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Brief von Caroline Pichler an Helmina von Chézy

[Wien], [1831]
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 142 Pichler Caroline, o. D. XXIII XML-Datei downloaden
Absender/-in
Caroline Pichler
Empfänger/-in
Helmina von Chézy
Datierung
1831
Absendeort
Wien
Empfangsort
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 128 mm; Höhe: 209 mm
Foliierung
Keine Foliierung durch das Archiv vorgenommen. Keine Paginierung durch die Absenderin vorhanden.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Katarzyna Szarszewska; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „1r“

[Karl August Varnhagen]Karoline Pichler an Fr. v. Chézy.

Verehrte Frau!

Ihren Brief mit der Einlage an den sarmatischen Dichterjüng-
ling
habe ich wohl vor langer Zeit, nähmlich vielleicht vor 3 Mona-
ten erhalten, und den Einschluß gleich damahls weiter beför-
dert. Es war dieß sehr gut, denn später möchte jede Comunication
mit jenen Gegenden, selbst mit dem kaiserlichen Pohlen
bedenklicher
geworden seyn.
Wissen möchte ich wohl wie es dem jungen Mann
jetzt geht – welche Parthey er ergriffen? Ein Vetter von ihm ist hinü-
ber zu den kriegführenden Landsleuten
Carls Brief an mich in dem
Ihr Einschluß lag, enthielt nur 3 Zeilen. Jener Vetter heißt
Nicklaus.
Es ist eine trübe, schwere, unruhige Zeit – Sie scheint mir in
Geburtswehen mit einer Zukunft zu liegen, die wir noch
nicht kennen, nicht beurtheilen können – Einige Züge erscheinen
wohl jetzt schon – dennoch wäre es vermessen u eigentlich unmöglich
voraussehen zu wollen, wie sich das Kind gestalten wird – die
Vorsicht geht wie Wieland sagt, ihren Gang hoch über uns in
heil’gen Finsternissen.
– Wir sehen nur wie durch Risse
und Lücken zuweilen ein kleines Stück dieses Ganges
und wie oft hat der wir bilden uns in der Phantasie ein Gan-

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zes daraus, und wenn dieß Ganze, sich dann aus dem Laufe der
Begebenheiten vor unsern Augen entwickelt, sehen wir daß Etwas
ganz Anders, und was durchaus nicht zu vermuthen war, vor
uns steht. Unsre Generation, vielleicht auch noch unsre Kinder
werden das Ende dieser Umgestaltung der Weltverhältnisse
die wie alle solche Umstaltungen nicht ohne Leiden u Noth
vor sich gehen – nicht erleben. Es sind eben die Geburtswehen
das Kind welches daraus hervorgeht, kann doch schön und er-
freulich seyn. Unsre Enkel genießen was wir unter
Thränen säeten. Das ist die Betrachtung die mich oft tröstet
wenn ich auf den Gang der Weltereignisse hinschaue.
Wir in unsrem gesegneten Österreich wissen – Gott sey Dank! noch
nichts von dem Allen aus eigner Erfahrung, wir leben wie auf
einem glücklichen Eyland in Mitte der aufgeregten Wogen. Wie
lange das so halten wird u kann? – Weiß nur Gott! Doch hoffe ich
meine u Pichlers sehr vorgerückte Jahre sollen uns noch Ruhe
für den kurzen Lebensrest hoffen lassen. Bey Ihnen ist es
jetzt ja auch wieder stille geworden – Ihr König will so sehr das
Gute, will es so aufrichtig, daß ich unmöglich an dauernde Un-
zufriedenheit bey den Bayern glauben kann. Ich verehre ihn von
weitem – aber sehr innig – Ist er doch ein rechter Bruder unsrer
Kaiserinn u ein Halbbruder der Erzh: Sophie!

Daß Max zu Ihnen zurückkehrt freut mich für Sie – Wir Mütter
leben ja nur in u für die Kinder. Sehr lieb ist mir was Sie mir
von Ihrem Sohn Wilhelm schreiben, und daß er mein Österreich so schätzt.
O! Österreich über Alles! – Das ist ja immer mein Wahlspruch.

Seite „2r“

Hammern, der sich mit seiner Familie sehr wohl befindet, habe ich gesagt daß
er ein Gedicht Ihres H Sohnes
zu erwarten habe. Seitdem weiß
ich aber nicht ob es angekommen ist. Auch ich hatte ein bißWeilchen Lust
diesen Zedtlitz
zum Gegenstand einer historischen Novelle
zu machen. Dann gab ich es auf, weil ich zu wenig Stoff vorfand
zu Vieles dazu hätte erfinden müssen. – Auch hatte ich mein Exem-
plar
des Hammerschen Werkes
verlohren – und seitdem haben sich
andre Stöffe für Erzählungen gefunden. Ich freue mich sehr die
Terzinen Ihres H Sohnes
zu sehn. – Wohl kenne ich jene Rhap-
sodie von der sterbenden Biene
– sie hat mir einen unauslöschlichen
Eindruck gemacht, als ich sie vor mehr als 40 Jahren las. Nur lebt der feste
Glaube in mir, daß Gottes Oden auch in der sterbenden Biene war,
und das Schneestäubchen nicht anders fallen konnte, als wie Er es wollte.
Dieß ist in Allem meine Beruhigung – für mich gibt es keinen Zufall.
Übrigens geht es mir u den Meinigen sehr wohl. Gott hat uns wieder
ein Enkelchen ein holdes Mädchen, Marie genannt, geschenkt. Mei-
ne Kinder gehen diesen Sommer wieder aufs Land, wir im Herbst
nach Baden. Im Arnsteinschen Hause ist Alles wohl – Adolph rei-
set in Italien, das Clima thut ihm besser als das hiesige, wie
natürlich. Louis hat noch kein Kind, die hübsche junge Frau scheint
schwächlich zu seyn. Nun denken sie auch bald Alle hierhin, dorthin zu
fliegen, es wird einsam werden in Wien. Vielleicht haben
wir das Vergnügen Sie hier zu sehn. Unsre Schlegel hat in Frank-
furt
eine sehr schwere Krankheit gemacht, doch weiß ich keine
nähern Umstände, da sie nur an eine ihrer Freundinnen ein
Paar Zeilen geschrieben hat. Ich selbst habe nur Einen Brief
von ihr, und muß meine Nachrichten von Andern erbitten, doch viel-
leicht wissen Sie unmittelbar von ihr mehr als ich Ihnen sagen
kann. Ich vermisse diese Frau schmerzlich – es reißt so ein schönes

Seite „2v“

Band nach dem andren, und der Kreis wird immer kleiner. Wohl dem
der wie Sie und ich liebe, wohlgerathene Kinder hat, denn die Natur
ist redlich, sie hält an dem ewigen Ankergrund fest
– Aber
freylich kann es geschehn daß wir auch die Kinder entbehren
müssen, wenn die Verschlingungen der Ereignisse sie fortführen
denn wir haben sie nicht für uns geboren, sondern für sie
und die Welt.


Leben Sie nun recht wohl. Lassen Sie mich hoffen daß es
Ihnen wohl gehe, und Sie jetzt in Mitte Ihrer Söhne vergnügt
leben. Grüßen Sie Beyde achtungsvoll von mir, die
Meinigen empfehlen sich Ihnen angelegentlich. Wenn
Sie diesen Sommer nach Wien kommen, werden wir uns Vieles
zu erzählen haben, denn in diesem Jahr hat sich eine ganze
Weltgeschichte ereignet. Gott segne Sie! Mit der wärmsten
Achtung

Ihre


Pichler