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Brief von Charlotte von Ahlefeld an Helmina von Chézy

Weimar, 20. April 1846
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 1 Ahlefeld Charlotte von, Bl. 29-30 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Charlotte von Ahlefeld
Empfänger/-in
Helmina von Chézy
Datierung
20. April 1846
Absendeort
Weimar
Empfangsort
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 130 mm; Höhe: 210 mm
Foliierung
Foliierung in Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Renata Dampc-Jarosz; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „29r“

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[Karl August Varnhagen]Charlotte von Ahlefeld
an Fr. v. Chézy.
Weimar, den 20sten April 46.
Meine theuere Freundin, die Nachricht, das ein junger
Mensch von hier nach Heidelberg, wo er studirt, zu-
rükkehrt, hat mich ganz electerisirt, und ich kann
es nicht lassen, ihm einen schriftlichen Gruß an Sie
mit zu geben. Auch zweifle ich nicht daran, daß
Ihnen dies lieb ist, denn was von Herzen kommt,
geht ja zu Herzen, und trotz der Trennung von
fast einem Vierteljahrhundert (das klingt schau-
erlich) ist meine Gesinnung für Sie in treuer
Anhänglichkeit immer dieselbe, und wird es
bleiben. Möchten diese Zeilen Sie doch veranlassen
mir recht bald einmal zu schreiben, aber nicht durch
Maltiz, der mir nicht zuverläßig genug ist, um
ihm die für mich kostbaren Kleinode Ihrer Briefe
anzuvertrauen. Schreiben Sie mir durch die
Post, diese sicherste Freundin der Freunde, und
schreiben Sie mir unfrankirt. Meine Verhältnisse
zwingen mich allerdings zur Sparsamkeit,
und ich übe diese an meiner Person, weil ich
muß. Aber dann und wann mir ein Ver-
gnügen zu gewähren, was von der Art ist,
daß es das Herz befriedigt und der Seele
Nahrung giebt, lasse ich mir nicht rauben, und
ein solches Vergnügen – dies ist nicht das rech-
te Wort, aber Sie verstehen mich – ist es mir, Nach-
richt von Ihnen, und die bestätigte Gewißheit
zu haben, daß Sie mir angehören, wie ich Ihnen.

Seite „29v“

Hätte ich doch eine Aussicht, Sie einmal wieder zu sehn,
und so von Herzen mich einmal mit Ihnen ausspre-
chen zu können. In Dresden wären Sie mir doch
erreichbar gewesen. Es betrübt mich, das dies nicht
Ihr Wohnort ist. Ich habe den kommenden Som-
mer eine große Reise vor, indem ich meinen
Bruder nach Gastein begleiten soll, wo er das
Bad brauchen wird. Aus Dankbarkeit, daß ich ihm
meine Begleitung zu gesagt habe, hat er ver-
sprochen, mir nach Beendigung seiner Kur den
Comer See, Venedig und vielleicht Genua und
Florenz zu zeigen. Das wäre nun allerdings
erfreulich, denn obgleich ich mich nie nach dem
Lande gesehnt habe, wo man der Erde nicht trau-
en darf, und wo Banditen, Scorpione, große
Hitze und Unreinlichkeit ihr Wesen treiben, so ist es
doch interessant, durch eigene Anschauung davon
einige Begriffe zu bekommen. Übrigens ist es
eine schwere Aufgabe, mit einem alten seh-
schwächlichen und völlig tauben Mann so allein
in die Welt hinein zu reisen, denn er will
nicht einmal einen Bedienten mit nehmen, und
wenn ihm etwas im fremden Lande, wo ich nicht
einmal die Sprache verstehe, zustieße, wär
ich wirklich sehr verlaßen. Doch – man soll
immer mehr hoffen als fürchten, und ich will
mich bemühen, es zu thun. Den 1sten July tre-
ten wir diese Reise an. Möchte sie uns doch

Seite „30r“

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über Heidelberg führen. Nur einen Abend zusammen,
wenn es nicht mehr seyn kann. Genug sowas kann
man ja doch nicht wünschen. Von Ihren Schrift-
stellerischen Bestrebungen, die ja doch hoffentlich
nie aufgehört haben, weiß ich leider gar nichts.
Ihre seelenvollen Lieder hatten außer ihrer eigen-
thümlichen Anmuth den großen Vorzug in meinen
Augen, daß sie einen leisen Balsam in sich tru-
gen, der dem wunden Herzen beschwichtigend
und heilend war. Ist irgendwo eine Sammlung
Ihrer Gedichte erschienen, so bitte ich, sagen Sie
mir: wo? Ich würde dann Sorge tragen
sie mir zu verschaffen. Im Lauf dieses Win-
ters habe ich manche interessante Bekanntschaften
gemacht. Jenny Lind, Auerbach, Andersen,
Liszt und die Milanolli’s gingen an uns vorü-
ber, und einige davon sah ich nicht blos im Aus-
üben ihrer Talente. Ich habe mich seit einigen
Jahren, wo ich plözlich lahm wurde, vom Hofe
(den ich längst überdrüssig war) ganz zurück
gezogen, aber nicht dadurch verloren, da eine
größere Freiheit bei einer Menge angeneh-
mer Bekannter (mit dem Worte Freunde bin
ich sehr geizig) mir Veranlaßung genug zu an-
genehmen geselligen Stunden geben. Es ist
jezt etwas beßer mit mir, doch kann ich den
Stock nicht entbehren. Innerlich aber bin
ich sehr wohl, und folglich mit meinem Zustand
ganz zufrieden. Als ich vorigen Sommer in

Seite „30v“

Dresden war, zog es mich nach meiner geliebten
Gensike
Grabe, wo sie nebst Mann und Tochter
ruht. Es ist ein unaussprechliches Gefühl, auf den grünen
Rasen zu blicken, der das bedeckt was uns so theuer
war und ist. Ich dachte Ihrer recht lebhaft dort; Sie
liebten und erkannten ja die Verstorbene so innig
und sie war Ihnen so treu ergeben. Die holde Fannÿ
Tarnow
hat, wie man mir sagte, in Dresden und
später Weissenfels, wo sie ein schmaruzerisches
Leben führte, so viel gelogen, daß ihr am
Ende aller Umgang fehlte. Ich weiß nicht, wo sie
jezt ist
, gönne ihr aber herzlich alle Demüthi-
gungen die sie erlitten, und reichlich an Ihnen
verdient hat. Es schreibt sich nicht gut, wenn
Jemand auf den Brief wartet, – und das
ist hier der Fall. Nehmen Sie daher mit
dem flüchtigen Blatt vorlieb. Leer ist
es doch nicht, denn es enthält ja einen
Theil der Liebe, die ich Ihnen für das
ganze Leben treu im Inneren bewahre.
Ihre CvA.