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Brief von Therese aus dem Winckel an Helmina von Chézy

Dresden, 4. Januar 1813
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 279 Winckel Therese aus dem, 04.01.1813 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Therese aus dem Winckel
Empfänger/-in
Helmina von Chézy
Datierung
4. Januar 1813
Absendeort
Dresden
Empfangsort
Umfang
3 Blätter
Abmessungen
Breite: 123 mm; Höhe: 203 mm
Foliierung
Foliierung durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków noch ausstehend.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Betty Brux-Pinkwart; Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „1r“

[Karl August Varnhagen]Therese aus dem Winckel
an Fr. v. Chézy.
Dresden, d. 4ten Jan:
1813.

Meine theure, innig geliebte Freundin!

Seit den lieben freundlichen Zeilen mit denen
Sie mich Ende Sept: voriges Jahr erfreuten,

hörte ich gar nichts wieder von Ihnen; Sie
versprachen mir damals, mir bald ausführlicher
zu schreiben, aber vergebens hoffte ich darauf!
Erst der Aufsatz, den Sie im Modejournal über
das liebliche Amorbach schreiben
,
erzählt mir
wieder etwas von meiner holden Helmina, und
tönt mir ein Anklang aus fernen Paradiesen, wie
eine Stimme aus bessern Welten, herüber in
unser, durch Krieg und Schrecken aller Art, ver-
heertes Sachsen! Wie freue ich mich Ihres
Glücks, meine gute, durch vielfache Leiden ge-
prüfte Helmina! wie selig müssen Sie im Kreis
jener trefflichen, alles Gute und Schöne so sinn-
nig schützenden und fördernden Fürstenfamilien

Sich gefühlt haben. Doch gewiss dachten Sie
jetzt auch bisweilen Ihrer armen Therese, und
hören theilnehmend ein Wort über meine
trübere Vergangenheit. Zuvor nur noch meinen
wärmsten Dank für Ihre Güte, die mir Ihre
holden süssen Lieder
noch theurer und werther

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dadurch macht, dass ich sie als ein Denkmal
Ihres Andenkens betrachten darf. Wie hat es
nur Ihr Buchhändler mit den anderen Exemplaren
gemacht? vergebens wartete ich viele Monate
lang darauf, und trug es der hiesigen Hilscherschen
Buchhandlung auf, sie mir zu schaffen. Ich erhielt
sie durchaus nicht, obschon ich wöchentlich danach
fragte; Hilscher bot mir 1. Ex. an, aber nur für
den Ladenpreis; dies konnte ich nicht anneh-
men, und die andern kamen nicht. Nachher
führten die Zeitumstände fast alles aus einander
und weg von hier; da vermuthe ich, wird wohl
ihr Buchhändler jedem der Subscribenten selbst
sein Exemplar zugeschickt haben. Sie sehen,
meine theure Freundin, dass es nicht meine Schuld
war, dass dies Geschäft so spät beendet wurde.
Wie viel wir in dieser Schreckenszeit hier
erlitten, ist kaum zu schildern! Zweimal floh
ich mit meiner guten hochbejahrten Mutter
mitten in der Nacht aus unserem Haus, bei-
demal mit dem Gefühl, diese reizende Woh-
nung
mit all unserem Eigenthum und alle
meinen Gemälden, den Früchten des Fleisses
meiner ganzen Jugend, nur in Trümmern
und Ruinen wiederzufinden! Das erstemal
als die Sprengung unserer schönen Elbbrücke
erfolgen sollte, von der man weit zerstörendere
Folgen befürchtete, als sie hatte; das zweitemal

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mitten unter den uns umzischenden Kanonen-
und Kartätschenkugeln, an den furchtbaren Mor-
gen des 9ten Mai! Die gütige Vorsehung und
die beispiellose liebende Treue meiner Charlotte,
beschützte und bewachte unser kleines geliebtes
Eigenthum! Alle Nachbarn waren geflohen, nur
sie blieb, und brachte es durch ihre Bitten dahin
dass niemand aus unseren Fenstern schoss, und
daher auch keine feindlichen Batterien auf unser
Haus gerichtet wurden, zugleich schaffte sie alles
in unsere gewölbten Keller. Welche Angst ich
aber da um dieses geliebte Mädchen litt, ist un-
nennbar! Die ungeheuren Durchmärsche aller
Nationen beinahe, von den Pforten des Orients
bis zu denen des Occidents, und die Kriegslasten
aller Art, haben unser Land, in welchem zuvor
schon weder Lebensmuth noch Lebenssinn war,
vollends ganz erschöpft. Künste und alles was
das Leben geistig verschönert, sind nun hier zum
allerunbrauchbarsten Ueberfluss geworden, um
so mehr da man leider ohnehin hier noch auf
einer so tiefen Stufe der Bildung stand, dass man
nicht das höhere Bedürfniss, sondern nur die
zufällige Erheiterung in ihnen suchte und fand.
Jetzt entfernen sich die Kriegsscenen etwas, doch
von gemüthlicher Sicherheit ist man noch weit
entfernt. Alle meine Schülerinnen flohen und
verliessen Sachsen, so ist mir jede Quelle des Er-
werbs versiegt!
Doch, meine Helmina, bin ich

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weit entfernt muthlos zu verzweifeln, wie jetzt
so viele! Mit dem ernstesten Fleiss finde ich das
reinste Lebensglück im restlos vorwärtsstrebenden
Studium beider heissgeliebten Künste. Wird endlich
Friede, so werden wir wohl in irgend ein anderes
kunstliebendes Land reisen; dies ist freilich für
mich ein sehr harter Schritt, bei dem sehr hohen Alter
meiner geliebten Mutter, und bei der Nothwendigkeit
da, das einzige uns übriggebliebne äussere Glück, das
einer höchst lieblichen und bequemen Wohnung,
willkührlich auch noch hinopfern zu müssen! aber,
es giebt keinen andern! – Wie gränzenlos glücklich
würde ich mich fühlen, wie innig dankbar seÿn,
wenn ich jemals einen Fürst oder eine Fürstin
eines kleineren Landes fänd, welche doch ohnehin
nicht Gallerien von seltnen Originalgemälden
besitzen können, und die kunstliebend genug
wären, um sich gern eine Sammlung treuer
Kopien nach den auserwähltesten Originalen
anzuschaffen! Wie bescheiden sollten meine
Forderungen seyn, wie unverändert mein Fleiss,
wenn mir ein Jahresgehalt gewährt würde, um in
den verschiedenen berühmten Gallerien Lieblings-
stücke der auserlesensten Meister für meine Gebieter
zu kopieren! wie ernstlich wollte ich danach streben
dass meine Kopien den Namen: Wiederholungen,
verdienen sollten! wie gern, mit welchen seligen
Gefühl wollte ich in Italien Gruppen aus welt-
berühmten Freskogemälden für sie auf die

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beweglichere Leinwand übertragen; wie gern,
wenn sie es wünschten, bisweilen eine Zeit an
ihrem Hof verweilen, und sie durch meine
Harfe zu rühren suchen! Diese Wünsche
werden mir in dieser ehernen Zeit wohl nie
gewährt werden! Verzeihung, meine sanfte
gütige Helmina, dass ich so egoïstisch viel
von mir sprach; man ist so gern offen gegen
eine theilnehmende Freundin! Lieblingsplan
waren mir jene Wünsche, seit meiner frühsten
Jugend, nur so ein Beruf könnte mich voll-
kommen beglücken. Auch scheint mir die
Wahl dieser Künstlercarriere dem ächt weib-
lichen Sinn am angenehmsten; dies liebend
treue Anschmiegen an die hohen Vorbilder, diese
Biegsamkeit sich selbst in die verschiedensten
Launen und Manieren der Künstler zu finden, kann
man von keinem Manne fordern, dessen volles
Streben immer dahin gerichtet seÿn wird, selbst
Schöpfer zu werden, und den eigenen Namen
zu verewigen. Aber freilich, um diese freund-
lichen Beschützer zu finden, die ich gleich
segnenden Engeln lieben und verehren wollte,
hätte ich wohl 100. Jahre früher oder später
über die Erde wandern müssen, nicht jetzt,

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wo das grosse Schicksalsdrama welches über
Europa's Loos entscheidet, jeden Sinn und
jede Kraft ausschliessend beschäftigt! –
Wie sehnlich wünschte ich, dass Sie, meine
Helmina, jetzt einmal meine Harfe hören
könnten! seitdem ich Frankreich verliess,
fand dies zauberische Instrument zuerst
einen Compositeur, der dessen Geist und
Charakter ganz ergründete; so wie der höchst
genialische Bochsa schrieb sonst
niemand dafür! Ich studierte seitdem vorzüg-
lich seine Werke, in denen die romantischste
Fülle von Lieblichkeit, Kraft, Tiefe und
Schwärmereÿ sich vereint, und besitze deren
über 40. theils mit, theils ohne Begleitung.
Ich gieng Ihnen nun mit dem allerprak-
tischten Beispiel vor, um Sie zu vermögen
mir recht viel von Sich Selbst, von Ihrem
trefflichen Mann
, Ihren holden Kindern
, Ihrem
Thun und Leben zu erzählen; möchten Sie dies
bald thun, meine geliebte Freundin! Meine
gute Mutter
und mein treues Lottchen grüssen
Sie tausendmal;
Gott seÿ mit Ihnen!
gedenken Sie freundlich Ihrer
Therese von Winckel.