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Brief von Therese aus dem Winckel an Helmina von Chézy

Dresden, 12. April 1812
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 279 Winckel Therese aus dem, 12.04.1812 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Therese aus dem Winckel
Empfänger/-in
Helmina von Chézy
Datierung
12. April 1812
Absendeort
Dresden
Empfangsort
Aschaffenburg
Umfang
3 Blätter
Abmessungen
Breite: 110 mm; Höhe: 185 mm
Foliierung
Foliierung durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków noch ausstehend.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Betty Brux-Pinkwart; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „1r“

[Karl August Varnhagen]Therese von Winckel
an Fr. v. Chézy.
Dresden d. 12. April
1812.

Es wäre unverzeihlich, meine theure gute
Helmina, so einen herrlichen lieben Brief
wie der Ihrer, der mir Thränen süßer
Rührung entlockte, so lange unbeantwortet
zu lassen, wenn ich nicht immer auf ein
gemüthliches ungestörtes Stündchen, auf
eine ächte Sonntagsstimmung gewartet
hätte! Wie glücklich sind Sie, in der

Nähe des so trefflichen, allverehrten Großher-:
zogs
zu leben!
O wie sehnlich habe ich
mir es bei meiner Reise gewünscht, Ihm
bekannt zu werden, ihm, dessen Huld und
Milde, dessen Wärme für alles Schöne und
Gute, dessen seltnen Geist, ich längst so
innig verehrt hatte! Er war leider da-
mals abwesend, und so blieb dies Glück
mir versagt, wie so manches –. Ihnen,
liebe tieffühlende Seele, gönne ich es von
Herzen dass es Ihnen so wohl geht, und
dass Sie wenigstens auf einige Zeit einen

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Separatfrieden mit dem Schicksal
schlossen. O geniessen Sie den Aufenthalt
in diesem freundlichen Asÿl, und fliehen
Sie unser Norden, wo man vor lauter
Klarheit, fast keine Lebensluft mehr
athmet, vor lauter Verstand, jeden Enthusias-
mus in die Acht erklärt, um die schlaffe
Lauigkeit auf dem Richterstuhl zu setzen
und die überkluge Indifferenz ihr an die
Seite zu stellen, wo man um alles zu
verfeinern, alles verdünnt, und um
einen eben so sichern als schnellen Weg
zu gehen, den materiellen Sinn der
Künstler, aufs Ideale, Ueberirdische
zu richten, sie allesammt tout bonne-
ment verhungern lässt! – Ich muss
Ihnen dies als wahre Freundin zurufen,
so gern ich Sie auch dies Frühjahr hier
säh. Doch ich will Ihnen nicht die
Kehrseite allein zeigen, es giebt noch eine

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bessere; wir haben trotz jenem Zeitgeist noch
treffliche Künstler hier, die dem Aechten treu
bleiben; aber der allgemeine Druck des Mangels
nöthigt sie freilich ihre Zeit und Kraft leider
meist nur zu kleiner gangbarer Scheidemünze
auszuprägen, so gern sie auch für das Höhere
leben würden. Selbst begonnene schön durch-
dachte Werke müssen unterbleiben. So z. B.
der herrliche Cÿklus, von dem Sie gewiss oft
in Journalen lasen, welchen unser Raphaelischer
v. Kügelchen für Hrn: v. Bethmann in Frank-
furt
malte, und wo der sinnige Künstler sich
so lebhaft freute sich im eignen Vaterlande,
am Rhein, ein Denkmal zu stiften. 8.
Gemälde dazu sind fertig, 24. sollten es wer-
den, nun unterbleibt alles!
Möchte doch
Ihr grossherziger Fürst jene 8. Gemälde einmal
sehen, und den vollständigen Plan des Ganzen
hören, vielleicht gewänn er Interesse dafür,
Bethmann überliess sie ihm sicher gern, die
Bestellung auf die Uebrigen würde erneuert,
und einer der denkendsten und würdigsten deut-
schen Künstler
wäre dann auf Jahre lang sein-
nem Wunsch gemäß beschäftigt, erhoben, getröstet
seine liebenswürdige Familie
von Sorgen geschützt,

Seite „2v“

und er von dem leidigen Portraitmahlen errettet.
Ich weiss wie gern meine edle Helmina den
Saamen des Schönen und Guten pflegt, deshalb
lege ich Ihnen diese Idee ans Herz, im Fall
Sie vielleicht irgend etwas dazu beitragen könn-
ten. Gern wollte ich mich auch zur Vermittlerin
bei dem Künstler anbieten, gern seinen weiteren
Plan, zu welchem die Studien schon gemacht sind,
ausführlich mittheilen, wenn ich hoffen dürfte
dass einigermaassen darauf reflektirt würde! –
Dass Sie, meine liebevolle Freundin, auch
Ihre Therese nicht ganz vergessen werden, wenn
irgend jemand in Ihren wärmeren Gegenden
sich sollte Kopien hiesiger berühmter Gemälde,
möglichst treu, und gewiss mit Fleiss, Liebe
und Demuth vollendet, wünschen, davon
bin ich überzeugt; wäre Ihnen eine solche freund-
liche Empfehlung vielleicht aber erleichtert, wenn
ich Ihnen ein Verzeichniss meiner fertigen
Arbeiten schickte? – Die Simonin Pollet
hörte ich vorige Woche hier, und freut mich
ihres Spiels, noch mehr aber dass Sie und
Fr: v. Wollzogen meiner bei ihr gedachten.
Ich habe das herrliche Instrument jetzt
immer lieber gewonnen, und beschäftige

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mich sehr viel damit; es giebt jetzt
weit schönere Compositions dafür, als
noch vor wenig Jahren; mehr in den
ächt romantischen und phantastischen
Geist der Harfe. – Haben Sie dem
guten, zu früh verblühten Koes nicht
auch eine Thräne tiefer Theilnahme
geweiht ? Wie traurig ist das für den
wackeren Brönsted, nun jeden frohen
Rückblick auf Griechenland, durch das
Gefühl des Verlustes des lieben Gefährten
getrübt zu bekommen! Wo ist er wohl
jetzt?
Und wo und wie lebt nur jetzt
unser Freund Klinger? Hat er sich aus
seiner unseligen Unentschlossenheit und
Unthätigkeit aufgerafft, oder, gieng er
darin unter – ? ich hörte seit 3 Jah-
ren gar nichts von ihm.
Dies Frühjahr verlässt mich eine mei-
ner Eléven, meine Ida, um nun zu
ihren Eltern zurückzukehren;
dieser
Verlust ist mir sehr schmerzlich, weil sie

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nunmehr erst entfaltet genug war,
um mir liebe Freundin zu werden –
doch so geht es dem Gärtner! hat er
das Pflänzchen mühsam aus unschein-
barer Wurzel heraufgezogen, so muß er
zurücktreten, um die Freude daran dem
Besitzer zu überlassen! Doch, wenn es
nur blüht, wenn es nur gedeiht! –
Heil Ihnen, glückliche Mutter, zu Ihren
beiden lieben Knaben; mögen Sie im-
mer so viel Freude an ihnen erleben!
Ihrem trefflichen Gemahl meine
besten herzlichsten Grüsse. Wir freuen
uns alle auf die nun baldige Erscheinung
Ihres Werkes.
Meine gute theure
Mutter
grüsst Sie freundlich; sie
war diesen Winter oft unwohl, und
ich habe recht viel Sorge darum.

Um Jean Paul beneide ich Sie ernstlich,
ich wünschte mir von jeher sehnlich seine
Bekanntschaft.
Adieu, gute Helmina,
alles Gute mit Ihnen; gedenken Sie
freundlich Ihrer

Therese v. Winckel.