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Brief von Caroline Pichler an Helmina von Chézy

Wien, 18. Mai 1820
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 142 Pichler Caroline, 18.05.1820 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Caroline Pichler
Empfänger/-in
Helmina von Chézy
Datierung
18. Mai 1820
Absendeort
Wien
Empfangsort
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 113 mm; Höhe: 192 mm
Foliierung
Keine Foliierung durch das Archiv vorgenommen. Keine Paginierung durch die Absenderin vorhanden.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Katarzyna Szarszewska; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „1r“

[Karl August Varnhagen]Karoline Pichler.
Wien am 18ten May 1820
Verehrteste Frau!

Recht beschämt ergreife ich die Feder um Ihren vor mehr
als 14 Tagen erhaltenen Brief vom 8ten Aprill zu beantworten
welchn mir Herr Horring überbrachte. Eine Menge kleiner
Geschäfte, und vor allem eine Menge Besuche welche der
Frühling in meinenr nahe an der Stadt gelegenen Garten

zieht, hinderten mich am Schreiben, und auch – daß ich es nur
gestehe, auch das Bewußtseyn Ihnen keine bejahende Ant-
wort geben zu können,
in welchem Fall man sich gegengeschätz-
te Personen das Nein auszusprechen, so schwer entschließt.
Wirklich ist in meiner Phantasie eine Art von Stillstand, von
Trockenheit eingetreten – Seitdem ich vor 2 Jahren meinen
längeren Roman: Frauenwürde
beendet, haben mir nur
zwey kleine Erzählungen geglückt, obwohl ich derer 4–5
geschrieben
– Die Eine ist: die Früheverlobten
über welche Sie
und Tiek (welchem ich Sie mich angelegentlich zu empfehlen bitte)

Seite „1v“

ein so gütiges Urtheil gefällt haben, die zweyte: der junge Mah-
ler
wird erst für das Taschenbuch Cotta’s zum nächsten Jahr-
gang gedruckt. Sonst bin ich nicht mit nichts was meiner Feder
entflossen seitdem zufrieden, und habe mich deßhalb lieber
mit Übersetzungen aus dem Englischen beschäftigt.
Da ich nun
dieses Unvermögen etwas Genügendes hervorzubringen tief,
und nicht ohne Sorge empfinde, das weil es mich eines meiner sü-
ßesten Genüße, der Beschäftigung mit der Poesie zu berauben
droht, so ist es mir aber gerade in dieser Zeit unmöglich mich irgend
einer neuen Verpflichtung zur Theilnahme an einem litterarischen
Unternehmen zu unterziehen, und ich muß Sie verehrteste
Frau bitten, diese Entschuldigung nachsichtig aufzunehmen,
wenn ich nicht auch, wie ich gern wollte, meinen Antheil zu
einer Unternehmung beytragen kann, derer Schönheit
und Nützlichkeit der Nahme zweyer allgemein geschätzter
Schriftstellerinnen
verbürgt. Ich habe in dieser letzten Zeit so man-
chen schmeichelhaften Antrag dieser Art zurückweisen müssen
und bin froh wenn ich mich nur so weit zu litterarischen Arbei-
ten gestimmt fühle, als nöthig ist, um meinen wenigen,
aber alten Verpflichtungen ein Genüge leisten zu können.
Für Herrn Horrings Bekanntschaft bin ich Ihnen sehr verbunden

Seite „2r“

Er scheint ein gebildeter artiger junger Mann, und es wird
mich freuen, wenn er öfters mein Haus besuchen will.
Der Zeitpunct in welchem er hier eingetroffen ist für sein
Studium günstig, er hat die Gemähldeausstellung eben ge-
troffen, und war wie er mir sagte, wohl mit den Leistungen
unsrer Künstler zufrieden. Mir schien die vorige Ausstellung
genügender, es waren mehr historische Stücke, jetzt ist die
Überzahl Portraits. Ich begreife wohl daß dies so seyn muß, wenn
die Kunst, wie meist geschieht, nach Trend geht, aber es sind
auch noch andre Ursachen, indem mehrere unserer geachtet-
sten Künstler, aus Privatrücksichten und kleiner Krän-
kungen wegen, die sie wahr oder eingebildet erfahren haben
wollen; nichts aus ihren wirklich bedeutenden Schätzen dazu
gegeben haben.
Auch ich habe, wie Sie es mir gesagt – mit Vergnügen Sie in
mehreren Taschenbüchern, die mir zu Gesicht gekommen gefun-
den. Gar sehr angesprochen hat mich der glückliche Köhler,
und
ich danke Ihnen für den Genuß den mir diese lieblich ro-
mantische Dichtung machte. Möchten Sie so fortfahren Ihre
Mitwelt zu erheitern, zu belehren, zu erfreuen, und
Ihnen Gott diese schöne Gabe, recht lange erhalten!

Seite „2v“

Lassen Sie mich hoffen daß meine Weigerung und ihrer
Ursache allein, mir nur Ihr Bedauern, nicht Ihren
Unwillen zuziehen werde, und nehmen Sie die Versiche-
rungen der vollkommensten Hochachtung an, womit
ich bin

Ihre

Pichler