und bei Ihnen natürlich. Er ist durchaus
wahr ohne alle auch Anempfindelei und Anbilderei (wie ge-
fällt Ihnen das Wort?) vielleicht giebt er der eigenthüm-
lichen Richtung seines innersten Wesens zu sehr nach.
Das Eigenthümliche kann auch bei edlen Naturen einseitig,
und dann mindestens, langweilig werden. Auch das Beste
im Menschen fodert unaufhörlich eine höhere Durchdringung,
und deßhalb kann man sich auch des Besten nur beschei-
den freuen. Aber freuen muß man sich, daß ist ein-
mal gewiß, bei so viel Anlage, Ein u Umsicht, und
so herzlichem Gefühl! Er ist noch bei mir! Wir haben mit-
einander viel im Innern u Aeußern in dieser Zeit er-
lebt! Vielleicht kommt er vor seiner Abreise nach Göttingen

noch einmal nach Berlin. Sie sehen ihn dann gewiß.

Seite „35v“

Ich käme auch gern einmal wieder nach Berlin. Aber das läßt sich nicht
immer so machen wie man will. Vor dem Winter wird es wohl
nichts daraus werden. Wir verständigten uns dann auch
über die streitigen Punkte in meinem kleinen Roman
. Liebe
Rahel, Sie werden mich begreifen, wenn ich Ihnen sage, daß
bei mir alles auf d alle Wahrheit des Lebens der auf dem nothwendigen
gesetzlichen Zusammenhang des Lebens selbst beruht, Inneres u Aeußeres,
folglich so durch einander bedingt ist daß die Magie welche Eines ü-
ber das Andere ausübt keine willkührliche, keine zufällige, keine
gemachte, sondern eine nothwendige sein muß. Ihre Anfoderung
daß die Liebe durch kein Aeußeres geschaffen werden solle, ist
an sich richtig, sobald Sie diese Aeußere als ein Zufälliges betrachten, als ein
Vereinzeltes, was so oder so durch Umstände gemacht werden könne.
Nehmen Sie aber einmal den Fall anders an. Betrachten Sie die
Wechselwirkungen im Leben als innig verwachsen, u auseinander
wachsend, folglich organisch; was ist denn aller Zauber der Natur an-
ders als unsichtbares Walten in jenem unbegriffnen, ge-
setzlichen Zusammenhange? Und was ist Zauberei wenn es nicht
der plötzliche prophetische * durch Instinkt oder Wissenschaft erzeugte Hineinblick in diesen Zusammenhang ist?
Da aber dieses Hineinblicken immer nur menschlich, das heißt, beschränkt
bleibt, so ist alle Zauberei Sünde, und die Religion verbietet
sie als ein einseitiges Beziehen, ein berücksichtigtes Gewaltanthun
der Naturordnung. Was absichtlich erzwungene Liebe sein kann
wissen wir wohl beide, sie entsteht u erze aus Mißgriffen u erzeugt

Seite „36r“

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Verwirrung, beides wollte ich im Gange der vorliegenden Ge-
schichte ausdrücken. Ich weiß es, wir können uns mit
drei Worten nicht verständigen, und darum möge auch das
Weitere auf sich beruhen. Ihnen genüge es vor der Hand nur,
genügen daß ich mir wirklich bei jenem Buche etwas dachte,
und daß es kein zufälliges Produkt eines vorübergehenden
Zeitmomentes oder einer Stimmung war, und mir die Liebe
als das Element des Lebens heilig ist.
Es ist seltsam, dass sich Menschen in vielem und nicht in
allem, oft nicht in der Hauptsache verstehn! Dies beweist recht
für die Unergründlichkeit des menschlichen Seyn. Man glaubt
häufig Personen zu kennen. Die ausgesprochenen Richtungen
liegen wie das Gerippe eines Blattes bestimmt und genau
vor uns, aber was dazwischen ist, das vermittelnde, weiche,
das lebendige Element, übersehen wir. Deßhalb theilen wir
die Menschen so falsch in Gute und Böse, selten sind sie
beides absolut. Kräftige Naturen vermischen sich schwer,
indeß leichte unbemerkt eine in die andere überfließen.
Robert ist in Posen? – Ich will warten bis er
zurück kommt um ihn an seinen Auftrag zu erinnern. Sie
will ich nicht damit ängstigen u verwirren. Er inte-
ressirt mich ohnehin nicht besonders mehr!
Wie leben Sie jetzt? Ich denke nicht sehr heiter. Ihnen
fehlt etwas Großes zur Glückseligkeit, das fühle ich wohl. Ihr
Herz füllt die Freundschaft nicht aus. Es kann Sie auch nicht
befriedigen, daß man alt u kalt u ruhig wird. Das Leben

Seite „36v“

lacht nicht jedem; auch kann nicht jeder über das Leben lachen.
Vielen schneidet es Wunden in das Herz, daß es schreien
muß! Wenn wir nur die Absicht des Lebens begreifen
dann ist es am Ende doch gut, und bald jede Prüfung wird
eine Blume im Märtyrer Kranz!
Was macht Marwitz? Er ist ein schäumender Wein! Die
fixe Luft steigt über das Gefäß hinaus. Er hat noch
nicht Raum gefunden in der Welt, und weiß nicht wie
er sich mit seinem praktischen Streben zu dieser stellen
soll; deßhalb ist er unwohl u scharf schneidet in Gemüther
Meinungen, u Lebensrichtungen scharf ein. Man fürchtet
ihn.
Varnhagen kommt zurück? Was wird es mit ihm?
Fouqué grüßt. Ich glaube er ist durch Sie ge-
kränkt. Dichter wollen von Freunden wie von der
Welt verzogen werden.
Grüßen Sie doch Neumann sehr freundlich. Ich schreibe
ihm nächstens; er weiß, weßhalb!
Adieu Liebe. Gott behüte Sie
Ihre
Freundin Caroline
Fouqué.