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Brief von Charlotte von Ahlefeld an Sophie Mereau-Brentano

Saxtorf, 22. April 1806
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 1 Ahlefeld Charlotte von, Bl. 56-57 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Charlotte von Ahlefeld
Empfänger/-in
Sophie Mereau
Datierung
22. April 1806
Absendeort
Saxtorf
Empfangsort
Umfang
2 Blätter
Abmessungen
Breite: 95 mm; Höhe: 160 mm
Foliierung
Foliierung in Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Renata Dampc-Jarosz; XML-Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „56r“

56

[Karl August Varnhagen]Charlotte von Ahlefeld
an Sophie Brentano.
Saxtorff d. 22stenApril 1806.
Erst heute, meine liebste Sophie! beantworte ich
deinen mit so viel Freude empfangenen Brief.
Ich erschrecke wenn ich bedenke, wie lange ich
dir geschwiegen habe, und kann mich selbst nicht
begreifen, da ich immer mit so viel Sehnsucht
zu dir [hin]denke, und viel, beinahe möchte
ich sagen, [alles], darum gäbe, wenn ich dir
einmahl so herzlich und vertraulich wie
sonst sprechen könnte. Aber dies auch nur
allein könnte mein Verlangen nach dir
stillen. Briefe sind nur ein trauriger
Nothbehelf, und indem ich dies oft so
lebhaft fühle, habe ich so lange gezö-
gert, dir zu schreiben, da ich aber
nicht weiß, ob, und wann es mir ver-
gönnt seÿn wird, dich wieder zu sehen
will ich den Trost der Feder doch nicht
länger verschmähen. Kann sie auch die
Gedanken nur verstümmelt und die
Gefühle gar nicht ausdrücken, so macht
sie doch, daß wir uns weniger ferne sind
und das ist schon viel.
[Karl August Varnhagen]Bettina.

Seite „56v“

In meinem Schicksal hat sich nichts verändert.
Ich fühle mich höchst unglücklich und sehe nir-
gends eine freundliche Hoffnung. Um
weniger an das Trostlose meiner Lage
zu denken, beschäftige ich mich unauf-
hörlich, und suche so mich zu ermüden, u
zu betäuben. Ich unterrichte meine Kinder
ziehe Blumen, lese, schreibe, arbeite
und so vergeht ein Tag nach dem an-
dern, nicht heiter; aber doch ziemlich schnell
und jeden Abend bin ich froh, wieder ei-
nen Schritt weiter in das Leben gethan
zu haben, wo doch endlich einmahl ein
Ende kommen muß.
Dir geht es anders, und wohl dir, daß
es so ist. Hab ich dir gleich selten geschrieben
so sind dir meine Gedanken doch immer
nahe, u. meine Liebe wird sich nie
verändern. Ein süßes Gefühl ist mir
oft in meiner Betrübnis, dich im Besitz
aller der Genüße zu wißen, die ich
entbehren muß. Nur der oftmahlige

Seite „57r“

57

Verlust deiner Kinder
betrübt mich. Wie steht es
mit deiner Gesundheit, hast du dich völ-
lig wieder erhohlt?
Es ist mir geglückt, einige alte Bücher auf-
zutreiben, und ich würde mich sehr freuen
wenn und Clemens Lust hätte, sie anzuneh-
men, da ich es ihm versprochen hatte, mich
seiner Liebhaberei dafür zu erinnern.
Das eine heißt: Simon Bornmeisters neu
eröffneter Schauplatz der römisch deutschen
Kaiser 1678.
Das andere: Wundervoller
Schauplatz der heiligen Märtyrer 1734.

Frage ihn, ob ich sie ihm schicken darf. Ich
würde diese Frage nicht vorher thun,
sondern sie gleich schicken, wenn ich
nicht ungewiß wäre, ob auch histo-
rische Werke, als die Geschichte der
Kaiser, von Julius Cäsar an, nach
seinen Geschmack wären. Grüße ihn
von mir. Ich denke auch an ihn oft
und wünsche manchmahl, ihn zu
sehen. Verurtheilt, unter den flach-

Seite „57v“

sten, gemeinsten, und ich darf wohl sa-
gen, schlechtesten Menschen zu leben,
muß ich mich im Umgang blos auf mich
selbst beschränken, wenn ich nicht allmäh
lich eben so verächtlich werden will
wie die, die mich umgeben! Wie würde
es mich stärken und mein Gemüth zu
neuer Zuversicht erheben, wenn
in Eurer Nähe es mir wieder anschau-
lich würde, was man hier gern
bezweifeln möchte, daß es liebens-
würdige, und große Menschen
giebt. Ich bin recht muthlos, und habe
gar keinen Frohsinn mehr. Lebe
wohl, schreib mir recht bald. Bedenk
daß du mich dadurch unendlich er-
freust, denn alles Gute kommt für
mich aus der Ferne. Leb wohl, liebste
Sophie! leb tausendmahl wohl.