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Brief von Amalia Schoppe an Rosa Maria Assing

Burg auf Fehmarn, 2. Februar 1817
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 230 Schoppe Amalia, Bl. 93-94 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Amalia Schoppe
Empfänger/-in
Rosa Maria Assing
Datierung
2. Februar 1817
Absendeort
Burg auf Fehmarn
Empfangsort
Hamburg
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 197 mm; Höhe: 230 mm
Foliierung
Foliierung mit Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Paweł Zarychta; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Erstdruck: Thomsen, S. 134–137.

Seite „93r“

93

Burg, d. 2ten Febr: 1817.
(Sonntag)

Der lebhafte Wunsch, mit Dir theure Rosa, ein Stündchen zu plaudern, giebt mir die Feder in die
Hand, obgleich ich eigentlich einen Brief von Dir erwarten sollte und dürfte; – im Schreiben muß
ich es nun einmal so streng nicht nehmen, wie Du in manchen andern nicht mit mir, und immer
fühle ich mich noch Deine demüthige Schuldnerinn.
Freue Dich nun aber vor allen Dingen mit mir des neu mir geschenkten Lebens – ja liebe Rosa,
mit Einem Fuße stand Deine Amalia in Charons Nachen und wenig Minuten so wäre der alte
Fährmann mit mir davon gegangen; Denke Dir, ich hatte wieder einen heftigen Anfall des
Nervenfiebers. Die wüthenden, Sinn betäubenden Kopfschmerzen und die wilden Fantasien
dieser Krankheit kennst Du, Gottlob! nicht, aber sie sind fürchterlich, und Gott bewahre
jeden Menschen davor! Noch bin ich erst eben im Anfange der Genesung und gleich schwach
an Geist und Körper, aber alle Krisen sind vorüber und keine Gefahr vorhanden. –
Zum Glück hatte ich im Fieber meist liebliche Bilder – so sah ich Euch alle und hielt große
Reden an Euch – die Justitsräthinn, welche nicht von mir wich, war oft Rosa, und mein
wackrer Vetter Chemnitz, mein Arzt, Assing; wenn ich mich besann, war ich recht betrübt,
daß das nun alles nichts gelten sollte. –
Aus Hamburg bekomme ich nun Madaira und alten frz: Wein zur Stärkung, da soll
es denn bald wieder frisch vorwärts mit meinen Geschäften gehn, und Charon bekömmt mich
gar nicht, vielleicht aber Liber
, denn wer weiß, ob mir der Wein nicht so gut schmeckt,
daß ich mir den Trunk angewöhne. –

Zum Julÿ komme ich nach H. – so steht es im Buche des Schiksals – Du schüttelst den
Kopf? – O hoffe vielmehr, daß es mir besser als bisher gehen wird – bedenke daß
ich von Euch allen, von Gatten, Vater, Mutter und Geschwistern getrennt hier in unsäg-
licher Arbeit leben muß, daß die Justitsräthin zum ltn Mai auch die Insel ver-
läßt und mein Liebe bedürfendes Herz dann ganz verlassen trauern muß. – Sch. und
ich, wir haben uns beide so fest vorgenommen uns glüklich zu machen und ich bin mit so
vielem Muth und guten Willen ausgerüstet, daß ich nicht zweifle, daß es gehn wird.
Zudem zeigte mir diese Krankheit, daß mein Körper der Ruhe, Pflege und Erholung be-
darf – noch ein Jahr solche Anstrengung und ich würde nicht mehr sein –
Zudem bin ich der Meinung, daß Sch. nicht eher mit seinen Finanzen in Ordnung
kömmt, als bis eine Frau sie lenkt – ich sammelte in den vier Jahren, die
ich hier den Hausstand führte, freilich durch manchen Schaden, Erfahrung genug
in dieser Hinsicht und hoffe, daß es uns mit Gottes Hülfe gelingen wird einen or-
dentlichen und christlichen Hausstand zu führen. – Zudem erscheint es mir immer
grausamer, daß ich dem Gatten und Vater sein Weib und Kind entziehe, nach de-
nen er eine so unendliche Sehnsucht trägt: wenigstens müßte ich ihm zum Som-
mer seinen Sohn zum Troste seiner freudlosen Einsamkeit senden – und wie
könnte das Mutterherz in die Trennung von diesem willigen, ohne vor Schmerz
zu vergehen? – so ist es beschlossen, ich folge meinem guten oder bösen Schiksale
und ziehe zu Euch. –

Seite „93v“

Wo ist Friedericke Lichtenstadt? ist sie glüklich in ihren Verhältnissen? Ich habe es mir
gedacht, daß sie hier vielleicht leben möchte – wenigstens wäre sie dann ganz unabhängig
und meine Schüler und Schülerinnen würde ich ihr alle verschaffen können. Oder weißt
Du sonst jemand, der sich nach einem stillen Ankerplatze sehnt? – Französisch und Musik
sind aber nothwendige Bedingnisse – alles andre fände sich leichter – doch Deut-
sche Sprache darf nicht fehlen. Ich bitte Dich, mir hierauf, besonders auf die
Anfrage um Friedericke recht schnell zu antworten, denn die Eltern meiner
Kinder wollen durchaus meine Stelle wiederbesetzen, und gar lange dürfen sie
nicht damit zögern. – Es ist immer annehmlich, sich so frei und ungebunden
ansiedeln zu können – Gewiß, ich wäre nie von hier gegangen, wenn mich nicht
höhere Pflichten riefen, und bei etwas Genügsamkeit kann ein Jeder hier glüklich
sein. Freilich kann man hier keine Summen wie in einer großen Stadt verdienen,
aber dagegen sind alle Bedürfnisse ganz unbeschreiblich wohlfeil; so kostet z. B.
die Butter hier 5 ß – das schönste Kalbfleisch 3 – oft zwei ß. Fische, Getreide,
etc. sind ungeheuer wohlfeil – für 2 ß. Dorsche gebrauche ich für meinen
Hausstand, der aus 5 Personen besteht – Dabei werden mir so viele Geschenke
an Victualien gemacht, daß ich oft nicht durchfinden kann – also leben muß
man hier können, wenn man fleißig ist, das kannst Du einsehen. –
Bitte, liebe Rosa, beantworte mir diese Fragen, ich habe den Eltern meiner
Kinder versprochen, deshalb an Dich zu schreiben und sie erwarten mit Ungeduld
eine Antwort; leg diesen Brief nicht so bei Dir nieder, wie Du mit meinen
andern thust! –
Ich weiß jetzt immer so wenig von Dir – wenn doch der Geist der Schreiblust Dich
nur bis zum Julÿ beseelte – aber daraus wird wohl nichts werden, und ich
werde nur Gott danken müssen, wenn Du mir nun gleich antwortest –
das will ich denn auch, wenn Du nur schreibst. –
Eigentlich, beste Rosa, kann ich heute auch gar nicht schreiben und habe doch
so große Lust dazu – ich singe wie der Schäfer: Hier liegt ein König.“

und komm gar nicht weiter. Es muß einem wunderbar im Kopfe nach ei-
nem solchen Nervenfieber aussehn – bei mir sind alle Gedanken wie
aufgeräumt und ich muß mir wohl erst neue wieder machen.
Zu dem Ende habe ich die drei Theile des Wunderhorns
mir von meinem
Dr. Chemnitz geliehen und sie zu meiner Lec[t]üre gemacht, denn etwas an-
ders kann ich gar nicht vertragen.

(Ns. Wie mich der Tintenklecks ärgert, kann ich Dir gar nicht sagen!!!)

Seite „94r“

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Gedichte mache ich gar nicht mehr – ich werde wohl nimmer Rosa – aber leider! –
P. R. O. S. A.! Zudem liegt mir wieder eine Geschicht-Sünde
auf dem Herzen – denke Dir!!! ich habe wieder eine geschrieben. Nein,
wie das nur möglich ist, begreife ich gar nicht, es ist als wenn alle Teufel in
mich gefahren sind – dieses Sündenkind heißt:


das Motto: –


Die böse Frucht des Unrechts ist – das Leid. –

Die Geschichte ist Dir vermuthlich aus Friedericke L’s Munde bekannt, die auch die
Polonaise
spielt; bitte sie doch, mir diese abzuschreiben, ich will sie gerne der
Geschichte anhängen, die Ihr zu seiner Zeit auch kritisiren sollt – gewiß ist es, daß
sie noch schlechter als die andern beiden Geschichten ist – Ich kann es mir selbst
nicht verzeihen, sie geschrieben zu haben, aber sie lag mir seit 8 oder 9 Jahren
im Kopfe und ich mußte sie los sein.
Dir habe ich aber noch immer etwas von einem vaterländischen Genie zu erzäh-
len, welches ich Dir verbürgen kann, da es mir der General Supperintendent
Adler selbst erzählte.
Ein Student, Namens Steenschwank, der Theologie in Kiel studierte, von
dort religirt ward, weil er viele Thorheiten beging sitzt eines Abends
vor einer Reisebeschreibung Italiens und liest eine pompöse Beschreibung
Roms. Da wird das Genie von solcher Sehnsucht ergriffen, die herrliche Stadt
zu sehn, daß er seine wenigen Kleider zusammennimmt, sie nebst seiner
übrigen fahrenden und liegenden Habe bis auf Einen Anzug verkäuft, seine
Schulden bezahlt und sich auf den Weg nach Italien macht – er hat
zu dieser Reise – 5 Thaler in der Tasche. Nach unzähligen Aben-
theuern kömmt er vor Rom an – setzt sich auf einen der Hügel vor der
Stadt, bricht vor Wonne und Entzücken in einen Strom von Thränen aus
und bleibt bis es Nacht wird sitzen. Jetzt fällt ihm ein seine Baarschaft
zu überzählen – was hat er verbraucht, um von der Insel Alsen,
im Osten des Herz: Schleswig bis nach Italien zu wandern? –
2 Thaler 24 ß.! – Nein, sagt er, in Rom hinein darfst

Seite „94v“

du nicht gehn, sonst kämst Du nicht mit dem Gelde aus. Nachdem er den Mond
und die Sonne hat über Rom leuchten sehen, nimmt er seinen Wander-
stab, pfeift ein frohes Lied und – geht nach der Insel Alsen zu-
rück – ohne gebettelt zu haben, denn dazu ist er zu stolz – mit
seinen drittehalb Thalern. Seine letzten zwei Schillinge giebt er an
den Fährmann, der ihn nach der Insel mit andern Passagieren übersetzt,
und da er nun den heimischen Boden betreten, giebt er sich einem Bauern
als Knecht, dem er treu und fleißig, froh wie ein Gott und das Herz
voll von Rom dient. Nach einiger Zeit gab er ein kleines Büchlein,

in Hebels Manier heraus, das viele tolle und thörichte Sachen, aber
auch unendlich viel herzerhebende enthält. Die Klugen und Vernünf-
tigen im Lande nennen ihn unklug und wahnsinnig – Adler meint
aber mit mir, daß er diese alle bei weitem übertrifft – daß er ein
unbeschreiblich glüklicher Mensch ist, davon bin ich überzeugt, und das
sagt er auch Jedem. –

Die Geschichte, zumal da sie durchaus wahr ist, wird Dir und Assing Freu-
de machen – mich dünkt, man könnte Steenschwanks Wanderun-
gen schreiben, es müßte ein herrliches Buch geben. Fürchte nur nicht,
daß ich mich daran mache – das müßte Göthe und nur Göthe schreiben.
Ich glaube, daß ich ihm die Geschichte schreibe, und ihn bitte, uns eine
köstliche daraus zu machen. –

O mein Gott, da sind 4 Seiten voll – da muß ich wahrlich schließen.
Dein Assing ist herzlich gegrüßt: sag ihm, daß ich ihn sehr lieb habe,
und auch will daß er mich lieben soll. –
Gott wird mir wohl bald meinen Verstand wiedergeben, und dann
will ich auch besser und verständiger schreiben; nun mußt Du schon
so fürlieb nehmen.

Vale!

Amalia.