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Brief von Fanny Tarnow an Helmina von Chézy

o. O., September 1819
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 241 Tarnow Fanny, Bl. 44-46 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Fanny Tarnow
Empfänger/-in
Helmina von Chézy
Datierung
September 1819
Absendeort
Empfangsort
Umfang
3 Blätter
Abmessungen
Breite: 130 mm; Höhe: 210 mm
Foliierung
Foliierung in Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Renata Dampc-Jarosz; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

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[Karl August Varnhagen]Fanny Tarnow
an Fr. von Chézy.
September 19.

Endlich, meine liebe Helmine, ist der Brief
angekommen, den Sie mir durch Herrn
Hilscher gesandt haben u ich will erst
alles Geschäftliche beseitungen beseitigen, um mir
dadurch Zeit u Platz zu einigen herzlichen
Worten der wahrsten Theilnahme zu
gewinnen. –
Winkler hat mich oft u
viel um Beiträge für die Abendzeitung
gebeten, ohne daß ich ihm je etwas geliefert
habe; daher, um den Schein der Unfreundlich-
keit zu vermeiden, wäre es mir lieb,
sehr lieb, wenn Hilscher meine Erzählung
u was ich ihm vielleicht künftig noch
sende, nicht unter meinem Namen abdrucken
liesse. Ich muß in meiner Lage auf das
Honorar Rücksicht nehmen: Cotta giebt
mir 4 Louisd’or, Hilscher auch – Winkler
giebt mir 2 Louisd’or u ich habe keinen Beruf
ihm dafür zu arbeiten, wenn ich das doppelte
erhalten kann. Sollten Sie Winkler sehen
u mit ihm in freundlichen Verhältnissen stehen,
so sagen Sie ihm dies ganz offen u wenn
er billig ist, wird u kann er mir nicht
zürnen. Ich möchte so ungern, daß er dies

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thäte, denn ich achte ihn und sein Blatt. –
Haben Sie in der Morgenröthe meine
Glaubensansichten
gelesen? – lassen Sie mich
in einer Zeile Ihr Urtheil darüber erfahren;
Gebauer wünscht von mir die Fortsetzung
aber ich bin zaghaft sie zu geben, da ich
noch kein Urtheil darüber gehört habe.
Meine Erzählung, liebste Helmine, will
ich Ihnen gerne aufheben, doch mit der aus-
drücklichen Bedingung sie in keiner Sammlung
aufzunehmen, zu der auch die Schoppe et-
was geliefert hat, da ich mit dieser
Frau nie u in keiner Art vor dem
Publikum etwas gemein haben will.
Sie führt sich allenthalben mit göttlicher
Frechheit als meine Freundin ein – dafür
habe ich sie nie erkannt u kann also auch
in keine Gemeinschaft willigen, die dieser
ihrer Behauptung einen Schein der Wahrheit
geben könnte. – Die Erzählung die sie
Ihnen gesandt hat ist, wie mich dünkt,
ganz gut u es ist ein gutes Werk wenn
Sie sie zum Druck befördern – allein
mich lassen Sie bei dem Werk, worin jene
erscheint, aus dem Spiel; für jedes
andre rechne ich es mir zur Auszeichnung

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an Ihnen einen Beitrag zu liefern.
Wie rührt mich Ihre Theilnahme an meinem
Geschick, gute Helmine, u das Interresse was
Sie dem Fräulein v. Calenberg für mich
einzuflößen gewußt haben – werden
Sie aber, liebste Helmine, vor allem
andern Thun u Treiben dazu kommen
an diese Ihre Freundin zu schreiben u
die Sache in weitre Anregung zu brin-
gen? – Liebe Helmine, ich habe in dieser
Zeit Schweres erlitten – den bittersten u
lieblosesten Undank eines Herzens, auf
dessen Dank u Liebe ich mir durch unbe-
schreibliche Liebe u durch die treueste
Sorge Rechte erworben zu haben
fühle. – Bietet sich mir durch Vermittlung
Ihrer edlen Freundin ein andrer Wirkungs-
kreis u mit ihm eine Aussicht für die
Zukunft an, so muß ich dies in dem gegen-
wärtigen Augenblick für eine sichtliche
Fügung der Vorsehung halten u willenlos
folgen. Schreiben Sie also, theure Helmine –
makelloser Ruf u makelloser Wandel,
die Gabe mir junge Gemüther in Liebe
zu gewinen – ein bischen Weltbildung
u Weltkenntniß, Bekanntschaft mit
Hofton u Hofsitte – das wäre ungefähr
das was mir äußerlich zur Empfehlung

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dienen könnte – Manches Andre Wichtigere
liegt in meinen Schriften ausgesprochen da –
sie sind ein treuer Spiegel meines Geistes,
meines Sinnes u meines Lebens. –
Nur, liebste Helmine, liegt mir alles an
einer baldigen Entscheidung – ich kann mich
frei machen sobald ich es soll – ich bin es schon
jetzt. – Vergessen Sie nicht, Theuerste, daß
es die Entscheidung ueber das Wohl u das
Weh meiner Zukunft ist, die an Ihrem Briefe
hängt – zwingen Sie Sich Muße ab ihn zu schreiben.
Wie tief fühle ich all den Druck u die
Sorge Ihrer Lage mit Ihnen, liebste Hel-
mine. So etwas lähmt u man kann nicht
frei athmen – ich begreife sehr gut wie ein
so ächt dichterisches Gemüth wie das Ihrige
in solchem Zweispalt mit dem prosaischen
Bedürfniß gerathen kann, aber doch
auch wieder nicht, wie Sie bei der Einfachheit
Ihrer Lebensweise u Bedürfnisse so viel
gebrauchen können. Lebte ich in Ihrer
Nähe, wahrlich Sie müßten mich zu
Ihrem Finanzminister ernennen – Sie
sollten einmal sehen wie nett ich meinen
kleinen aus 3 Personen bestehenden Haus-
halt in dem theuren Hamburg mit 500 rl
jährlich führe, von denen ich allein 100 rl für
Miethe ausgebe – wahrlich ich nehme mir
das nicht zum Verdienst an, aber ich be-

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stärke mich nur in meiner früheren Ansicht, daß Sie, Liebe, Sich eine
Lage bilden müssen, wo Ihnen die Sorge für alle ökonomischen Ein-
richtungen abgenommen ist u Sie ganz unbedingt nur Ihrem herrlichen
Talent leben können. Ist denn das gar nicht einzurichten? – Uebrigens
Muth, liebste Helmine – ein einziger Roman aus Ihrer Feder kann
ja die Schuld bezahlen u Sie sind wieder frei wie ein Vogel in
der Luft. –
Adieu, adieu Liebe, Gute. Gedenken Sie meiner wie ich
Ihrer.
Ihre
F.

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