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Brief von Amalia Schoppe an Rosa Maria Assing

Burg auf Fehmarn, 30. Oktober 1814
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 230 Schoppe Amalia, Bl. 71–72 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Amalia Schoppe
Empfänger/-in
Rosa Maria Assing
Datierung
30. Oktober 1814
Absendeort
Burg auf Fehmarn
Empfangsort
Hamburg
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 115 mm; Höhe: 190 mm
Foliierung
Foliierung mit Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Paweł Zarychta; Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „71r“

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Assing
Burg den 30ten October 1814.

Theure, vielfreundliche Rosa!

Sonntag ist es, und die Geschäfte ruhen, wozu also den freien
sonnigen Herbstmorgen besser anwenden, als Dir zu schreiben?
Habe Dank also zuerst für Dein liebes Geschenk – ich werde meine
Brust an Sonn- und Festtagen damit schmücken, und so trage
ich denn drinn und darauf ein schönes eisernes Kreuz –
Um das Ganze noch einander ähnlicher zu machen, will ich an Dein
Geschenk ein weißes Band mit rother Kante als Schleife hängen,
denn sind die Schmerzen meiner Brust auch nicht durch ein so far-
biges Band erhellt und erheitert? –
Wie gut Du bist, meine Rosa! Du versuchst es mich über mein Uebel
zu trösten – bedarf ich denn des Trostes? nein, Rosa, in mir
ist alles so hell, so sonnig, so wonnevoll, daß jene ewig wie-
derkehrende Neckerei des Schmerzes mich nicht einmal erbittert,
viel weniger betrübt. Was vermöchte denn das krampfigte
Zucken der sterblichen Natur gegen ein himmelheitres Gemüth?
in mir lebt Etwas, das mich über die Bemühung der erstern
lächeln läßt, und es natürlich findet, daß das letztere siegt.
Ist denn das Leben nicht die Nacht auf einem Sterne, und die
Hoffnung des Todes ein Stern in dieser Nacht? ––––
Und haben die thauigen Nachtviolen und die liebeathmenden
Nachtigallen mir nicht gedüftet und gesungen? fühlte ich
nicht die Brust verwandter Wesen an meiner kranken?sein
tratst Du nicht mit heller Kerze mir entgegen, daß ich er-
kannte was mich umgab? – schaute ich nicht in Dein Aug und
fand den Himmel, nachdem ich so lang ein inniges Sehnen
fühlte? – – – – – – – – – –
– – – – – – – – –
Meinen Geburtstag, der heute vor 3 Wochen war, feierte ich sehr
schön in der Liebe meiner Kinder
, die mir ein rührendes
Fest bereitet hatten.
Am Morgen war ich mit Allen in der Kirche, d. h. ein Jeder
ging für sich hin, nur wußte ich, daß Keiner fehlen würde,
und als ich zu Hause kam, war meine Freundin Lucie da,
die mich nach dem Hause meines Onkels, des Probsten holte, wo
ich ihr Zimmer mit Kränzen und Blumen ganz ausgeschmückt
fand, auf einem verzierten Tische lagen eine Menge sehr
niedlicher Geschenke von meinem Onckel, der Justitsräthin,
meiner Tante, meiner französischen Cousine, meinen beiden
Lieblingen, Marie und Lotte, etc. etc. so daß fast alle meine
kleinen Bedürfnisse befriedigt waren. Den Tag mußte ich
ganz im Hause bleiben, den ich in jeder Hinsicht lieblich zubrachte,
denn die Eltern meiner Schülerinnen kamen dahin mir auf
die liebevollste und schmeichelhafteste Art Glück zu wünschen.
Am Abend versammelte sich still eine kleine auserlesene
Gesellschaft der Gebildeten des Orts, unter andern der Kam-
merherr von Ries, von dem ich Dir, wie ich glaube, früher schrieb.

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Frohsinn belebte den lieblichen geistreichen Kreis, durchaus gebilde-
ter Menschen – ich glaube kaum daß er oft so in H. oder A. versammelter
Menschen ist. Gegen 8 Uhr gingen Alle in das
Zimmer der Justitsräthin, unter dem Vorwande dasselbe
und meine Geschenke zu besehn, ich wurde von dieser im Saale
zurück gehalten. Auf ein Zeichen von meiner Tante führte
diese mich in ein andres Zimmer, und als sich die Thür öfne-
te, bot sich mir das süßeste Schauspiel dar. In einem
großen Halbzirkel standen meine 32 Mädchen, die größten
der Mitte nahe, wo auf einem bekränzten Altare eine
transparente Pӱramide, mit der Inschrift stand: Liebe
und Dankbarkeit der theuren treuen Lehrerinn von ihren
geliebten Kindern.
– Bei meinem Eintritte begannen
die Kinder folgendes Lied, vom Kanzleÿ-Secretair Mau,
dessen 7 Kinder mit im Kreise als meine Schülerinnen
standen:
Der geliebten Lehrerin Amalia.

am 9ten Oct: von Ihren Schülerinnen.
/Melodie: Noch einmal Robert/


Nimm, Theure, unsre kleinen Spenden
mit liebevoller Freundlichkeit;
empfange gern aus unsern Händen,
die Erstlinge der Dankbarkeit!
Du leitest uns auf Blumenwegen
zu holder Charitinnen Tanz,
und harrend Deiner trägt entgegen,
Apoll Dir seinen Lorbeerkranz!
+
O weile doch, Geliebte, weile
noch lange in Olÿmpos Hain,
und laß zu Deiner Kinder Heile
sie oft noch dieses Tags sich freun:
genieße froh des schönen Lebens,
das Dir für uns die Parze gab,
es folge Dir des höhern Strebens
verdienter Lohn ins späte Grab!
-
Nach diesem rührenden Gesange eilten meine Kinder in
meine Arme, die kleinern umfaßten meine Knie mit
Inbrunst und Liebe, und die größern weinten abwechselnd
freudvoll an meiner Brust. In mir war zu viel See-
ligkeit, ich erlag beinahe, denn selbst Thränen linderten
nicht die freudige Beklemmung meiner Brust – alle
Anwesenden weinten, ohne sich der Thränen zu schämen,
und meine Lucie, die sehr schwach von Nerfen ist, war
einer Ohnmacht nahe.

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Jetzt führte mich meine gefühlvolle Marie zum Altare, und auch
hier lagen Geschenke aller Art, worunter mich viele durch
ihre liebevolle Zartheit entzückten, denn der größte Theil
derselben bestand aus Blumen in artigen Töpfen und ähn-
lichen holden Tändeleien. –

Daß das ein fürstlicher und festlicher Geburtstag war, kannst
Du denken – ich habe ihn nie mit dieser Wonne gefei-
ert, und meine Kinder waren außer sich; wie göttlich ist
es so, und von Kindern geliebt zu werden! – – –

Ich lese jetzt den 3ten Theil von Goethes Leben
– mit welchem
Genusse weißt Du selbst. Mir ist immer als könne ich die-
ses Leben besser verstehn als jeder andre, denn ich fühle,
daß ich der Welt hätte auch etwas geben können, hätte ich
eine höhere Ausbildung erlangt, so bleiben die Psÿche-
Flügel am Boden hangen, und ich kann nur in mir
viele Briefe, Romane, Gedichte etc. tragen, ohne sie ans
Licht befördern zu können; an Kühnheit würde es mir
nicht fehlen, aber es ist doch nicht möglich. – – –
Wenn ich einmal sterbe wird es ans Tageslicht treten, denn
aus meinem Grabe werden wunderliche seltsame Blumen,
bunt genug, aufsprießen, und eine Stimme daraus
wird, wie der Schäfer im Dichterwald, mit dem ich stets
so viel Mitleid hatte, immer wieder so anfangen:
„Hier liegt ein König“
ohne je weiter zu kommen.
Und ist denn das ganze Leben etwas anders, als so
ein: „Hier liegt ein König?
Glaube nur nicht, liebe Rosa, daß wir hier ohne Bücher sind,
wir haben welche, und zwar sehr gute, ganz neue. Wir
haben eine Gesellschaft auf unsern 4 Quadratmeilen zu-
sammengebracht, worin wir von Hammerich jedes gut
rezensirte Buch uns kommen lassen; ich spiele auch eine
kleine Rolle dabei, habe Goethes Leben, das man freilich
schon kannte, aber mit Lust wieder liest, alles von Fouqué,
Rosaliens Nachlaß
und andre vorgeschlagen, die auch schon
zum Theil cirkuliren. – Der Kammerherr hat viele schöne
Bücher, obgleich ihm bei der Belagerung von Copenhagen
1807 seine Bibliothek aufbrannte, wie er mit König
Christian flüchtete, den er verkleidet durch die Schiffe
der Engländer führte und rettete. Er hebt noch den Rock
auf den er dem Könige anzog, mir ein interessantes
Stück. – Wie gebildet dieser Mann sein muß kannst
Du Dir denken, der in solchen Verhältnissen, als steter
Begleiter des einst so geistreichen Christian aufwuchs

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der mit Baggessen, Oelenschläger, von Steffen, etc.
ja mit der ganzen Blüte der Dänischen Dichter vertraut
ist, dem der König zürnt, weil er es ausschlägt ihm län-
ger zu dienen. Neulich sagte der König zu ihm, wie
er in Kopenhagen war: Wollen Sie endlich bei mir blei-
ben, Ries? Nein, Ew. Majestät, ich kehre nach Fehmern
zurück, sobald die Schweden fort sind. Da lachte der
König überlaut und sagte: Fehmern muß etwas sehr rei-
zendes haben, das ich aber wahrhaftig nicht kenne, weil
es Sie fesselt. Ries antwortete: „Es hat 10 Dichter und
ich bin der schlechteste darunter, aber eben darum
kann ich es nicht anders verlassen, als wenn es Ihnen nicht mehr
gehört. –
Theile aber diese Anecdote nicht mit, liebe Rosa, weil ich
nicht weis, ob der Kammerherr, der sie mir im Ver-
trauen erzählte, es gerne will, daß man sie weiter
weis. –

Jetzt mahnt mich die schlagende Glocke, daß ich schließen
muß, wenn der Brief zur Post soll.
Die Justitsräthin, 2 Onkel und 2 Tanten, so wie 2 Cou-
sinen grüßen Dich herzlich. –
Tausendmal umarme ich Dich und küsse den schönsten
zärtlichsten Mund.
Dein auf ewig. A.

Grüß an Assur – ich bin sehr froh über Deine Nachricht,
sehr froh – schreib aber bald wieder, letzt schien es
mir eine Ewigkeit, es war auch eine daß Du nicht
schriebst. S. hat eine Stelle als Lehrer –
aber sehr gute Aussichten durch Prösch. –