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Brief von Helmina von Chézy an Karl August Varnhagen von Ense

Heidelberg, 7. November 1847
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 47 Chézy Helmina von, Bl. 268-269 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Helmina von Chézy
Empfänger/-in
Karl August Varnhagen von Ense
Datierung
7. November 1847
Absendeort
Heidelberg
Empfangsort
Berlin
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 175 mm; Höhe: 220 mm
Foliierung
Foliierung in Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Jadwiga Kita-Huber; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „268r“

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[Karl August Varnhagen]Helmina von Chézy.
Heidelberg 7 Nov. 1847.

Verehrter Freund!

Es giebt Beziehungen von unverwüstlicher Dauer – 
warum sie bezeichnen, wenn Zuversicht in uns lebt, daß
ein edles Herz nichts vergißt! Mein geliebter Max
starb 14 Dezember vorigen Jahrs, ein Opfer der Miß-
geschikke seiner unglücklichen Mutter. Er war stets
schwächlich, seit 1837 aber fortwährend an bedenklichen
Zuständen leidend, die er nicht genug beachtete – üble
Rathschläge verleiteten ihn in den letzten Lebensjahren
zu angestrengtem Portraitmalen in Aquarell, vergebens
flehte ich ihn an sein schöpferisches humoristisches Talent zu
volkszorne nach dem Leben zu üben, nicht als Sklav
der Laune des Publikums zu fröhnen, sondern
König an seiner Staffelei zu sei. Zu den 50 Louis-
d’or
, die der Wittwe eines Chézy von Frankreich
aus jährlich verabreicht wurde, u zu den 200 Thalern
mit denen Friedrich Wilhelm IV die Enkelin der

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Karschin vor gänzlichem Mangel schützt, welches
500 Thaler jährl. machte, wollte ich noch Alles
was ich besaß, hingeben, um meinen Sohn über
Wasser zu halten, daß Er gemächlich arbeite,
u durch seine Schöpfungen dann nach u nach rühmlich
gedeihe – Vergebens! Er reiste auf Bestellungen,
für elende Bezahlung, den Winter 1844 nach Carlsruhe,
eben so 1845 5 – u die folgenden Jahre, mußte jeden
Sommer in Wasser-Anstalten, deren Wirkung
seine sinkenden Lebenskräfte noch fristete,
aber auf seinen Reisen war er meiner liebe-
vollen, zweckmäßigen Pflege entzogen, u
das Blutgeld für seine gediegenen, entzückenden
Arbeiten gieng durch Reisen, doppelte Wohnung
u Prallereien drauf, indeß der Unglückliche
darbte – Zu einem Namen war er gelangt,

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gieng vorigen Sommer nach Baden , wo er dann 10 auch 12
Carolin für seine Bildnisse empfing, bei der ertödtenden
Hitze u schlechter Kost überarbeitete er sich, ich gieng
nach Baden, wohnte bei einer Freundin, lud ihn ein dort
mit mir zu speisen, er wollte nicht, kam im Spätjahr
aus der Wasser-Anstalt, die Hub
, kränkelnd, abgemattet,
malte noch mit der letzten Kraft-Anstrengung drei herrliche
Bilder, fühlte den Tod kommen, u verschied nach 18 Tagen
aller erdenklichen Martern – Ach! in Leiden, wie diese
ist’s Trost zu denken: Ich überleb ihn nicht lange!
Da bin ich nun in unbeschreiblicher Trauer, erschöpft von all meinen
Opfern für das Wol der meinigen – durch Poleys Leichtsinn bin ich
um viele werthvolle Werke, u um mehr als 1000 fl. gekommen,
weil nur Er unternehmen wollte die Manuskripte aus Chézy’s
Nachlaß zu ordnen – die Indische Grammatik hat mir 500 francs
Copialien gekostet – jetzt nach meines Sohnes Tod, u durch
seine Krankheit bin ich in Unkosten gestürzt, welche sein
kleiner – durch meines Aeltesten Sohns Félonie
bei der Theilung
um noch an 800 fl. verminderter Nachlaß nicht dekkt
 – 
sehr in Sorgen gestürzt – u jetzt ist meine französische Pension
gefährdet

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ohne welche ich umkommen müßte – dem mir in der Einlage angerathene
Schritt widerstrebt mein grader Sinn: C’est une démarche oblique – 
der Graf Salvandy kann wol voraussetzen, daß ich vergangnen Oktober
erfahren habe, was in französischen Journalen stand: daß dasselbe durch
„vielfache Ausgaben aus den Unterstützung-fonds für Gelehrte, Künstler
u Wittwen u Waisen derselben, den fonds erschöpft habe, sich vor einer
leeren Casse befinde, u diese Pensionen – Indemnités Littérairs
geheissen – suspendiert habe, welches die wirklich Bedürftigen unter
den Pensionirten in ein bodenloses Elend stürzte – “
Was soll also die Heuchelei einer ruhigen Anfrage?
Und warum meinen Aufenthalt in Deutschland verläugnen?
Ich war hier, weil ich glaubte meinen Söhnen nützlich zu
sein, u weil es in Frankreich so theuer zu leben,
daß meine Pension nicht zur Hälfte ausreichte. Dies
will ich offen erklären! Ich kann auch nicht willkührlich
meine Folter noch um 8 Tage verlängern, ich werde direkt, u
allerdings mit gehörigem Anstand schreiben, u dem edeln Humboldt
den Brief einlegen, mit der Bitte sich meiner kräftig anzunehmen
Wenn nun Sie, verehrter Freund, unverzüglich auch an Humboldt
schreiben, u auf diese Weise meine Bitte einbegleiten, so zweifle
ich nicht an dem Erfolg. Sie schreiben mir ja, daß der Vortreffliche, eingedenk
Chézy’s, mir wohl wolle. Nicht einem Humboldt kann die französische
Regierung seine Bitte abschlagen – “Ihm gegenüber müßte
Frankreich sich schämen Chézy‘s Wittwe mit 50 Carolin zu
bedenken, u Chézy’s Werke
unbenutzt liegen zu lassen.
Der Ankauf dieser Werke würde meinen Max gerettet haben
Neid u Intrigen standen in Paris – “u Berlin entgegen
Ich schließe, um nicht diesen Brief zu verlängern, wenn ich ihn
nur auf der Post weiß, werde ich ruhiger u Balsam wird Ihre
Antwort sein. Ich bin ohne das seit Max’s Tode in stätem Jammer.
Empfangen Sie wolwollend den Ausdruck der unumschränkten Ergebenheit,
Ihrer alten Freundin
Helmina