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Brief von Charlotte von Ahlefeld an Sophie Mereau-Brentano

Saxtorf, 1. Mai 1804
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 1 Ahlefeld Charlotte von, Bl. 48-51 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Charlotte von Ahlefeld
Empfänger/-in
Sophie Mereau
Datierung
1. Mai 1804
Absendeort
Saxtorf
Empfangsort
Umfang
4 Blätter
Abmessungen
Breite: 110 mm; Höhe: 170 mm
Foliierung
Foliierung in Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Renata Dampc-Jarosz; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „48r“

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[Karl August Varnhagen]Charlotte von Ahlefeld
an Sophie Mereau.
Saxtorf den 1sten Mai 1804.
Seit du mir mehr, als bloße Bekannte, seit du
mir Freundin, und zwar eine der liebsten, die
ich habe, geworden bist, sind deine Freuden und
Leiden auch die meinigen, und ich theile trotz
der Ferne, die uns trennt, alles Wohl und Weh
deines Lebens mit treuem Sinn und inni-
ger Liebe. Wie sehnlich mußt ich nicht von
einem Posttag zum andern auf Nachricht
von dir hoffen, jezt, wo ein neuer Zeit-
punkt deines Daseyns anhebt, wo ich
dich kränklich, und duldend in einem Zu-
stand weiß, den kaum die mit ihm ver-
knüpften süssen Hoffnungen zu erhei-
tern vermögen.
O möge er bald vor-
über gehen, und dir in einem liebenswür-
digen Kinde reichen Lohn für alles Unge-
mach bringen, das ihn begleitet. Ich weiß
wohl, das man in deinen Umständen
eben nicht das Schreiben liebt – aber wenn
du dich überwinden kannst, o so laß
mich nicht so lange auf eine Zeile von
dir warten. Glaube, daß du mir eine
[Karl August Varnhagen]Bettina.

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drückende Sorge von der Brust wegnimmst, wenn
du mir immer einen deutlichen, wahren Be-
weiß davon giebst, wie dirs geht. Ich kann
dich nicht mehr aus meinem Leben weg den-
ken, ohne eine gräßliche Leere zu fühlen,
denn ich habe dich sehr lieb, und darum ist
mir nichts gleichgültig, nichts unwichtig was
dich betrift, und von dir selbst zu hören
wie es mit dir steht, ist mir am be-
ruhigendsten. Ich denke täglich unendlich oft
an dich, und möchte bei dir seyn, um
dich zu warten und zu pflegen. Doch
du bedarfst mich nicht. Wer so geliebt
wird, wie du, kann die ganze Welt
entbehren, außer den Geliebten. Damit
ich doch auch in der Entfernung etwas
für dich thun kann, sei es auch noch so
unbedeutend, so will ich dir einen Bei-
trag zu deinem Kinderzeug liefern. Wüßt
ich nur, was dir am nöthigsten, und
am liebsten wäre. Schreibe mir darüber
liebstes Herz! und mit Freude will ich
anfangen für dich zu arbeiten. Mir dünkt

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die Sehnsucht nach dir muß dann milder werden,
wenn ich sie an irgend etwas auslassen kann
sei es auch nur das leblose Nähzeug, das
für dich bestimmt ist.
Mir ist heute ganz besonders weh zu Muthe.
Der Frühling, diese ewig wiederkehrende Jugend
des Jahres, weckt in mir nur traurige Ge-
fühle auf, und meine Umgebung ist ganz
dazu geeignet, sie noch trüber und ver-
stimmter zu machen. Ich kann mich des
tiefsten Kummers nicht erwehren, wenn
ich mein Leben betrachte, das so auf
immer verdorben ist. Wer giebt mir Ersatz
dafür? wer kann die verlohrenen Jahre
zurückrufen, die mir in bitteren Gram
dahin gegangen sind, ohne Freude, ohne
Hoffnung – – ach und wer weis, wie
viele noch kommen werden, eben so –
betrübt und leer wie die vorigen? –
Diese Gedenken, denen ich unwillkührlich sehr
oft nachhängen muß, sind nicht geschickt,
meiner Lage eine erträgliche Seite abzu-
gewinnen, und sie löschen, so gern ich
sie auch verbannte, allmählich den lezten

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Funken Frohsinn in mir aus. – Du fragst, ob
ich diesen Sommer eine Reise thun werde? –
Ich hätte freilich große Lust, denn wem der
Himmel eine so freudenlose Heimath bestimmt
hat, wie mir, der sehnet sich gern in die
Fremde hinaus, wo doch wenigstens Abwech-
selung und Zerstreuung ist. Aber die Lust
allein ist nicht hinlänglich. Ich habe im vori-
gen Jahr viel ausgegeben, und da mir
nichts drückender ist, als Wohlthaten über-
haupt, und noch besonders von jemand, den
ich weder achten noch lieben kann, so be-
schränke ich mich gern auf das mir be-
stimmte Nadelgeld,
ohne durch Bitten und
Fordern es zu vergrößern zu suchen.
Nun hab ich aber bisher davon noch immer
allerlei zu bezahlen gehabt, und daher bin
ich sehr zweifelhaft, ob ich vielleicht gegen
den Herbst so viel haben werde, um
eine Reise thun zu können. Ich wünsche mir
einiges dazu durch Schreiben verdienen zu
können, und habe auch verschiedenes
angefangen, aber mir fehlt der Muth,
fortzufahren, denn alles was unter

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[Karl August Varnhagen]z. 1. Mai 1804.
meiner Feder hervorgeht, kommt mir so albern
und dumm vor, daß ich es gleich wieder ver-
nichten möchte. Doch will ich mich überwinden
und den Anfang einer Arbeit
abschreiben,
um ihn dir das nächste mahl zur Beur-
theilung zu schicken, ob ichs fortsetzen soll
oder nicht. Völlig so schleppend und alltäg-
lich ist es nicht, wie die Sachen, die ich
früher geschrieben habe – das ist aber noch
immer nicht viel gesagt. Du bist so
wahr, und ich traue so fest deinem Ur-
theil, daß ich es als ganz entscheidend
annehme. Du musst mir aber erst
schreiben, ob du auch Zeit und Lust
hast, es durch zusehen, Liebste!
Die Voigt wird nun wohl schon wieder
in Weimar angelangt seyn. Die Bernhar-
di
begleitet sie, um sich dort eine Zeit-
lang auf zuhalten. Daß Schlegel mit der
Stael nach der Schweiz abgereist ist, wirst
du wohl schon wissen. Am 18ten April ist
die Hochzeit der Gräfin Egloffstein mit
Beaulieu gewesen. Die Kahle geht ab als

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Hofdame, weil sie täglich ihrer Niederkunft
entgegen sieht. Sieh, das ist ein wahrer Zei-
tungsartickel von Weimarischen Neuigkei-
ten, doch muß ich geschwind noch eine hin-
zufügen, ehe ichs vergesse, daß nehmlich
die Schillern
in einigen Monaten auch
nieder zu kommen gedenkt.
Dieser Brief muß dich nothwendig gähen
machen, liebster Engel, aber ich kann dir
nicht helfen. Ich fühle mich so erschöpft
von einigen schlaflosen Nächten, denn
mein Erich hat schon seit einer Woche
das Fieber, und seine Pflege nimmt
mir viel Zeit weg, dazu kommt,
daß ich selbst nicht wohl bin. Ich
habe also doppelte Gründe, auf deine
Nachsicht und Güte Ansprüche zu machen.
Schreib mir bald, recht bald. Greift dichs
aber an, so thue es nicht, trotz meiner
Begierde, etwas von dir zu erfahren,
denn wenn du mir auch kein Zeichen

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des Lebens giebst, so glaub ich doch, daß du
mich lieb hast, so wie ich dich ewig lieb
behalte, ich mag dir schreiben oder nicht.
Grüße Brentano so freundlich von mir wie –
du nur immer kannst. Er ist ein selten
hoher Mensch in meinen Augen. Ich achte
ihn sehr, und liebe ihn auch, wenn er
dich glücklich macht, und das wird er gewiß.
Lebe wohl, meine Sophie! und bleibe mir
was du mir bist. Immer und ewig bin
ich dein eigen.

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