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Brief von Amalia Schoppe an Rosa Maria Assing

Burg auf Fehmarn, 4.–16. Juni 1816
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 230 Schoppe Amalia, Bl. 87-88 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Amalia Schoppe
Empfänger/-in
Rosa Maria Assing
Datierung
16. Juni 1816
Absendeort
Burg auf Fehmarn
Empfangsort
Hamburg
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 205 mm; Höhe: 242 mm
Foliierung
Foliierung mit Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Paweł Zarychta; Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Thomsen, S. 125–127.

Seite „87r“

87

Burg, d. 4ten Juny 1816.


Meine theure vielliebe Rosa!

Ohne erst Deine Aufforderung abzuwarten, hatte ich Dir zu Deinem Geburtstag ge-
schrieben und ein kleines Geschenk, welches Dir aber lieb sein wird, weil es so
ganz allein von mir abstammt, mitgesendet;
da ich aber Deine Wohnung
nicht wußte, war ich genöthigt, das Packet an S. zu schicken, und muß jetzt
vermuthen, daß dieser Verhinderungen hatte und es Dir noch nicht über-
gab. Jetzt, Du Geliebte, ist mein Sangkönig
, das Lieblings- und Schooß-
kind meiner Muse, nebst der ältern Schwester Hertha
gewiß in
Deinen Händen und passirt die sanfte Censur der Nachsicht und Liebe.
Obgleich ich viele vergebliche Versuche machte, meine Sagen, nebst einem
Theile der Gedichte zum Drucke zu befördern, gebe ich die Hoffnung noch
nicht ganz auf, diesen Wunsch erfüllt zu sehn, und bitte Dich, so
wie den sehr lieben Assing, mir Eure Meinung darüber so recht
bald zu sagen, ob ich Anspruch daran machen darf, als Schriftstel-
lerinn aufzutreten, und wie dieses ins Werk zu richten sei?
Obgleich ich manches Lob eingeerntet, und das von Männern die ich wegen
ihrer besondern Kenntnisse in Hinsicht der Poesie und des Geschmaks ver-
ehre, so ist mir doch noch immer ein beklemmender Zweifel geblieben,
ob das was ich schrieb einigen Werth habe, und nicht vielmehr das rohe
Product einer ungeregelten Fantasie und eines irregeleiteten
poetischen Feuers, als die Ergießung eines gebildeten Geistes sei. –
Darüber, meine Freundinn, verlange ich nun Dein und Deines Gelieb-
ten strenges aufrichtiges Urtheil, um hernach, sollte es günstig
ausfallen, mit Euch zu berathen, wie ich einen ordentlichen Ver-
leger für mein Werkchen finde; indeß nimm Du das Ganze un-
ter die Flügel Deiner bewunderungswürdigen Ordnung, damit
es mir wenigstens nicht verloren geht.

[Amalia Schoppe]NS. Ich lege Dir einige Gedichte, die ich zurück behielt, mit bei, damit
Du, nicht ich die Auswahl dessen treffen könnest, was gedruckt
werden soll; das mit dem Kreuze bezeichnete gehört zu den Liedern
zur Hertha! Leb wohl! –

Seite „87v“

Wie sehr ich mich Deines Glücks gefreut und freue, brauche ich Dir nicht zu sagen,
da Dir ja jeder Brief es wiederholen muß, wie theuer Du mir bist, und wie Dein
Geschick mit meinem Glücke so innig verbunden ist.
Wohl begreife ich es, wie die Verbindung mit Deinem Freunde Dich ganz beglücken,
ganz ausfüllen muß
– seufzend betraure ich es, daß mir bis jetzt das
Glück nicht wurde – ach wer weiß, ob eine Vereinigung mit S. jetzt, nach
so viel Stürmen, alle meine Wünsche noch erfüllen kann?
Aber habe ich nicht mein Kind? darf ich trauern, Rosa? Wie dieses klei-
ne Geschöpf mich ganz ausfüllt, ganz beglückt, kann ich Dir nicht beschrei-
ben! Mit ihm herumzugehn, ihm die Blumen des Feldes zu nennen,
sein Staunen über neue ungewohnte Gegenstände, das Erwachen seines
Geistes zu belauschen, gewährt mir ein Entzücken, dem nur die Freude
der Engel im Himmel an Größe gleich sein kann.
Im nächsten Monat, d. 7ten July wird er nun schon drei Jahr alt –
aber er ist auch schon ausserordentlich klug!
Nun lächelst Du gewiß, Rosa, denn kann man wohl seine Kinder und
seine Schriften selbst richtig beurtheilen? Vielleicht fändest Du meinen
Karl – so heißt er jetzt anstatt Adalbert, weil die Leute hier den
letztern Namen nicht kennen und aussprechen können, – ganz
abscheulich – Gott weiß es, ob er es ist! mir sagt man, er sei
sehr liebenswürdig.
Daß die Bekanntschaft der interessanten Fannÿ Tarnow Dich sehr
erfreut hat, kann ich mir um so lebhafter denken, da ich grade im
letzten Monat eine Frau kennen lernte, auf welche Deine Beschrei-
bung wörtlich paßt. Es ist eine junge Wittwe, die Frau eines
dänischen Majors, der Wilster hieß, den aber die Anstrengungen
im letzten Feldzuge tödteten. Vordem war sie eine der ersten
Schönheiten des Landes, und wie man sagt, die Geliebte – aber
in allen Züchten und Ehren, des interessanten und schönen Prinzen
Christian, der in Norwegen eine Rolle spielte, gewesen. –
Jetzt hat der Gram um den unaussprechlich geliebten Gatten
nichts als eine schöne hohe Gestalt und ein Paar Augen – nein,
ich sah sie nie so rein, so groß, so schön, so seelenvoll, so
veilchenblau, zurückgelassen. Sie hat sehr schöne Farbe ge-
habt, aber der Kummer hat sie sehr blaß gemacht, welches, nebst
der tiefen Trauer, ihrem Wesen ein unaussprechliches Interesse
giebt. Ohne gelehrt zu sein, ist sie sehr unterrichtet und bei
Caroline Rudolphie erzogen; ihr Vater ist der Kammerherr von
Rosen
in Ploen. –

Seite „88r“

88

Ordentlich überraschend war mir Deine Beschreibung von Fannÿ Tarnow, da
sie so ganz mit meiner neuen Bekanntschaft zusammentraf, und auch die Justits-
räthin
rief aus: das paßt ganz auf die Majorinn!
Ich glaube, daß ich Dir schon schrieb, wie mein Kammerherr ganz sterblich in
Dich verliebt ist,
und wünscht, daß Du seine herauskommenden Gedichte lie-
sest und beurtheilst; ich habe immer tausend und tausend Grüße an die
geliebte Rosa Maria, und er quält mich beständig darum, einen wieder
zu haben. –
Ist es aber nicht allerliebst, daß wir fast zu gleicher Zeit Frau Doctorinn ge-
worden sind? freut es Dich auch?
Gottlob! daß Minna Bertheau nicht Deine Freundinn geworden ist! Bekannte,
das laß ich gelten. Die type Wilster – sie kennt sie sehr genau – nannte
sie noch letzt eine unausstehliche Person; laß Dir von der Bertheau sa-
gen, ob Fannÿ T. und Lotte Wilster sich nicht ähnlich sehen.
Julchens Schiksal geht mir sehr zu Herzen – wie kann man es überleben, erst
einen geliebten Mann, und dann gar sein Kind zu verlieren!
die Arme! –
Aber liebe Rosa, nun wirst Du ja gar nicht zu mir kommen, nun Du einen
Mann hast? der liebe, gute böse, böse Assing!
Grüß ihn mir herzlich, wenn ich nicht Zeit finden sollte, ihm selbst einige
Worte zu schreiben.
Carl Adalbert, der auf einem schönen Steckenpferde, das in der Schlacht aber
den Kopf verloren hat, bei mir herumreitet, grüßt die gute Rosa Maria,
wie er sich ausdrückt, und bittet sie, bald zu kommen, sonst aber kömmt er
bald auf dem kopflosen Pferde zu ihr geritten. –
Sonntag über 8 Tage, d. h. den 16ten Juny habe ich doch einen Brief
von Dir, worin Du mir den Empfang meiner Unsterblichkeit meldest!
Ich bin wirklich unruhig, und werde mich nicht eher zufrieden geben, bis
ich Alles in Deinen Händen weiß.
Gott mit Dir, und Deinem Manne, den ich in mein Abendgebet ein-
schließen will, wie Du es schon lange bist!

In unveränderter Liebe
Deine Amalia S. –

Seite „88r“

Ihrer Wohlgeboren,


der Frau Doctorin Assing, geb.

Varnhagen.


1te Marienstrasse

Nor 150


Hamburg.