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Brief von Caroline Pichler an Helmina von Chézy

Wien, 4. Juli 1832
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 142 Pichler Caroline, 04.07.1832 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Caroline Pichler
Empfänger/-in
Helmina von Chézy
Datierung
4. Juli 1832
Absendeort
Wien
Empfangsort
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 132 mm; Höhe: 208 mm
Foliierung
Keine Foliierung durch das Archiv vorgenommen. Keine Paginierung durch die Absenderin vorhanden.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Katarzyna Szarszewska; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „1r“

[Karl August Varnhagen]
Karoline Pichler an Fr. v. Chézy.
1832.
Wien am 4ten July 1832
Verehrteste Frau!

Wohl haben Sie mich freundlich aufgefordert Ihnen recht bald
zu antworten, dennoch mußte ich mehrere Wochen hingehn
lassen, ehe ich die Muße fand, unserer lieben Schlegel
deren Brief noch älter ist, und Ihnen zu schreiben. Mei-
ne Tochter fand Gelegenheit ihr sehr theures Quartier in
der Stadt anzubringen, und da sie damahls noch nicht ihren
Landsgout in Wäring
beziehen konnte, mußten wir
sie in unserer, wie Sie wissen nicht sehr großen Wohnung
sammt 3 Kindern und eben so viel Dienstbothen aufneh-
men. Da wimmelte und sumste es dann um mich wie
in einem Bienenkorb, und so lieb u angenehm
mir die Leutchen waren, setzte mich die Unruhe doch au-
ßer aller Möglichkeit mich mit irgend Etwas das
Aufmerksamkeit u Sammlung heischt, zu beschäftigen.
So kam ich dann auch nicht ans Briefschreiben, das ich gerne
wenn es an werthe Freunde geht, mit Muße u rechter Fassung
verrichte. Nun aber sind meine Gäste fort, mein Haus
ist wieder in die alte Stille u Ordnung zurückgekehrt, und
nun nehme ich meine lang versäumten Briefe vor und be-
antworte Einen nach dem Andren.
Sie haben freundlich u gütig an unsrem u vor allen an meiner

Seite „1v“

armen Tochter Schmerz Theil genommen,
empfangen Sie daher auch
unsren warmen Dank dafür. Lotte ist gefaßt, sie scheint äußer-
lich ziemlich ruhig, sie erfüllt strenge alle ihre Pflichten, un-
terrichtet ihre Kinder, schafft u arbeitet den ganzen Tag, aber
in ihrem Innern sieht es noch so düster aus, als vor 3 Mo-
naten, und ich finde wenig Unterschied. Indessen ist sie nicht
krank
und die Kinder sind alle gesund, und erhohlen sich
sichtbar seit sie in der Vorstadt waren, und nun vollends
auf dem Lande sind, und ihr Gedeihen ist ein großer Trost
für uns Alle.

Auch Sie theure Frau scheinen gekränkt und in sehr trüber Stim-
mir freundschaftlich schrieben. Ach, es gibt jetzt gar viele privat- und
öffentliche Ursache düster zu werden, und wenn es wahr seyn
soll was einige unsrer sehr lauten, (wenn auch nicht sehr
lautern) Schriftsteller, wie die H Börne, Heine, Menzel

verkünden, daß jetzt ein neues Zeitalter beginnt, welchem viel
Raum zu schaffen, sie gern alles Würdige das Schöne der ältern
Zeit niederreissen möchten, – so scheint mir dieß nach
jenen Proben zu schließen, wenig Erfreuliches zu bringen.
Indessen – wir müssen durch! Es ist der Gang der Vorsehung
mit dem Menschengeschlechte. Oft wenn ich sonst mich in solche
Gedanken versenkte, und die Verkehrtheit, Verwirrung und
Unbändigkeit welche sich überall entwickelt mich hier recht
trübe nächste Zukunft fürchten ließ, dann tröstete mich
der Gedanke an mein vorgerücktes Alter, und ich dachte: Im

Seite „2r“

Jetzt darf ich nicht mehr so denken, mich nicht mehr mit einem
nahen Lebensziel beruhigen. Seit meine Tochter mit 3 kleinen
Waisen ihre Stütze verloren hat, müssen wir ihr dazu als solche dienen
und nicht mehr daran denken, wie morsch sie schon seyn mag,
sondern uns vielmehr freuen wenn Gott uns noch eine
Weile für Kind u Enkel erhält.

Meine litterarischen Beschäftigungen haben nun schon lange
geruht. Theils aus häuslichem Kummer und den daraus er-
wachsenden Störungen meiner Lebensweise; theils auch der vor-
gerückten Jahre wegen, welche denn wohl die Flügel der Phanta-
sie lähmen; theils, und vielleicht hauptsächlich durch die sich
mir immer mehr aufdringende Bemerkung, daß die Wei-
se in der ich bis her le etwas leistete, und in der allein
ich auch noch künftig arbeiten würde können, weil der Mensch
sich nicht selbst ausziehn kann, dem Geschmack, oder Unge-
schmack der Zeit nicht mehr zusagt, ja weil ihm überhaupt
nichts zusagt, als entweder politisches Treiben und Drän-
gen, oder auf feindlichem Wege, die Erfindungen und
Bemühungen des mechanischen, ökonomischen, und
polytechnischen Trachtens. Dieses aber ist dem Dichter
schnurstracks entgegengesetzt, und so oft ist auf dieser sich
neugebährenden Welt kein Raum für mich.

Unsre gute Schlegel scheint in Frankfurt zufrieden mit ihrem
jetzigen Wirkungskreise, als helfender, tröstender lehrender
guter Geist bey Kindern u und es ist auch ein recht

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schönes Wirken u Walten, wie ich aus Erfahrung weiß. Eine Neuig-
keit muß ich Ihnen mittheilen die Sie wundern wird. Herr von
Bucholz heirathet – Das kam ganz plötzlich, und er ist bereits
abgereiset um sich die Braut aus Frankfurt zu hohlen. Wir
wußten hier gar nichts, und wissen noch den Nahmen der
Braut nicht. Wahrscheinlich hat die gute Schlegel hier wohlthätig
eingegriffen. Herzlich wünsche ich ihm daß er glücklich seyn
möge, nur fürchte ich er habe sich schon zu sehr in die Junggesel-
lenschaft hineingelebt.

B: Pereira Mutter, ist jetzt in Ischl nach dem sie einige Wochen auf
ihrem Gute Schwarzenau gewesen. Ephraims sind in Baden
wohin auch wir im nächsten Monat gehn wollen. Die Mutter
hat diesen Winter eine schwere Krankheit glücklich überstanden
Hammer ist in Döbling
Fr v Pechier und alle Übrigen so
viel ich weiß, ziemlich wohl. Aber große Lücken hat der Tod
diesen Frühling doch in diesem Kreis, wenn auch nur in den
äußern Umgebungen desselben gerissen. Gentz Graf
Saurau, Graf Marschall Fr v Piquot und mehr andre. Es
verging keine Woche die nicht durch den Tod irgend einer
bedeutender Person unsrer Bekanntschaft bezeichnet war, und
die Cholera
ist ebenfalls aufs neue thätig. Richlers leben
still dahin, und sind sehr kränklich, Arneth aber u Schödlberger
wohl u gesund, und alle diese empfehlen sich Ihnen herzlich
und danken für Ihre Erinnerung.

Möchte dieser Brief Sie in heitererer Stimmung antreffen
und Ihnen sagen wie warmen Antheil ich an Ihrem Wohl nehme.
Von Maltiz weiß ich seit langem nichts. Er correspon-
dirt
mit Gfn Engl – die mir zuweilen etwas aus sei- [###]