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Brief von Charlotte von Ahlefeld an Sophie Mereau-Brentano

Saxtorf, 10. Juli 1804
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 1 Ahlefeld Charlotte von, Bl. 52-53 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Charlotte von Ahlefeld
Empfänger/-in
Sophie Mereau
Datierung
10. Juni 1804
Absendeort
Saxtorf
Empfangsort
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 110 mm; Höhe: 170 mm
Foliierung
Foliierung in Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Renata Dampc-Jarosz; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „52r“

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[Karl August Varnhagen]Charlotte von Ahlefeld
an Sophie Mereau.
Saxtorf den 10tenJuly 1804.
Dein Brief traf mich krank, liebster Engel, und noch
jezt bin ich nicht völlig wieder wohl. Aber ich kann
nicht länger zögern mit meiner Antwort an dich,
denn ich fühle eine unendliche Sehnsucht, wieder
von dir zu hören und dir den warmen, neu-
en Antheil zu bezeugen, den ich an deinem
Glück nahm. So ist die schwere Stunde dann nun
überstanden, und nun, freundliche Hoffnungen
verschönern dein Leben in deinem Kinde? Ich
dachte mir die Niederkunft nicht so nahe, und
dass Du mir schreibst, sie sei vorbei, hast mir
eine ängstliche Sorge von dem Herzen genom-
men. Könnt ich dich doch sehen in deinem neuen
Verhältnis, ach das vielleicht das heiligste auf
Erden ist, wenn treue, reine Liebe es ge-
schaffen hat. Und Brentano – – wie wun-
derbar und rührend stell ich mir seine
Freude vor. So ganz anders wie bei andern
Menschen muß sie sich bei ihm geäußert ha-
ben, denn er tut einen so reinen, kindlichen
Sinn, wie wohl nur wenige. Grüße ihn von
mir, wenn er noch an mich denkt. Jezt ist
es ein Jahr, seit wir oft beisammen waren.
Ich erinnere mich oft dieser Zeit – ach möch-
ten ähnliche für mich wieder kommen!
[Karl August Varnhagen]Bettina.

Seite „52v“

Von Weimar weiß ich wenig, weil ich oft mit mei-
nen Antworten lange warte; denn ich bin mei-
stens so betrübt, so muthlos, daß ich in Klag-
gen meinem schweren Herzen Luft verschaffen
möchte, und das kommt mir so kleinlich und
unnütz vor, daß ich lieber schweige. So ge-
rith mein Briefwechsel mit der Voigt und
Lincker oft ins Stocken, und ich muß Vor
würfe über meine Saumseligkeit hören,
die eigentlich nur mein freudenloses Ge-
schick verdient, das mich oft so verstimmt
daß ich nicht weiß, was ich anfangen soll.
Majer ist wieder krank an einem Ner-
venfieber, T. fleißig, u. die Bernhardi
gözt mit Knorring in Liebenstein. Das ist
alles was ich dir aus Weimar sagen kann.
Daß es ein wenig verworren um meinen
Kopf steht, kannst Du daraus schließen, daß
es mir erst jezt einfällt, Dir für deine
Novellen, und für den launigen Ponce

zu danken. Und doch hat mich beides so
innig erfreut. Ich war krank, als ich es
erhielt, aber unendlich heiterte mich diese

Seite „53r“

53

liebe Gabe auf. Dank, herzlichen Dank dafür! –
Wie gut bist Du, daß Du meine Arbeiten durch
sehn willst. Ich fühle ihre Mittelmäßigkeit tief,
aber schon früh war es mir Bedürfnis, zu schrei-
ben, und in meiner Lage ist es mir oft ein
Trost gewesen, mich in die Einsamkeit zu
flüchten, und die Wirklichkeit über meinen
Tränen zu vergessen. Es ist doch auch eine Art-
von Geschäft in diesem mäßigen, abhängigen
Leben, das ich führen muß, und zieht mich oft
von trüben schwermüthigen Gedanken ab, die
nur gar zu oft in mir rege werden. Indem
ich dir aber etwas schicken will, schäme ich mir
vor dir, liebstes Herz, ob ich gleich Deine un-
endliche Güte kenne, die mich wenigstens nicht
auslachen wird. Hier ist der Anfang eines
Romans,
den ich in cognito in die Welt schicken
möchte, wenn Du andres nicht sagst, es wäre klüger
ihn zu verrichten. Einen eigentlichen Plan habe
ich mir nicht gemacht, sondern ich folge meiner
jedes mahligen Stimmung u. warf ihn ohne weitere
Unterlegung aufs Papier, was mir eben einfällt.
Sage mir offen, wie Du es findest. Ich kann Wahr-
heit sehr gut hören, selbst wenn sie nicht freund-
lich sich äußert. Um wie viel mehr von deinem

Seite „53v“

Eigenen, theuer Engel! Meinst Du, daß ich es verstehen soll,
so schick mir es wieder denn ich mache nur ein Concept
meinst Du aber, daß es nichts taugt, so verbrenne
es. Ich habe schon manchmahl, wenn mir das Herz recht
voll würde, versucht, in Gedichten mein Inneres auszu-
sprechen. In Gedichten, sag ich, ich sollte es aber nur
Reime nennen, denn ich weiß nicht, ob sie den Namen
Gedichte verdienen. Wenn Gedichte gut seyn sollen, muß
eine lebhafte Phantasie, eine Fülle neuer u. schöner
Gedanken, und Gott weiß, was noch alles, sie her-
vorbringen. Das alles fehlt mir, und doch mache
ich Verse, weil es nur tröstend, und erleichternd
ist. Ich schick Dir einige. Sage mir auch über sie
Dein Urtheil offen und wahr, wie Du immer gegen
mich gewesen bist. Ich schwör Dir, auch wenn Du mir
sagst, ich sol nie wieder eine Zeile drucken lassen,
weil, was ich schreibe, gar zu mittelmäßig ist, so
werde ich Deiner Meinung folgen, denn ich setze
in niemand so viel Vertrauen, wie in Dich,
die ich immer so ohne Falsch und so wahr gefun-
den habe.
Schnell will ich nun siegeln, denn ich schäme
mich von neuem, wenn ich sehe, daß Du
diese Blätter lesen wirst, die vor mir liegen,
und die ich selbst so unbedeutend finde, wenn ich
sie mit deiner Art zu schreiben vergleiche. Aber
Du bist so gut, drum sei es. Leb wohl, schreib
mir bald, und behalt mich lieb, wie ich dich auch
lieb behalte.
Charlotte.