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Brief von Amalia Schoppe an Rosa Maria Assing

Burg auf Fehmarn, 29. Oktober–20. November 1813
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 230 Schoppe Amalia, Bl. 66-67 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Amalia Schoppe
Empfänger/-in
Rosa Maria Assing
Datierung
20. November 1813
Absendeort
Burg auf Fehmarn
Empfangsort
Altona
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 190 mm; Höhe: 235 mm
Foliierung
Foliierung mit Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Paweł Zarychta; Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Erstdruck: Thomsen, S. 93–99.

Seite „66r“

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Assing
Burg d. 29ten Oct: 1813. Insel Fehmern

Theure einzige Rosa!

Kaum ist ein Brief von mir wohl in Deinen Händen und schon kann ich dem Drange
Dir zu schreiben nicht mehr widerstehen. Ich habe den ganzen Tag mit so trocknen,
ermüdenden Geschäften hingebracht, daß mein Geist sich sehnt endlich auch einmal
eine Berührung zu finden, und wo könnte er es anders als bei Dir?
Beschäftigung habe ich genug mit meinen 22 Kindern und einigen Knaben
denen ich nach den Schulstunden noch Privatunterricht ertheile; aber auch
nichts was mich ernst und freundlich anspräche. Selbst die ungemeine Vereh-
rung, wofür ich doch sonst nur zu empfänglich war, welche man mir hier
allgemein zeigt, macht keinen Eindruck auf mich – es läßt alles doch nur so kalt
so fürchterlich kalt wenn die himmlische Lebenssonne gesunken und die Sterne
alle mit Wolken verhüllt sind. – Manchmal kommt es mir vor als wäre
ich wie jene Phönicischen und Aegӱptischen Fremdlinge nach Griechenland
gekommen um meine Kunst und Wissenschaft wie sie mitzutheilen –
wenigstens bin ich so hier aufgenommen, auch gleichen meine trauten
Insulaner jenem herrlichen Volcke in leichter Fassungskraft und Lebhaf-
tigkeit des Geistes und der Phantasie vollkommen. Ich wünsche es mir so
oft daß Du einmal ihre Kopf- und Handarbeiten sähest, die Gluth womit sie alles
umfassen, den Fleiß womit sie alles zu behalten streben, und Du würdest mich
beneiden sie zu unterrichten. Dabei die gesunden, freundlichen, zum Theil schönen
Gesichter, die passende kindliche Kleidung die der unsrigen an Modernität nicht nachsteht,
die heilige Güte und Unschuld, das durch keine Eitelkeit berührte und verletzte Gefühl
der Demuth und des frommen Glaubens – o Rosa hier giebt es noch heilige Kinder!
Mehrere von meinen Bekannten kommen zuweilen während der Schulstunden um
sich des lieblichen Anblicks meiner Mädchen zu erfreuen, die ihre Arbeiten ohne Ziere-
rei eben so ruhig fortsetzen als wenn sie alleine mit mir wären, eben weil ihre
reinen Herzen durchaus keine Ansprüche machen. Lucie läßt meine kleinen Mädchen
lesen und stricken und ich unterrichte die größern. Unter allen meinen Mädchen
zeichne ich Dir aber vorzüglich meine kleine Cousine, Marie Hammer, die Tochter
meines Vetters, des Probsten aus – ich habe nie ein Kind gesehn welches mit dem
Kopfe so weit vorgerückt und mit dem Herzen so rein und kindlich geblieben wäre –
Denke Dir, sie übersetzt die Reisen des jungen Anercharsis in Griechenland
gewiß
eins der schwersten franz. Bücher, da oft philosophische Betrachtungen unter die Geschichte
gemischt sind, mit einer Fertigkeit als wäre es ihre Muttersprache und diese schreibt
sie so richtig wie es nur immer möglich ist. In allen andern Wissenschaften ist sie

Seite „66v“

verhältnismäßig weit, ja sie kann was sie sieht und will, und sie will alles was sie sieht. –
Dabei liegen alle großen und schönen Eigenschaften in ihrem Charakter, sie ist dankbar, treu, liebend,
aufrichtig, wahr, nachgebend und so wenig eitel auf ihre ausgezeichneten Vorzüge und glänzen-
den Talente daß sie heimlich allen andern Kindern nachhilft wenn diese Fehler machen wollen.
Die Anschauung dieses Kindes söhnt mich ganz wieder mit unserm verderbten Zeitalter aus –
es kann kein ganz böser Aufenthaltsort unsre Erde sein wo solche Kinder sind. Die Justitsräthin Sch:
die seit beinahe 4 Jahren im Hause meines Vetters lebt, versichert mich, nie etwas von Marie ge-
sehn zu haben was sie hätte streng tadeln können – das will doch viel sagen. –

Wenn Du einmal wieder beim Ausschneiden bist, so denke auch an meine beiden Cousinen, Marie und Lotte,
Beide werden ausser sich sein das unbedeutendste Bildchen so zu erhalten, denn Deine beiden Stücke
von letzt haben sie fast mit den Augen verschlungen und mit recht heißer Sehnsucht betrachtet. –

Sonntag den 31ten Oct. Abends spät. –

Ich habe meine Arbeiten für die lateinische Stunde – Du mußt wißen daß ich von meinem Vetter in die-
ser Sprache alle Woche 4 Stunden Unterricht erhalte – vollendet und eile noch zu Dir, meine beste süße
Rosa! Mein Ofen ist so schön heiß noch und draussen klirrt die Wetterfahne vom heftigen Winde so
laut, daß ich einmal wieder so recht das Gefühl der Behaglichkeit habe, was solcher Zusammenfluß von
Schauer und Wonne immer mir sonst gab. – Alle sind aus, sogar mein Mädchen – ich war auf
einen Kindtaufsschmaus gebeten, konnte mich aber nicht entschließen in einer Woche mich
zweimal der Gesellschaft aufzuopfern, da ich meinem Vetter, der mich durchaus hinführen wollte
und noch mehr der Justitsräthin zu Gefallen, die auch nicht gehen wollte wenn ich nicht ging, mit
auf den Ball am Geburtstage der Königin mußte – das sind so meine schmerzlichsten Stunden
und das Schiksal schenke mir nur Ruhe und Einsamkeit mich wieder zu fassen und zu besinnen.
Dieses fröhliche tanzlustige Volck kann nicht begreifen wie man so dasitzen kann und das Tanzen ansehn ohne
Theil daran zu nehmen – sie würden tanzen und gälte es den letzten Athemzug – Sie haben auch noch
nie in das kalte Antlitz des Schmerzes gesehn, das wie das Medusenhaupt alle warmen Lebenstriebe
stocken macht, darum können sie tanzen und fröhlich sein – bei mir zeugen nur heiße Thränen
noch von Wärme und Leben und wohl mir daß sie fließen!

An Ihn.

Wohl hatt’ die Sünd’ einst alle Welt entzweiet,
Doch reines Blut floß hin aus großer Liebe,
Da keimten wieder freier schönre Triebe,
Und Nacht und Dunkel waren schnell zerstreuet.

So scheint es mir wenn meine Thränen fließen,
Sie müßten alle Deine Schuld versöhnen.
Du kannst nicht mehr das Heilige verhöhnen,
Da so viel Naß ich muß um Dich vergießen.

Denn diese Thränen die so glänzend scheinen,
Sind Blut so meinem Herzen heiß entflossen.
Ich hab’ um Dich schon alles fast vergossen:
O werde gut! Bald kann ich nicht mehr weinen.


1.
Wohl in der Freude Gewühl, geht Demut und Glaube
uns unter –
Denn nur der Schleier der Nacht, ist ja mit Sternen
besät. –

a.
Darum strebt ewig das Große sich zu vereinen dem Schönen,
Weil was der Stärke gebricht Schönheit, die zarte, ergänzt.
2.
Warum so finster das Grab? der Tod so
ernst und so schweigend?
Schauet, Aurora enthebt nur sich dem
Schauer der Nacht!

b.
Und es giebt sich so gern die Schönheit der Größe
zum Preise,
Weil in des Lebens Gewühl gänzlich gebricht
ihr ein Stab. –

Seite „67r“

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An meinen Vetter zum Geburtstage mit einem Buche.


Wohl lang ist sie die schöne Zeit entronnen,
Wo Muth und Kraft für Recht und Glauben stritten;
Der Glaube ist verbannt in niedre Hütten,
Das Thun der Kraft, es scheut das Licht der Sonnen.

Viel anders war die schöne Welt gestaltet,
Da aller Völcker muth’ge Heldensöhne,
Im Glanz der Jugend, Kraft und holder Schöne
Des Glaubens mächtiges Panier entfaltet.

Ja schöner zeigten sich des Thales Brüder
Wenn sie, vom Geist der Demuth angetrieben,
Dem Heldengeist das Schwerste auszuüben,
Am Krankenbett sich pflegend ließen nieder.

Doch ist auch manche Blüte abgebrochen,
Und manche Knospe durch die Zeit geknickt,
Noch giebt das Leben was es kränzt und schmückt;
Nicht alle Früchte hat der Wurm zerstochen.

Noch wird auf unsrer weiten großen Runde,
Manch edles Herz erhoben und erfreut,
Noch werden Blüten durch die Lieb’ gestreut,
Und Wonnethränen schenkt so manche Stunde.

So sei auch Du gegrüßt im Licht der Sonne,
Und freue Dich der bunt bekränzten Welt!
Sei lang der Stern der sie verschönt und hellt;
Sei Deiner Lieben Du, sie Deine Wonne. –

An Lucie Scholtz mit einer Zikade.


Da meine Lei’r ein böser Stoß zertrümmert,
Und ich nicht ferner kann Dir Lieder singen,
So muß es meinem heißen Mühn gelingen,
Dich zu entschäd’gen die darob bekümmert.

Mit eigner Hand hab ich dieß Haus gezimmert,
Auf daß der Sänger nimmer kann entspringen
Der Dir in Zukunft soll die Ständchen bringen,
Die meiner Laute Tod Dir sonst gewimmert.

Vergönn dem Närrchen Deine liebe Nähe
Doch bitt ich Dich halt den Propheten ferne – *
Sonst singt er nie Dir mehr beim Licht der Sterne –
Ein Sprung, ein Griff bringt ihm ein ewig Wehe. –

[Amalia Schoppe]* Der Prophet, ein Laubfrosch den Lucie im Glase als Wetterverkünder
aufhebt. – –

Zueignung an Rosa


Dir, Theure will ich meine Lieder weihen
Die Du voll Huld der zarten Keime pflegtest
Mit ihren Mängeln sanfte Schonung hegtest,
Dir sollen sie zum Kranze all sich reihen.
Ist dieß Geschenk gleich arm und klein zu nennen,
So ist es doch das beste meiner Habe,
Mein Trost, mein Hoffen, meine schönste Labe

Seite „67v“

Wenn halbvernarbte Wunden schmerzlich brennen.
Zwar geb’ ich nur was ich von Dir empfangen,
Denn Du allein enthülltest einst mein Wesen;
Von vielen Träumen bin ich nur genesen,
Weil ich schon jung an Dir voll Lieb’ gehangen.

Was Wissenschaft und Kunst mich auch gelehret,
Stets muß es dem was Du mich lehrtest weichen:
Du gabst mir Liebe – jene todten Zeichen,
Berechnungen die gern mein Herz entbehret.

Drum soll, wenn ich vor Dir zum Licht gegangen,
Was ich gedichtet, lernte, liebt und litte,
Dieß sei noch sterbend meine letzte Bitte,
Nur Deine Hand und Deine Lieb’ empfangen.

d. 20ten Nov. 1813.

Jetzt ist es Sommer gewesen – der Winter behauptet sein fürchterliches Recht
Alles zu erstarren – mir ist als wäre ich am Nordpol eingefroren – so kalt, so
tod, so leer alles! Du mir fern, meine Rosa aus dernen himmlischen Nähe ich
lebenathmende Wärme sog – o daß Du so fern sein mußt! Alles an mir
gerinnt zu Eis, all die lebendigen Gefühle, alle Träume und Töne, alle Blüten,
und Ranken, alle Schmerzenslaute selbst sind mit einem kalten giftigen Rauche
überdeckt und der Stachel im Herzen drükt sich immer tiefer ein. –

Lang habe ich mir vorgenommen Dir keine Klagen mehr zu schreiben, aber immer
werde ich durch dieses drükkende Gefühl der Abgeschiedenheit wieder hingerißen –
ich muß – o wohl jeder Mensch muß Eine Stelle haben wohin er das Haupt legt
wenn das Herz im Todeskampfe bricht, Einen Busen worin er die letzten Thränen
und Seufzer schüttet, Eine Hand die ihm den Todesschweiß von der Stirne trocknet –
so ganz allein, das hieße sterben im Sterben. – Nur an Deinem Herzen, nur
in Deiner Nähe kann ich dem Dasein eine lieblichere Seite abgewinnen –
so vergehe ich, und ach! ohne Dich, die ich so über Alles liebe. – Nein, meine Rosa,
keine Klage mehr – das hast Du nicht um mich verdient daß ich auch Dein schönes
Leben vergifte. – Du fürtest Freude und Wonne in dieses Herz und ärndtest
Schmerz und Thränen – weh mir! –