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Brief von Caroline Pichler an Helmina von Chézy

Wien, 6. Februar 1830
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 142 Pichler Caroline, 06.02.1830 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Caroline Pichler
Empfänger/-in
Helmina von Chézy
Datierung
6. Februar 1830
Absendeort
Wien
Empfangsort
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 135 mm; Höhe: 218 mm
Foliierung
Keine Foliierung durch das Archiv vorgenommen. Keine Paginierung durch die Absenderin vorhanden.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Katarzyna Szarszewska; Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „1r“

[Karl August Varnhagen]Karoline Pichler
an Helmina von Chézy.

Wien 6ten Feb: 1830
Verehrte Freundinn!

Ihren Brief vom 26ten v. M erhielt ich am 30ten. und übergabich
so bald ich (bey dem Sibirischen Winter freylich seltner als sonst)
zu meinen Kindern kam, Ihre Einlage meinem Schwie-
gersohne
. Er las sie, dankte Ihnen sehr für Ihr ehrenvolles Zu-
trauen, aber er ersuchte mich Ihnen zu melden, daß er sich
außer Stand sähe Ihrem Wunsch zu entsprechen
. Es ist nämlich
allen Justizbeamten auf das strengste verbothen, sich mit ir-
gend einer Partheysache, außer jener welche ihnen ämtlich
zur Bearbeitung zu getheilt werden, zu befassen, und eben
so ist es gegen ihre Pflicht über irgend Etwas was bey dem
Rathstische vorkommt, zu freundschaftlichen Mittheilungen
Gebrauch zu machen. Er kann Ihnen daher hier keinen Rath
oder eine Auskunft geben, und bedauert sehr daß er es
nicht im Stande ist. Da ich seinen Willen jedem Unglücklichen
zu helfen kenne, so bin ich überzeugt, daß nur sein Pflichtbe-
griff, der freylich oft bis zum Ängstlichen strenge ist, ihn

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abhalten konnte, an Ihrem menschenfreundlichen Werke Theil
zu nehmen.
Ihren Muth, noch mehr aber Ihre Geduld muß ich be-
wundern, die Ihnen die Mitwirkung bey solchen Geschäften mög-
lich machen. Mich würde zu allererst Unwille u Indignation zu
sehr aufreitzen, wenn ich Unglückliche durch die Form der
Gesetze, wider welche freylich nichts einzuwenden noch
zu unternehmen ist, erdrückt sehen müßte, weil böse
Menschen sich derselben Form geschickt als Schild zu bedie-
nen wissen, und dann hätte ich nicht den Muth mich in dieß
Labyrinth zu wagen. Wenn Ihr Bemühen gelingt, darf es
Sie wohl freuen, indeß gestehe ich daß ich nicht ohne Besorg-
niß bin, Sie möchten sich einst Verdruß durch dieses men-
schenfreundliche Bemühen zuziehn.

Der Winter ist hier außerordentlich hart u dauernd – wenn
er es im Verhältniß in Ihren Gegenden auch so ist, so
werden Ihre Armen sehr leiden, und Ihr Herz mit ihnen.
Hier gibt es viele Noth, und bey dem besten Willen kann
für die ungeheure Zahl der Armen nur wenig im Ganzen
gethan werden. Sonderbar „ist es immer daß in Andalusien

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Eis an Dattelpalmen hängt, und zu Christiania in Norwegen erst
am 6ten Jänner der erste Schnee fiel. Die Ordnung der Natur
scheint verkehrt.

Maltiz hat mir sehr leid gethan, um meinetwillen, um mei-
ner Freundinnen am meisten um seinetwillen. Zwar sah ich
ihn selten, wie es denn von geistreichen bedeutenden Men-
schen um mich und überall immer einsamer u leerer wird.
Aber seine gediegen Classische Bildung, eine große Seltenheit
bey unsrer Jugend, und sein biedrer Character machten ihn mir
schätzbar. Am meisten mußte ich beklagen daß er selbst sich in
eine Bahn gestürzt die ihm nicht zusagte.
Hat er damit das leicht-
sinnige Geschöpf gestraft die ihn nicht erkannte, oder nicht viel-
mehr sich selbst? Es ist traurig einen solchen Mann als das Opfer
eines Depit amoureux
werden zu sehn. Das ist auch ein Zeichen
der Zeit, daß unser Geschlecht jetzt so gar heikel wird, und der
gebildete sittliche junge Mann ihnen gerade deßwegen miß-
fällt. Die Männer im Ganzen sind aber deren Ursache. Sie ziehen
sich in allen Gesellschaften von den Frauen zurück, und über-
lassen sich am liebsten mit der Pfeife im Mund ihrer rohen
Bequemlichkeit. Sie werden ungeschliffen, gemein, die Mädchen
heikel und armselig.
Fleissig war ich sehr diesen Winter. Die Kälte welche mich zu Hause

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und alle Besuche fern hielt, ist mir sehr zustatten gekommen. Mein
Roman
, von dem Sie ein Bruchstück gehört ist seiner Vollendung nahe.
Der Stoff war überreich an Begebenheiten und merkwürdigen ge-
schichtlichen Personen, so schwoll er mir zu 4 Bänden an. Der dritte
ist fertig, und noch eine kleine Erzählung für die Minerva

die neuerdings in Leipzig erscheinen wird. Auch ein histo-
rischer Gegenstand, das Turnier zu Worms.

Meine Kinder und Enkel sind gottlob den Winter durch
ziemlich wohl gewesen. Nur Pelzeln hat einen großen Schmerz
erfahren
indem er seine über Alles geliebte Mutter verlor
Überhaupt hat das Jahr [1]829 sich furchtbar bewiesen und noch
durch den Tod Ezh. Henriette recht in diesem Sinn geen-
det,
und das gegenwärtige beginnt mit Frost, Elend und
Noth.
Das Bild Ihres H Sohns habe ich erhalten, und freue mich sehr
meines Gewinnes. Gott segne Sie und die Ihrigen. Mit
der größten Achtung

Ihre

Pichler