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Brief von Amalia Schoppe an Rosa Maria Assing

[Hamburg], 28. Juli 1823
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 230 Schoppe Amalia, Bl. 112 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Amalia Schoppe
Empfänger/-in
Rosa Maria Assing
Datierung
28. Juli 1823
Absendeort
Hamburg
Empfangsort
Hamburg
Umfang
1 Blatt
Abmessungen
Breite: 195 mm; Höhe: 230 mm
Foliierung
Foliierung mit Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Paweł Zarychta; Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „112r“

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[Ludmilla Assing]1823.
Liebe Rosa!

Deinen Herrn Bruder
verfehlt zu haben, ist mir sehr unangenehm; doch da ich, wie ich Dir
vorher sagte, wegen des am Sonnabend einfallenden Geburtstags meiner Mutter vom
Freitag Abend spät bis zum Montage draußen war, konnte ja auch von einem
Zuhauseantreffen nicht füglich die Rede sein. Ich danke ihm also für die mir
erzeigte Artigkeit, sich durch eine Karte bei mir verewigt zu haben und würde
sie mit einer gleichen Gegen-Höflichkeit erwidert haben, wenn ich nicht vorweg
ihm die Visite schon bei Dir gemacht hätte. So kann ich ihm nur durch Dich eine
glükliche Reise wünschen lassen und ihn um ein freundliches Gedenken bitten,
welches hiemit geschieht.

Deinen Wunsch in Hinsicht der beiden Actien kann ich nicht mehr erfüllen, denn
mein Freund Harder hat sie gewiß gleich in das Register tragen lassen und Eure
Namen schon nach Dresden eingesandt; so würde ich ihm viel Schreibens und
viele Mühe verursachen, wozu die Sache zu gering ist; ist sie ohne diese noch zu redres-
siren,
so rechne darauf, daß ich Sorge dafür tragen werde, daß es geschehe. Wenn
das nicht ist, so mache ich Dir den Vorschlag, die Hälfte des möglichen, aber
nicht wahrscheinlichen Verlustes der beiden Actien mit Dir zu tragen, wenn die
nächste Dividende nach Jahresfrist solchen ergeben sollte; da nur im schlimmsten
Falle der fünfte Theil der Summe verloren gehen kann, wie man die Ein-
richtung getroffen hat, so wäre der Verlust immer gering, besonders wenn
wir ihn theilten und ich gestehe Dir, daß es mich für Dich und für mich, die ich un-
schuldig Veranlassung zu Deinem frühern Entschlusse gab, nicht angenehm sein
würde, meinem wackern Freunde so unschlüssig zu erscheinen; uns Frauen sagt
man es ohne das zur Ungebühr schon nach, daß wir wanckelmüthig seien.
Die Sache ist ohne alle Gefährde, man verzinset Dir Dein Capital mit 4 pro
Cent und Du hast die wahrscheinliche Aussicht, zu gewinnen; ich lege Dir eine
Auseinandersetzung der Unternehmung bei, die ich mir geben ließ. Bekomme
ich so viel Geld ein, um eine Actie zu kaufen, so bitte ich Dich, mir die Deinige
dann abzutreten, denn ich liebe solche Speculationen, wie Du weißt, wie
ich auch das Kartenspiel liebe, worin beständiges Glück mich anlächelt. Alle
solche Dinge erhalten das Leben frisch und ich mag nicht, daß es stille steht;
ich muß immer thätig eingreifen, es mir zum Theil selbst bilden, denn nur dann
kann ich mich glüklich fühlen; alle Gleichgültigkeit ist moralischer Tod und der ist
schlimmer als phÿsischer, der schon bös genug ist.
Ich habe schöne Tage in rascher Thätigkeit und im Genusse des köstlichen Wetters
verlebt und kehre nun kräftig an Leib und Geist in die enge, dumpfe Stadt zurück;
ich muß viel, viel wieder arbeiten und so werde ich mir die Freude versagen
müssen, Deinen Bruder vor seiner Abreise noch zu sehen; aber meine besten
Wünsche begleiten ihn und sein ferneres Lebensglück. Es hat mich ungemein
gefreut, trotz der Ungebühr, ihm zuerst meine Visite machen zu müssen, um
ihn zu sehen, ihn gesehen zu haben, und die mit ihm verlebten Stunden wer-

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den mir werth in der Erinnerung sein, wie es mir alles Gute und Schöne
ist, das mir schon in meinem reichen Leben begegnete. Besonders interes-
sant war es mir, ihm so ganz anders gegenüber zu stehn, als sonst und mich
ihm, vor dem ich sonst eine Art von Furcht hatte, im traulichen, offenen Ge-
spräche ganz rüksichtslos und furchtlos hingeben zu können; das gab mir in
diesen Tagen manchen Stoff zum Nachdenken und zum Forschen in meinem
Innern und solcher ist mir immer lieb.
Es ist fast Mitternacht und so werden diese Zeilen Dich erst morgen treffen;
ich kam erst gegen 9 zu Hause und fand da gleich so manche häusliche Be-
schäftigung, daß ich mich erst so spät zum Schreiben niedersetzen konnte;
der morgende Tag bringt wieder Arbeiten in Fülle und ich werde nur
Augenblicke mein nennen können.
Schlaf denn sanft und süß, meine geliebte Rosa und gedenke freundlich

Deiner Amalia.

Montag d. 28t. Julÿ um 11 ¾ Uhr.