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Brief von Karoline von Woltmann an Rahel Varnhagen von Ense

[Prag], [zwischen dem 12. November 1814 und Juli 1816]
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 281 Woltmann Karoline von, Bl. 58-59 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Karoline von Woltmann
Empfänger/-in
Rahel Varnhagen von Ense
Datierung
zwischen dem 12. November 1814 und Juli 1816
Absendeort
Prag
Empfangsort
Wien
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 185 mm; Höhe: 240 mm
Foliierung
Foliierung in Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Agnieszka Sowa; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

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Sie wissen, meine liebe Rahel,oder vielmehr Sie wissen nicht, wie es geht,
wenn man indolent ist, und dazu noch viel zu thun hat. Man treibt in Ge-
danken, was man gern thäte, hat die Freude davon ohne Mühe, und auch
ohne Erfolg, wie bei dem meisten, was man ohne Mühe thut. So habe ich
vieloft in Gedanken mit Ihnen gesprochen, auf Ihren lieben Brief geant-
wortet, und Sie haben die Antwort nicht gekriegt, und ich keine darauf,
was ich herzlich wünschte. Vor einigen Tagen hat Ihr letzter Brief an
die Goldschmidt
mir aber Ihr Wesen und Ihre Art so lebendig vor
die Seele gebracht, daß meine Indolenz einen Stoß bekommen hat,
und ich wirklich den ersten Augenblick, wo es irgend möglich ist ge-
brauche um Ihnen zu schreiben. Ich danke auch für das Gefühl
was mir dabei wie die Sonne ins Herz geschienen hat. Die Gold-
schmidt dankt Ihnen auf die allerbeßte Art, sie erzählt, was Sie
ihr Gütiges gethan; erwirbt Ihnen Freunde, und macht andern Lust
zu gleichen guten Dingen. Das fatalste bei ihrem Mißgeschick ist,
daß es ohnfehlbar aus Neid andrer herrührt, die den Spuk angestif-
tet haben, und wer weiß noch was thun. Ich habe ihr gerathen ihr ganzes Institut
unter die Bürg-
schaft irgend eines angesehenen Paters zu stellen, damit sie vor allen
Wirkungen des Aberglaubens gesichert sei, und ihren Feinden impo-
niere: rathen Sie ihr doch ein Gleiches, es ist gewiß das beßte Mit-
tel ihren Credit zu erhalten, und ihr immer mehr kleine Pumper-
nickelinnen
zu schaffen. – Daß Sie in Wien leben würden, wie Sie leben,
dachte ich mir wohl. Wir leben hier ebenso; wenige Besuche, viel Ar-
beit und Gespräch. Eines, daß wir haben, wünschte ich Ihnen – eine

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ganz herrliche Wohnung in einem uralten Hause, hoch auf einem
Berge, abgeschlossen durch ein großes eisernes Thor vor dem still-
sten Hoff, von der ohnehin entlegenen Straße. Zimmer von einer
Höhe und Regelmäßigkeit, Mauern von einer Dicke wofür unsrer
Zeiten Leben keinen Maaßstab und kein Geld mehr hat. Vorn
steigt man drei und achtzig Stufen zu uns herauf, hinten treten
wir aus einer Flügelthür auf ebner Erde in den Garten, von
dem ein Pförtchen auf den Wall der Burg führt. Von den
Fenstern übersehen wir ganz Prag, die Moldau zu beiden
Seiten weit hinunter; der Niklasthurm
, der Thomasthurm
und
der Mond und die Sterne sind unsre Nachbarn; kein Geräusch
als das Läuten, das sich wie Wellenkreise um die Mauern
unses Hauses bricht. Rechnen sie dazu, daß die Zimmer gut
und freundlich tapezirt sind, daß wir gute Hausherrn haben,
die das ganze Jahr fast abwesend sind, was mich bei aller ihrer
Güte doch freut, daß wir nur 300 Gulden Zins zahlen, und
dafür Kisten und Kasten und Sophas und Meubles noch oben-
ein haben: so glauben Sie wohl, daß Prag uns ein andres Prag
noch ist, als vordem. Woltmanns sehr verbesserte Gesundheit
erhöhte unsre Zufriedenheit, seit wir hier in der Stadt nur
scheint die bitterste Sorge, der Krieg, ja auch von uns genom-
men zu werden, und so gleiten wir geruhsam eine Strecke
Leben ohne Pein und Noth dahin.
Varnhagens Erzählung
ist gedruckt, sie sieth zwar nicht so

gut aus wie geschrieben; aber ich freue mich doch sie da zu
sehen. Ich habe die deutschen Blätter
sehr lieb. In den beiden

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letzten Stücken wird mein Trauerspiel
gedruckt. Die ersten Bogen sind
auch schon fertig. Es gefällt mir, und gefällt mir nicht. Die Scenen
und Verhältnisse, wo das Gefühl nur wirksam ist, sind lebendig, die
Leidenschaft, leidet wirklich und schafft Leiden; aber die Combinationen
durch welche Männern oft alle Fügungen der gesellschaftlichen Verhältnisse,
im Widerspiel zu den Foderungen der Geister und Gemüther, so
klar seyn können, als hätten sie ihre Schmerzen und ihren Trost
selbst erfahren; die fehlen den Frauen im gleichen Grade und
Umfange, sobald es über die Kreise der Leidenschaften des Her-
zens hinaus geht. Ich mögte mit Voltaire sagen: pour faire
une bonne tragédie. e.c.t.
Schlegel Vorlesungen
lese
im mit Vergnügen. W. freut sich nicht eben so sehr darüber. Er
sagt: Du wirst Dir allerhand halbe Kenntnisse aufladen, die Dich
nur arrogant machen werden, weil Du glauben wirst, Du wis-
sest das Ganze. Ich merke wohl daß er recht hat, mache
mir aber nichts daraus. – Brentano ist in Berlin. Er hat
uns einen Freund hinterlassen, den wir sehr werth halten,
Hermann Leitenberger Ich nenne ihn gern den jungen Kauf-
herrn. Diesen Stand, mit seiner Bürgerlichkeit, Rechtlichkeit
und Umsicht, höher strebenden Verlangen und
Ehrgeiz, repräsentirt er uns gar angenehm. Der Graf
Sternberg dagegen den Adel, diese zwei und Dobrowsky
sind meine Lieblinge. Unsre übrigen Besuche sind recht ehren-

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und dankeswerth; aber sie machen uns auch manche ehren-
wehrte Langeweile. Herzlichst Adieu. Sehen wir uns
in Teplitz? Bleibt Friede, was ich von Gott am herzlich-
sten flehe, hoffe ich dort Alles, was ich lieb habe im Früh-
ling zu treffen.
Ihre K.

Herzlichen Gruß Ihrem Gemahl.