DE | EN

Brief von Karoline von Woltmann an Karl August und Rahel Varnhagen von Ense

Prag, 5. August 1817
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 281 Woltmann Karoline von, Bl. 41-42 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Karoline von Woltmann
Empfänger/-in
Karl August Varnhagen von Ense Rahel Varnhagen von Ense
Datierung
5. August 1817
Absendeort
Prag
Empfangsort
Umfang
2 Blätter (Doppelblatt)
Abmessungen
Breite: 205 mm; Höhe: 240 mm
Foliierung
Foliierung in Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Agnieszka Sowa; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „41r“

41

Prag den 5. August
1817

Ihren letzten Brief, lieben Freunde, bekam ich schon allein,
auch war er nicht
mehr an einen Lebenden geschrieben. Sie können denken, welch ein Verlust
aller Freude, aller Wünsche, aller Hoffnungen. Mein Wesen ist umgekehrt,
statt der Richtung vorwärts, sieht es jetzt nur zurück, und der Tod den
ich fürchtete, lächelt mir. Weiter kann ich nichts sagen, ich mag nicht viel
an die Wunde rühren. Kraft habe ich, Thätigkeit, und sein Andenken zu
stützen. Dies, hält die glückliche Gabe der Phantasie, mir immer gegen-
wärtig. Seit fünf Monathen lebte ich in einem Fieber von Angst, An-
strengung, Freude. Träume, ja mehr als Träume, ich könnte sagen Ge-
sichte, verkündeten mir immerfort dies Schicksal. Es ist unbegreiflich, wie
Woltmann noch leben konnte, so heiter, wenigstens augenblicklich, so thä-
tig mehrentheils. Ein Fistelschaden hatte ihm eine Rippe angefressen, und
die Brust bis gegen die Achsel in vielen Gängen unterhöhlt, sein Ma-
genmund war ganz zerfressen. Ein Nervenschlag tödtete ihn, als Folge
der Schmerzen der Operation die wiederholt werden mußte, und die er
augenblicklich sehr standhaft trug: aber die Nerven reichten nicht aus
für die Stärke seiner Seele, wodurch er in früher Jugend seinen schwa-
chen Körper gestählt. Unaussprechlich heiter ist mir der Gedanke, daß
er auch keinen Augenblick auf das Fernste den nahen Abschied von
dem Leben geahndet hat, das er sosehr liebte, mit vielen Plänen ge-
faßt hielt. „Ich bin heute so still, nehmen Sie es nur nicht übel, aber mir
ist so betäubt“, sagte er den Aerzten, als wir am 18ten stumm um

Seite „41v“

sein Bett standen. Daß er einen herrlichen Stern sähe, der auf sein
Sterbebett niederleuchtete, war das letzte, was er mir wenige Stunden
vor seinem Tode, mit aufleuchtendem Bewußtseyn beantwortete. Niemand
war bei ihm als ich und ein Chirurgus. Sein Kopf lag an meiner Brust,
alles war still und gefaßt, wie er es im Leben geliebt. Er phanta-
sirte über Deutschland, dann nur von Freunden seiner Kindheit, und
heitren Planen zu Reisen und kleinen Festen. Um fünf Uhr früh am
19ten Juni starb er. Hätte er doch Ihr Urtheil über seine Biographie

noch gelesen, es würde ihn so sehr gefreut und wohlgethan haben. Sie haben
ihn gekannt, beide, wie wenige Menschen; es gehörte viel Seele und Ge-
halt
dazu, ihm so nahe vertraut zu werden, und was wußte man
von seiner Liebenswürdigkeit, war man es nicht? Ich arbeite jetzt
einen Nachtrag zu seiner Selbstbiographie.
Wie oft fällt mir Ihr Wort
dabei ein, liebe Rahel, nur das rechte Gemisch von Härte und Weichheit
sei ehrwürdig und einträglich. So ist es wahrhaftig in allen Beziehungen
zu der Welt, doch nicht in den nächsten der Liebe und Freundschaft. Das
Manuscript erfreute Woltmanns letzte Tage sehr. Er zweifelte durch-
aus nicht an dessen Aechtheit, wegen der inneren Aehnlichkeit, des Gedan-
kenschreitens; wegen der Wiederholung des trivalen Satzes: on ne fait
bien que ce qu’on fait soi même
,
der in individueller Erfah-
rung ihm nie trivial, und immer nun ist; eil er glaubte, man könne
Jemands Gedanken allenfalls mit Wahrheit nachdenken, doch die seiner eigenthüm-

Seite „42r“

42


lichen gleichkäme, doch seine Empfindungen nicht also nachempfinden.
Seltsam wurde ich von einem andern Grunde für dessen Aechtheit
in diesen Tagen überrascht, als ich bei der Arbeit über Woltmanns
Leben den Anfang einer Geschichte Bonapartes
seit dem Jahre
1796 fand, und die Art sah, wie in den Berichten aus Italien der fran-
zösischen Armee gedenkt: mit eben dem Interesse, der Beobachtung und
Auffassung, die aus dem Manuskript sprechen. Es ist ein unglaubli-
ches Glück Jemand beseßen zu haben, deßen Geist man in so Allem
wieder antrifft, wie ich Woltmanns. Die Trennung ist nur in der
Sinnenwelt, und auch hier Schmerz und Bangen genug durch sie, im
Geiste ist keine, nur Unzertrennlichkeit und Freude. Wollte ich ausfüh-
ren, was ich berühre in diesem Brief, käme er nicht zu Ende; Sie, lie-
ben Freunde werden es sich selbst thun.
Wenige Stunden, nachdem sie Woltmanns Tod erfuhr, hat meine Schwe-
ster Marie eine Gelegenheit zu mir bekommen. Hier sind wir nun
beide. Ihre Trefflichkeit ist mir ein großer Trost. Wir lesen, leben,
plaudern, gehn Abends eine Viertelstunde spatzieren. Die Zeit, von
einem Gedanken erfüllt entflieht reißend. Schade ich meinen hiesigen An-
gelegenheiten, der Oberstburggraf hat sich um eine Pension für mich
verwandt, nicht dadurch, so werde ich den Winter über nach Berlin ge-
hen; es thut den weltlichen Verpflichtungen, die mir mein theurer
Freund zurückgelassen noth, obgleich ich mit Angst von hier scheide.

Seite „42v“

Sie, lieber Varnhagen könnten mir einen Dienst erzeigen, der für die-
se recht förderlich wäre. Ich will Woltmanns sämmtliche Werke her-
ausgeben,
sie tilgen nach einem mäßigen Ueberschlag seine Schul-
den, und was er hinterlassen reicht hin die erste Lieferung von
drei Theilen so schnell drucken zu lassen, daß sie noch in der Ostermesse
erscheint bezahlt werden muß, und so das Werk sich dann selbst im Fort-
gang fördert. Alle Hauptgläubiger haben meinen Entwurf ge-
billigt. In Hanau, wo der Kurfürst von Hessen nun endlich Woltmann
2/3 seiner Pension von 1100 Rth seit dem 1sten Jänner 1816 an zahlen
zu lassen, sich verstanden hat, haben wir vor einiger Zeit durch Roth-
schild
und Ballabene diese 2/3 vom 1sten J. 1816 bis zum letzten Aprill
mit 1817 mit 1038 Rth 43 X erhalten. Als ich die Quittung für
den Mai und Juni (es wird monathlich ausgezahlt) hinsende, erfolgen
sie zurück, weil der Mai schon bezahlt wäre, wegen des Sterbemo-
nathes Anfrage geschehen müße. Ich habe alle Quittungen geschrie-
ben, alle Rechnungen geführt, keine für den Mai geschrieben, nichts
empfangen. Es muß ein Irrthum bei den Kassen seyn, welcher daher
rühren mag, daß ich die Quittung für den Aprill vom 9ten Mai
datiert hätte. Geflissentliches Ableugnen, wäre zu schlecht um denkbar
zu seyn, und der Verzug der Summen hemmt mich. Schon vor 14 Tagen habe
ich deshalb an Hr. von Riese geschrieben; unterstützen Sie bei ihm mei-
ne Bitte, daß er die Sache untersuche und schleunig das Geld an Roth-
schild auf meine zum zweiten Mal zurückgesandten Quittungen
zahlen lasse. Es spricht hier Achtung für einen seltnen Todten mit
[Karoline von Woltmann]der Gerechtigkeit. Schreiben Sie beide mir bald, recht viel von Woltmann. Sie
erzeigen eine Wohlthat Ihrer Karoline.