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Brief von Adelaide Reinbold an Helmina von Chézy

Wien, 24. November 1826
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 212 Reinbold Adelaide, 24.11.1826 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Adelaide Reinbold
Empfänger/-in
Helmina von Chézy
Datierung
24. November 1826
Absendeort
Wien
Empfangsort
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 130 mm; Höhe: 215 mm
Foliierung
Foliierung durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków noch ausstehend.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Betty Brux-Pinkwart; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Johannes Wetzel: Adelheid Reinbold, die Schülerin Tiecks. Inaugural-Dissertation, Universität Leipzig. Leipzig: August Hoffmann 1911.

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[Karl August Varnhagen]Adelheid Reinbold
an Helmina
von Chézy
Wien den 24st. Nov. 1826.
Ihr Briefchen, liebe Frau v. Chezy war mir eine recht
überraschende Freude, da wir Ihre Spur schon seit einiger
Zeit so ganz verloren hatten.
Ihre Reise hatte ich noch nicht
gelesen, obgleich sie deshalb recht gut im wiener Mode-
journal
stehen kann, denn die Baronin hält es nur von
einem Jahr alt, und frischere Blätter kommen mir nicht zu
Gesicht. Ich werde aber suchen, mir es zu verschaffen und von
der Perin
gewiß erfahren, wann dieser Abschnitt aus Ihrem
Leben darin erscheint. Gewiß ein recht erfreulicher, denn Sie
schildern die Natur dort auch in ihrem Winterkleide so
schön, daß man sich in dieses Zauberland, wo dann neben-
bey auch die gebratnen Tauben in den Mund fliegen,
versetzen möchte. Ach die Natur und ihr großer Schöpfer sind
ja für den, dem die Götter nicht einen wahren Freund ge-
gen,
die einzige Erquickung aus dem Lebensbecher. Ich be-
greife ganz wie neben andern strengern Rücksichten auch die
Furcht um den Frühling in diesem schönen Lande kommen
Sie da auch der Winter zurückhält. Und daß Sie wenigstens
dort Gesellschaft finden, die Sie einigermaaßen befriedigt
ist für die Wintertage, wo man nicht spatzieren gehen kann
doch ein großer Vortheil, denn, so große Forderungen wir zu-
weilen an die Menschen machen, (und ich tadle es nicht einmal
daß wir sie machen) wenn wir nur auf sehr wenige Individuen
reducirt sind, werden uns diese doch nothwendig. Ich freue
mich, daß Sie mit der Gesundheit und dem Wirken Ihrer
Hrn. Söhne
zufrieden sind; Max wird gewiß eine Mappe
schöner Ansichten mitbringen, und Sie Liebe, aus jenen
poetischen und erhabenen Gegenden etwas poetisches. Gewiß

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erweckt der Frühling auch Ihre Stimme, der Frühling der
überall so schön, so erquickend ist, ein berauschender
Trunk aus dem Becher einer bessern Welt, und der in dieser
herrlichen Gegend doppelt so seyn muß. Da Sie mir die
gütige Erlaubniß dazu geben, werde ich um Ihr Manuscr.
bitten, und wünsche daß Ihnen dieses Geschäft gelingen
möge nach Ihren besten Erwartungen.
Heute feyern wir hier den Geburtstag unsres großen
Longinus mit – einem großen Nein. Ich will Wallenst.
Worte nicht anführen, obgleich sie auf die Wiener im All-
gemeinen ganz vortrefflich passen. Die Baronin, welche
sich Ihnen recht sehr empfiehlt, ist recht wohl, und man
kann nichts anders wünschen, als daß es dabey bleibe.
Sie ist für den Moment in Trauer versetzt, durch den
Tod einer alten Tante Fr. v. Schindler der ärgsten Com-
mere
und Caffeeschwester – doch lasset die Todten
ruhn. Auch Flora erfreut sich einer bessern Gesundheit,
und eines sehr starken Wachsthums seit sie diesen
Sommer ein hitziges Fieber überstand, welches ihr noch
bis in die Mitte October eine große Schwäche des Kopfs
sowohl moralisch als physisch zurückließ. Mir, meine
Liebe, geht es wie immer. Die Perin ist wohl, lebt ganz
im Andenken ihres Sohnes, und gehtwill ohne ihn fast nir-
gends mehr hingehen. Sie sieht ihre alten Freunden, und
malt sehr fleißig und mit Erfolg Blumen. Die Poesie
scheint voritzt bey ihr zu ruhen. Daß die Wimpfen schwan-
ger ist, werden Sie wissen.
In der Theaterwelt ist
das neueste, daß die Schröder auf der Besserung ist,

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und, wie man sagt, bald wieder auftreten wird; Sie werden
wissen, daß sie sehr krank war, und daß die böse Welt
von dieser Krankheit allerley übles wissen wollte; man
hielt sie für ein Opfer ihres Hrn. Gemahls.
Dabey fällt
mir ein, daß wenn Sie einen Blaubart schreiben
wollen, ich Ihnen ein zwey Sujet geben kann,
die arme Fürstin Palm ist wieder sterbend. Es wird
Sie interessiren zu hören, daß Grillparzer von seinen
Reisen ganz verwandelt zurückgekommen ist, fröhlich,
freyer, erweckt, belebt, mit Selbstvertrauen, glück-
lich über Göthe's freundlichen Empfang,
der ihn zu Tische
geführt, seine Hand beständig zwischen seinen beyden
gehalten hat, ihn behandelt hat wie einen Vat Sohn. Auch
mit Berlin ist er sehr zufrieden, und lobt die Bildung
die Humanität die vernünftige Toleranz welche er in vie-
len Cirkeln gefunden hat. Einen andern jungen Dichter
sah ich ganz en passant, Michael Beer, den Ver-
fasser des Paria
, der von Italien zurückkam, wo er
sehr schöne Elegieen in Genua gedichtet haben soll.
Der König von Bayern, welchen er in Italien gesehen
hat ihn sehr freundlich aufgenommen, und ihn beredet,
ein neues Trauerspiel, dessen Titel vorerst ein Geheim-
niß ist, und welches er in München in die Scene setzen
lassen wollte, nicht eher zu produciren, bis er selbst dort
seyn würde, und die Sache unterstützen könnte. Den
jungen Menschen
sah ich kaum fünf Minuten, und fort
noch weniger von ihm, aber er hatte ein angenehmes
natürliches Wesen, ist aber ein gar nicht hübscher – Jude,

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auch dem Aussehen nach. Les délices de Vienne ma-
cht jetzt der Bauer als Millionair, ein sehr moralisches
Stück
Raimund, Ferdinand: Das Mädchen aus der Feenwelt, oder: Der Bauer als Millionär. Romantisches Original-Zaubermährchen mit Gesang, in 3 Aufzügen. [1826].
von Raimund, welches sehr gut gedacht ist, und
von ihm und Korntheuer und der Krones vortrefflich
gespielt wird, obgleich es ihm eigentlich an Witz fehlt,
denn dieses Theater braucht einmal welchen. Man
sagt er beschäftige sich jetzt mit einem noch bedeutenderen
Stück, ernsterer, Art. Ich begreife daß ein Komiker gerade
dahin geführt wird, wenigstens in reifern Jahren, das
Leben von der ernstesten Seite zu sehen, so wie die ausschwei-
fendsten Männer die strengsten gegen das weibliche
Geschlecht sind, doch zweifle ich ob sich Raimund zu einer
tragischen Höhe wird anheben können, oder auch nur zu
einer wahrhaft dramatischen, denn Ernst ist noch nicht höhere
Poesie, deren Flug über den Wolken geht, während der bey
einem Komiker in späteren Jahren erzeugte Ernst mehr
der Nebel der Verdrießlichkeit und des Ueberdrusses
ist. Auch ich werde ja ganz metaphysirend; das ist
Raimunds Stück schuld. Lassen Sie mich Ihnen aber noch
erzählen, daß die Krones, welche die Jugend macht, göttlich
spielt, ganz eine Jugend der Leopoldstadt, frisch; heiter
leicht, fröhlich, und doch gracius, macht sie sie als Knaben
als Compagnon des Millionairs, und nimmt dann zärt-
lich von ihm Abschied, als er sie mit Geld zurückhalten will,
und singt allerliebste Vaudevilles!
Ohne die Strenge
der olympischen Gottheiten zu haben ist sie über alle Be-
schreibung reizend; ich möchte sie in dieser Rolle mit den
Worten charakterisen: der leichte Sinn, idealisirt.
Wissen Sie daß die Buttlar in Florenz ist?
Mein Pa-
pier hält meine Feder im Laufe auf. Lassen Sie mich aus-
mich fragen ob Sie nichts von einem verlornen Kinde wissen, welches in die Welt geschickt wurde, nach Berlin
glaub ich, sein Glück zu machen!
Der Himmel mache das Ihrige und segne Sie mit seinen besten Gütern so wünscht die Ihrige, Adelheid R.