Brief von Rahel Varnhagen von Ense an Caroline de la Motte Fouqué
[Berlin], 1813
Seite „50r“
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[Karl August Varnhagen]
Ø An Fr. v. Fouqué.
Anfangsblatt fehlt
[###]
einige Tage vor Ihrer Abreise
gehöhrt: sie würden diesmal auf
längere Zeit in der Stadt bleiben
der Kriegsumstände wegen. Da
wollt’ ich’s für mich abwarten; mit
Einemmale aber waren Sie weg!
Mein Klagen Ihnen nach; wovon Sie
hier nur wenig höhren; das werden
Sie auch wohl wissen, u an diesen Worten
die hier stehen, u den besten die Ihnen
selbst oft im Herzen bleiben müßen ab-
mäßen. besonders steht mir in diesem
Augenblick nicht vor der Seele, was ich
Ihnen zu sagen hätte; aber unendlich
viel könnten wir untereander sprechen
gingen wie nur miteinander spatzieren
träfen wir uns Abends vor dem Sopha
u lebten wir die verschwendeten Wochen
neben einander! Vielleicht wird
einige Tage vor Ihrer Abreise
gehöhrt: sie würden diesmal auf
längere Zeit in der Stadt bleiben
der Kriegsumstände wegen. Da
wollt’ ich’s für mich abwarten; mit
Einemmale aber waren Sie weg!
Mein Klagen Ihnen nach; wovon Sie
hier nur wenig höhren; das werden
Sie auch wohl wissen, u an diesen Worten
die hier stehen, u den besten die Ihnen
selbst oft im Herzen bleiben müßen ab-
mäßen. besonders steht mir in diesem
Augenblick nicht vor der Seele, was ich
Ihnen zu sagen hätte; aber unendlich
viel könnten wir untereander sprechen
gingen wie nur miteinander spatzieren
träfen wir uns Abends vor dem Sopha
u lebten wir die verschwendeten Wochen
neben einander! Vielleicht wird
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Friede aus der Erschöpfung des
Krieges; u ein Sommer für Menschen
daraus, nicht einer für Krieger
u Bekriegte; u vielleicht fällt
alsdann ein Tröpfchen klaaren
Segens auch auf mich, u ich kann
Sie besuchen! Sie sahen liebe fromme
Karoline, ich bin hier nicht so fromm
als Sie! Wer kann Gott nachrech-
nen! Menschen, u ihr Glück sind
Bestandtheile des Großen All’s, wa-
rum sollten sie zu einem glücklich-orga-
nischen nach der größten Zerrüttung
u Trennung sich nicht auch wieder zusammen
finden, zu neuen weiteren Beziehungen?
Wie viel aber hier untergeht, zeigen
die Begebenheiten aller Zeiten; jedes
Krieges; u ein Sommer für Menschen
daraus, nicht einer für Krieger
u Bekriegte; u vielleicht fällt
alsdann ein Tröpfchen klaaren
Segens auch auf mich, u ich kann
Sie besuchen! Sie sahen liebe fromme
Karoline, ich bin hier nicht so fromm
als Sie! Wer kann Gott nachrech-
nen! Menschen, u ihr Glück sind
Bestandtheile des Großen All’s, wa-
rum sollten sie zu einem glücklich-orga-
nischen nach der größten Zerrüttung
u Trennung sich nicht auch wieder zusammen
finden, zu neuen weiteren Beziehungen?
Wie viel aber hier untergeht, zeigen
die Begebenheiten aller Zeiten; jedes
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Menschen! Gewiß seÿn, daß ein
vielfälltigerer höherer Geist aus heil-
bringenden guten Gründen Kraft dazu
hat ist meine einzige Relligion.
Es ist mir auferlegt; muß ich denken;
ist es doch viel daß ich so viel weiß;
u Klaarheit u Verständniß in einem
höheren Wesen zu hoffen vermag.
Anfang der Gnade! vergeht uns oft
dieser Strahl, so verzweifflen wir; aber
ganz können wir nicht verzweifflen,
so wenig, als das durch unsern eigenen
Gedanken aufhöhren zu seÿn. Mögten
wir doch unser ganzes Daseÿn, als ein
Wunder annehmen; ergeben wir uns
ohne richten über den Lauf des
selben; u richten wir immer von
neuem uns selbst; unser Bestimmen.
Aber alle Buße seÿ Reinigung
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Stärkung, Feinerung, Besserung.
Reue vor der That; u fleißige Unschuld
Unschuld nach jeder. Grauelthaten
begehen nur kranke tolle, arme unglückliche, bedauerungswürdige
Menschen. Mich beugt übrigens der
Krieg sehr. Hab ich immer alle Zerstöhrung
überleben müssen, u hat mir mein mein
Herr die Einsicht in allen Jammer, u auch
die Kinderfähigkeit für alles liebliche
freudige u lebenswerthe gelassen;
so hatte ich nur noch äußere Zerstöh-
rung zu befürchten: ich erlebe sie; u
fühle es herb, ganz herb: nicht aber
was mich persöhnlich betrifft, beugt
mich ganz; aber der Beweiß daß wir
noch inmitten des Rohesten leben,
das verwundender Krieg, u tolles
Nehmen u Wehren bis zu unsern
Reue vor der That; u fleißige Unschuld
Unschuld nach jeder. Grauelthaten
begehen nur kranke tolle, arme unglückliche, bedauerungswürdige
Menschen. Mich beugt übrigens der
Krieg sehr. Hab ich immer alle Zerstöhrung
überleben müssen, u hat mir mein mein
Herr die Einsicht in allen Jammer, u auch
die Kinderfähigkeit für alles liebliche
freudige u lebenswerthe gelassen;
so hatte ich nur noch äußere Zerstöh-
rung zu befürchten: ich erlebe sie; u
fühle es herb, ganz herb: nicht aber
was mich persöhnlich betrifft, beugt
mich ganz; aber der Beweiß daß wir
noch inmitten des Rohesten leben,
das verwundender Krieg, u tolles
Nehmen u Wehren bis zu unsern
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wilden nichts voraus haben; Bücher
gebildete Reden, Wohlthätiges Seÿn
àparte da liegt und nicht in unserer
großen Verfassung mit inbegriffen
steht, daß wir Alles ausgesetzt
sind, u nur prahlend uns aufmun-
tern wenn wir unsere Meinung u
Relligion über alle andern setzen
das macht mich ganz perplext u
beugt mich. Freÿlich war irgendwo
Krieg so lang’ ich lebe; dass Nahe
dringt sich Einem aber am meisten
auf; u die ganze Erde ist ja
jetzt in der Anstekung. 4 Kluge
Gedanken, kann eine ganze Nach-
kommenschaft Einmal über uns
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u unseren Zustand hervorbringen
diese Nachkommenschaft besteht dann
aus 3 oder 4 Historikern u einer
kleinen Zahl sie Fassender!
Dies ist meines Bedünkens für die
Menschengesamtheit daraus zu
erbeuten. Noch haben wir rosige
Abende! – in einem solchen laß ich
gestern Tieck’s Fantasus
hab ich ganz etwas Neues erfahren.
Daß man die Klügsten, ja feinsten Dinge
sagen kann u über jede Gebühr lang-
weilig dabeÿ seÿn kann. Dialogen sind
schon das Schwerste wie mich dünkt
u nur Shäkesp: Göthen, u Jean Paul,
in den Flegeljahren
diese Nachkommenschaft besteht dann
aus 3 oder 4 Historikern u einer
kleinen Zahl sie Fassender!
Dies ist meines Bedünkens für die
Menschengesamtheit daraus zu
erbeuten. Noch haben wir rosige
Abende! – in einem solchen laß ich
gestern Tieck’s Fantasus
. Daraus
hab ich ganz etwas Neues erfahren.
Daß man die Klügsten, ja feinsten Dinge
sagen kann u über jede Gebühr lang-
weilig dabeÿ seÿn kann. Dialogen sind
schon das Schwerste wie mich dünkt
u nur Shäkesp: Göthen, u Jean Paul,
in den Flegeljahren
, sind welche gelungen:
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unendlichen voraussetzung, durch die
kleinsten aber bestimmendsten Züge
kenntlich gemacht; gelingt nur dem
lebhaftesten, gründlichsten leichtesten
Bemerker, wenn er die Gabe des
Beurtheilens während der verthei-
lung derselben in seinen Werken auf’s höchste
besitzt. Nun kommt Tieck mit roh
zusammengestoppelten Reden u gegenreden
ohne alle situation als die willkührlichsten
die mir weder Ort noch Mensch, noch
Lage zeigt; diese arme Fantas
magoren gehen in eben solchen Gegenden
spatzieren u reden mich wahrlich
todt. Der einzige Trost ist wenn man
nach Ihren allseitigen langen Behauptungen
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von denen T: selbst nicht weiß ob sie Scherz
oder Ernst seÿn sollen, u wem er
Recht giebt, Athem schöpft u sich
Gratulirt nicht auch solche geschwätzigen
Tage mit den Herren u Damen
verleben zu müßen! Ich müßte
toll werden in den Sälen, Gärten
beÿ den Wasserfällen – u Brunnen;
beÿ den leblosen Scherzen!
Hübsch ist was der Kranke
von seinen lectüren erzählt!
sind sie auf dem Guthe u wollen
sich vorlesen. Tieck muß fantasiren
in seiner eignen Person u komisch
u ernst seÿn dürfen. Ein Stük
Leben darff er nicht in ein Buch fassen
wie Göthe, wo das noch mit hinein geht
von welchen er nicht spricht! adieu
oder Ernst seÿn sollen, u wem er
Recht giebt, Athem schöpft u sich
Gratulirt nicht auch solche geschwätzigen
Tage mit den Herren u Damen
verleben zu müßen! Ich müßte
toll werden in den Sälen, Gärten
beÿ den Wasserfällen – u Brunnen;
beÿ den leblosen Scherzen!
Hübsch ist was der Kranke
von seinen lectüren erzählt!
Jetzt
sind sie auf dem Guthe u wollen
sich vorlesen. Tieck muß fantasiren
in seiner eignen Person u komisch
u ernst seÿn dürfen. Ein Stük
Leben darff er nicht in ein Buch fassen
wie Göthe, wo das noch mit hinein geht
von welchen er nicht spricht! adieu
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Schreiben Sie mir nicht mehr „Ihre
Ergebene.“ Karoline sans
frase ist besser. Ihre RR.
Ueber Tieck könnte ich noch lange
sprechen; aber die Feder ist müde.
1000 Grüße den Kindern. Mariens
Knäul liegt noch beÿ mir.
H: v: Fouqué hab’ ich nur als
Geist vorbeÿschweben sehen.
Vielleicht kommt auch mit dem
Frieden Muße für uns beÿde!
sprechen; aber die Feder ist müde.
1000 Grüße den Kindern. Mariens
Knäul liegt noch beÿ mir.
H: v: Fouqué hab’ ich nur als
Geist vorbeÿschweben sehen.
Vielleicht kommt auch mit dem
Frieden Muße für uns beÿde!
[Karl August Varnhagen]Frühjahr 1813.