DE | EN

Brief von Amalia Schoppe an Rosa Maria Assing

Hamburg, 7. März 1830
Biblioteka Jagiellońska Kraków | SV 230 Schoppe Amalia, Bl. 137 XML-Datei downloaden
Absender/-in
Amalia Schoppe
Empfänger/-in
Rosa Maria Assing
Datierung
7. März 1830
Absendeort
Hamburg
Empfangsort
Hamburg
Umfang
1 Blatt
Abmessungen
Breite: 195 mm; Höhe: 243 mm
Foliierung
Foliierung mit Bleistift durch die Biblioteka Jagiellońska Kraków.
Herausgeber/-innen
Jadwiga Kita-Huber; Jörg Paulus
Bearbeiter/-innen
Quellenrecherche, Transkription, Auszeichnung nach TEI P5 und Annotation durch Paweł Zarychta; Korrektur durch Simona Noreik
Bibliographie
Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin: Behrend & Co. 1911.

Seite „137r“

137

Assing
Theuerste Rosa!

Ich wollte einmal heute nicht schreiben, muß es aber nun doch, und zwar mit
feuchtem Auge, das himmlisch-süße Thränen vergossen hat. Das beifolgen-
de Buch
las ich gestern und heute durch: lies es auch, denn bis zum Frei-
tag kann ich Dir es lassen, und dann wirst Du begreifen, wie es
mich erfaßt und ergriffen hat. In solch ein Leben, solch ein Herz zu bli-
cken und so!
Ich bin gar nicht sentimental gestimmt gewesen, sondern vielmehr
recht prosaisch, wie ich glaube; so möchte ich von Dir erfahren, was
mich eigentlich an dem Buche so wunderbar ergriffen hat, denn ich
selbst weiß es mir nicht zu deuten; vielleicht ergreift es Dich aber
gar nicht so. Mir war ganz so, als da ich zum Erstenmal die wilde
verwegene Jagd,
oder die Ouvertüre zum Freischützen
hörte, wobei
ich auch weinen und mich mehr freuen mußte, als der Mensch wohl
gut vertragen kann.
Bitte! lies aber ja! Daß es das 4te Heft ist, störe Dich nicht, weil
es in der That ganz gleich ist, wobei man anfängt; die übrigen
holt man schon von selbst nach.
Die letzten Seiten haben mich wunderbar aufgeregt.
Erinnerst Du
noch, daß ich Dir sagte, ich habe mir nur Einmal erst den Tod den-
ken können und dann geschaudert? Hier, in J. P. Tagebuch
ist
nun Wort für Wort, was ich dachte und empfand; es ist sein
Todestag geworden!
Der, wo ich dieselbe Vision hatte, ist nicht
von mir angemerkt worden, doch war es mitten im Sommer,
mitten in einer köstlichen Gewitternacht.

Alles dieses würde ich Dir mündlich gesagt haben, wenn meine noch
nicht gänzlich verschwundene Erkältung mir nicht Stuben-Arrest gä-
be; mir ist übrigens besser, weil ich mich endlich zur zweiten
span: Fliege
entschlossen habe, doch erst, nachdem ich noch einmal
unsäglich an Zahnschmerzen gelitten hatte.
Adieu, Du Theure! Du Liebe, Herzliche, Gute! Ja, ich erkenne
Dich ganz und auch, was mir der Himmel durch Dich gab!

Deine

Amalia.
Sonntag Nachmittag d. 7tn März 1830.
[Amalia Schoppe] NS: Weißt Du, das es am 25tn d. Monats schon 23 Jahre sind, seit wir uns kennen und
lieben? Ich war damals so viel über 15, als ich jetzt über 38 bin. Was ist uns nicht
Alles in dieser Zeit begegnet! Wie manches Leid und wie viel tausendmal mehr Freude. Jetzt, wo
mir ein Urtheil zusteht, rufe ich: Das Leben ist groß, schön, ein erhabenes Gut, und die Leiden darin
sind nur kleine Flecken an der großen Sonne. Ueber 2 Jahre am 25tn feiern wir den Tag, nicht wahr?
Auch die Freundschaft kann ja ihren Silbertag haben!

Seite „137v“